Zwei Stasi-Opfer berichten
Ilona Seeber und Silke Orphal wollten raus aus der DDR. Deswegen begann die Stasi sie zu beobachten, fast kamen sie ins Gefängnis. Jahrzehnte später lesen sie Berichte, in denen ihr Alltag genau beschrieben wird.
Zwei Stasi-Opfer berichten
Ilona Seeber und Silke Orphal sind in der DDR aufgewachsen. Da sie mit der Politik des ostdeutschen Staates nicht einverstanden waren, wollten sie das Land verlassen. Doch in der DDR war das nur möglich mit der offiziellen Erlaubnis des Staates. Die Stasi, der DDR-Geheimdienst, ließ die beiden Frauen über Jahre beobachten und brachte sie fast ins Gefängnis. Jahrzehnte später lesen sie ihre Akten – in denen ihr Alltag genau beschrieben wird.
ILONA SEEBER/SILKE ORPHAL (frühere DDR DDR (f., nur Singular) Abkürzung für: Deutsche Demokratische Republik (Staat von 1949-1990) -Bürgerinnen):
Bei Herrn Seiler?
SILKE ORPHAL:
Oh Gott, oh Gott, und denn?
SPRECHER:
Silke Orphal und Ilona Seeber vor dem Haus, in dem sie in Berlin gemeinsam gelebt haben. Als sie hier in jungen Jahren in jungen Jahren als man jung gewesen ist wohnen, ist ihr Leben alles andere als Privatsache Privatsache sein; etwas ist Privatsache etwas geht nur einen selbst etwas an . Vom Treppenhaus gegenüber beobachten die Spitzel Spitzel, - (m.) eine Person, die von jemandem (z. B. vom Staat) beauftragt wurde, jemanden zu überwachen und Informationen über jemanden zu sammeln der Stasi Stasi (f., nur Singular) Abkürzung für: die Staatssicherheit; der Geheimdienst der DDR zwischen 1950-1990 , des DDR-Geheimdienstes Geheimdienst, -e (m.) eine Organisation, die für einen Staat geheime Informationen sammelt , sie durchs Küchenfenster. Früher hatte man von hier noch ungehinderte ungehindert so, dass nichts im Weg steht; frei Sicht.
REPORTER:
Haben Sie denn gesehen, wie die Stasi-Leute hier gestanden haben?
ILONA SEEBER/SILKE ORPHAL:
Nee!
ILONA SEEBER:
Das hatte ich erst … also ich zumindest erst gelesen.
SILKE ORPHAL:
Da wären wir im Leben nicht im Leben nicht umgangssprachlich für: auf keinen Fall; niemals draufgekommen.
ILONA SEEBER:
Glaub ich auch, ja. Dass die hier standen und so ...
SILKE ORPHAL:
Da standen sie auch immer direkt …
SPRECHER:
Sie wissen es aus ihrer Stasi-Akte Akte, -n (f.) eine Sammlung von Dokumenten zu einem Thema oder Ereignis : ein paar hundert Blatt Papier, abgefangene etwas ab|fangen hier: etwas, das jemand anderes bekommen soll, vorher absichtlich wegnehmen, ohne dass die Person es bemerkt Briefe, private Post, amtliche amtlich offiziell; von einem Amt Schreiben Schreiben, - (n.) hier: ein offizieller Brief und vor allem: Berichte der Spitzel.
SILKE ORPHAL:
Am 30.04.80 um 7 Uhr Observation Observation, -en (f.) die Überwachung; die Beobachtung am Wohnort aufgenommen etwas auf|nehmen hier: mit etwas anfangen . In der Küche brannte Licht und das Fenster war halb geöffnet. Circa 50 Minuten später wird das Licht gelöscht das Licht löschen das Licht ausmachen und die Seeber verlässt allein die Wohnung und begibt sich sich irgendwohin begeben irgendwohin gehen zu Fuß in Richtung U-Bahn Samariterstraße. Jemand hat in mein Leben geguckt, und ich hatte keine Ahnung davon. Und hat auch mich als Person beschrieben aus seiner Sicht, die nicht besonders freundlich war.
ILONA SEEBER:
Es ist da, aber ich leb damit. So, und ich hab so die Erfahrung gemacht, dass man besser fahren; man fährt besser hier: es ist besser; es geht einem besser immer gut durchs Leben kommt oder besser fährt besser fahren; man fährt besser hier: es ist besser; es geht einem besser , wenn man mit ’ner Gegebenheit Gegebenheit, en (f.) hier: der Zustand, in dem man etwas vorfindet lebt.
SPRECHER:
Warum wurden die beiden als junge Frauen überwacht jemanden überwachen jemanden beobachten und kontrollieren ? Sie kamen aus der Provinz Provinz (f., hier nur Singular) hier: eine ländliche Gegend ohne größere Städte in der Nähe , finden hier in der Hauptstadt eine gut bezahlte Arbeit als Schreibkräfte beim Neuen Deutschland, dem Zentralorgan Zentralorgan, -e (m.) hier: die wichtigste Zeitung oder Zeitschrift einer Organisation (z. B. einer Partei) der Staatspartei SED SED (f.) Abkürzung für: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands; der Name der wichtigsten Partei in der DDR – ausgerechnet ausgerechnet gerade (drückt hier aus, dass man etwas für einen seltsamen, ironischen oder unpassenden Zufall hält) . Aber: Sie wollen raus aus der DDR. Ab 1976 stellen einen Ausreiseantrag stellen bei einem Staat offiziell darum bitten, dass man diesen Staat verlassen darf Silke Orphal und Ilona Seeber immer neue Ausreiseanträge einen Ausreiseantrag stellen bei einem Staat offiziell darum bitten, dass man diesen Staat verlassen darf – mit immer derselben Begründung.
ILONA SEEBER:
Ich zweifle an der Glaubwürdigkeit Glaubwürdigkeit (f., nur Singular) die Eigenschaft, dass man jemandem oder etwas glauben kann dieses Staates, da ich es am eigenen Leib am eigenen Leib so, dass man etwas selbst erlebt zu verspüren etwas verspüren hier: etwas fühlen; etwas merken; etwas spüren bekommen habe, wie wenig die Menschenrechte Menschenrecht, -e (n.) die Rechte, die alle Menschen auf der Welt haben sollten in der DDR geachtet etwas achten hier: etwas berücksichtigen; etwas für wichtig halten werden.
SPRECHER:
Der Nachwende-Generation Nachwende-Generation, -en (f.) die Generation, die nach 1989 geboren wurde und die DDR nicht mehr erlebt hat müssen die beiden erklären, warum sie Kopf und Kragen riskiert Kopf und Kragen riskieren umgangssprachlich für: ein hohes Risiko eingehen haben, um die DDR zu verlassen.
ILONA SEEBER:
Ich will raus, ich will mir nicht vorschreiben jemandem etwas vor|schreiben jemandem etwas befehlen; bestimmen, was jemand tun muss lassen, wer bestimmt, dass ich hier lebe.
SILKE ORPHAL:
Das hab ich noch nie eingesehen etwas ein|sehen verstehen und akzeptieren, dass etwas so ist . Also, das war schon vorher irgendwie, dass ich mich damit sich mit etwas einverstanden erklären sagen, dass man etwas akzeptiert nicht einverstanden erklären sich mit etwas einverstanden erklären sagen, dass man etwas akzeptiert konnte. Und da habe ich gedacht, nee, also, ich will raus. Ich will die Freiheit.
SPRECHER:
Beinahe wären sie dafür im Gefängnis gelandet.
Zwei Stasi-Opfer berichten
DDR (f., nur Singular) — Abkürzung für: Deutsche Demokratische Republik (Staat von 1949-1990)
in jungen Jahren — als man jung gewesen ist
Privatsache sein; etwas ist Privatsache — etwas geht nur einen selbst etwas an
Spitzel, - (m.) — eine Person, die von jemandem (z. B. vom Staat) beauftragt wurde, jemanden zu überwachen und Informationen über jemanden zu sammeln
Stasi (f., nur Singular) — Abkürzung für: die Staatssicherheit; der Geheimdienst der DDR zwischen 1950-1990
Geheimdienst, -e (m.) — eine Organisation, die für einen Staat geheime Informationen sammelt
ungehindert — so, dass nichts im Weg steht; frei
im Leben nicht — umgangssprachlich für: auf keinen Fall; niemals
Akte, -n (f.) — eine Sammlung von Dokumenten zu einem Thema oder Ereignis
etwas ab|fangen — hier: etwas, das jemand anderes bekommen soll, vorher absichtlich wegnehmen, ohne dass die Person es bemerkt
amtlich — offiziell; von einem Amt
Schreiben, - (n.) — hier: ein offizieller Brief
Observation, -en (f.) — die Überwachung; die Beobachtung
etwas auf|nehmen — hier: mit etwas anfangen
das Licht löschen — das Licht ausmachen
sich irgendwohin begeben — irgendwohin gehen
besser fahren; man fährt besser — hier: es ist besser; es geht einem besser
Gegebenheit, en (f.) — hier: der Zustand, in dem man etwas vorfindet
jemanden überwachen — jemanden beobachten und kontrollieren
Provinz (f., hier nur Singular) — hier: eine ländliche Gegend ohne größere Städte in der Nähe
Zentralorgan, -e (m.) — hier: die wichtigste Zeitung oder Zeitschrift einer Organisation (z. B. einer Partei)
SED (f.) — Abkürzung für: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands; der Name der wichtigsten Partei in der DDR
ausgerechnet — gerade (drückt hier aus, dass man etwas für einen seltsamen, ironischen oder unpassenden Zufall hält)
einen Ausreiseantrag stellen — bei einem Staat offiziell darum bitten, dass man diesen Staat verlassen darf
Glaubwürdigkeit (f., nur Singular) — die Eigenschaft, dass man jemandem oder etwas glauben kann
am eigenen Leib — so, dass man etwas selbst erlebt
etwas verspüren — hier: etwas fühlen; etwas merken; etwas spüren
Menschenrecht, -e (n.) — die Rechte, die alle Menschen auf der Welt haben sollten
etwas achten — hier: etwas berücksichtigen; etwas für wichtig halten
Nachwende-Generation, -en (f.) — die Generation, die nach 1989 geboren wurde und die DDR nicht mehr erlebt hat
Kopf und Kragen riskieren — umgangssprachlich für: ein hohes Risiko eingehen
jemandem etwas vor|schreiben — jemandem etwas befehlen; bestimmen, was jemand tun muss
etwas ein|sehen — verstehen und akzeptieren, dass etwas so ist
sich mit etwas einverstanden erklären — sagen, dass man etwas akzeptiert