Ein Tag als Strohbär
In Heldra, einem kleinen Dorf in Norddeutschland, wird jedes Jahr eine besondere Tradition gefeiert, um den Winter endgültig zu verabschieden. Junge Männer werden dann in Stroh gewickelt und laufen durch das Dorf.
Ein Tag als Strohbär
In Heldra, einem kleinen Dorf in Norddeutschland, wird jedes Jahr eine besondere Tradition gefeiert, um den Winter endgültig zu verabschieden. Junge Männer werden dann in Stroh gewickelt und laufen dann durch das Dorf. Euromaxx-Reporter Max Merrill wollte ebenfalls einen Tag als Strohbär verbringen und hat sich von den Dorfbewohnern in 40 Kilo Stroh wickeln lassen.
MAX MERRILL (Reporter):
Gestalten Gestalt, -en (f.) eine Person; ein Lebewesen wie aus einem Albtraum Albtraum, -träume (m.) ein böser, schrecklicher Traum . Einmal im Jahr werden sie losgelassen jemanden los|lassen hier: jemanden frei laufen lassen im idyllischen idyllisch sehr schön und friedlich Örtchen Heldra im Norden des Bundeslandes Hessen. Ein Dorf mit gerade mal 500 Einwohnern, aber mit einer großen Tradition: den Strohbären Strohbär, en (m.) hier: ein in Stroh eingewickelter Mensch . Und ich werde einer von ihnen sein. Meine Herausforderung Herausforderung, -en (f.) hier: die schwierige Aufgabe heute: Ich lass mich nicht nur um den Finger jemanden um den Finger wickeln umgangssprachlich für: jemanden leicht von etwas überzeugen , sondern ganz einwickeln sich mit etwas ein|wickeln sich ganz mit etwas bedecken (z. B. mit einer Decke) - und zwar mit Stroh Stroh (n., nur Singular) die trockene Getreidepflanze nach der Ernte, auf der u.a. Tiere im Stall liegen . 40 Kilo davon soll ich tragen. In dieser Scheune Scheune, -n (f.) der Stall; ein Gebäude auf einem Bauernhof, in dem z. B. Stroh gelagert wird kann ich mir schon mal anschauen, was mich nachher erwartet. Allerdings bin ich heute als Letzter an der Reihe. Zeit für eine kleine Recherche zur Geschichte des Strohbären am Dorfmuseum. Hallo, ich bin der Max. Hallo, wie geht’s? Hallo!
WERNER JUNG (Dorfmuseumsleiter Heldra):
Tach! Tach! umgangssprachlich für: Guten Tag!
MAX MERRILL:
Ich würd‘ gern mal ‘nen bisschen mehr über den Ursprung des Strohbären erfahren. Wie fing das denn alles an, diese Tradition?
WERNER JUNG:
Oh, das liegt im Dunkeln etwas liegt im Dunkeln hier: etwas ist unbekannt . Also, wir kennen den Strohbär-Tag seit unserer frühesten Jugend und unsere Eltern kennen ihn auch seit der frühesten Jugend. Also, da ist kein Datum festgehalten. Das hat bisher bedeutet und das bedeutet immer noch das Winteraustreiben Winteraustreiben (n., nur Singular) die feierliche Verabschiedung vom Winter .
MAX MERRILL:
Zurück zur Scheune. Die Menge des Strohs, das vom Winter übrig blieb, bestimmt, wie viele Strohbären mitlaufen können. In diesem Jahr reicht es für sechs. Das Brechen des Strohs an den Gelenken Gelenk, -e (n.) die Stelle im Körper, an der zwei Knochen miteinander verbunden sind gehört dazu, sonst könnten die Bären sich gar nicht bewegen. Wer fertig ist, muss vor der Scheune warten. Dass ich hier mitmachen darf, ist eine Ausnahme. Ob es auch eine gute Idee ist, da bin ich mir nicht mehr so sicher. Jetzt werde ich ins Stroh gewickelt. Übrigens von echten Profis, keiner hier macht das zum ersten Mal. Bis zu zwei Stunden kann es dauern, bis das ganze Stroh da sitzt, wo es hingehört. Die meisten der Wickler Wickler, -/Wicklerin, -nen die Person, die eine andere Person in etwas wickelt waren selbst schon mal ein Strohbär. Mitleid Mitleid (n., nur Singular) das Gefühl, das jemand hat, wenn ihm jemand leidtut haben sie jedoch nicht. Sie zurren zurren heftig festziehen und zerren zerren heftig ziehen erbarmungslos erbarmungslos ohne schlechtes Gewissen an mir.
MANN:
Wo bin ich hier?
MAX MERRILL:
Am, am Oberschenkel Oberschenkel, - (m.) der obere Teil des Beines . Oder … also hinten am Oberschenkel.
MANN:
Wie weit vom Arsch Arsch, Ärsche (m.) umgangssprachlich für Po bzw. Hintern weg?
MAX MERRILL:
Äh ja, geht noch ‘n bisschen.
MANN:
Das gibt's ja gar nicht hier.
MAX MERILL:
Der Wickelprozess Prozess, -e (m.) hier: die Entwicklung über eine bestimmte Zeit, in der etwas langsam passiert ist für denjenigen, der drin steckt, gar nicht so ungefährlich. Arme und Beine können einschlafen ein|schlafen hier: ein Körperteil wird taub , wenn zu fest gewickelt wurde. Und nicht wenige sind auch schon mal in Ohnmacht gefallen in Ohnmacht fallen das Bewusstsein verlieren . Auch deshalb wird das Stroh an den Gelenken gebrochen. Und so zwingt mich diese uralte uralt sehr alt Tradition in die Knie. Ich soll mehr Bewegungsfreiheit Bewegungsfreiheit (f., nur Singular) die Möglichkeit, sich gut bewegen zu können gewinnen, verliere die Balance verlieren das Gleichgewicht verlieren aber dabei fast die Balance die Balance verlieren das Gleichgewicht verlieren .
MANN:
Richtig rüber. Genau. Hoch. Ja – und hoch. So, jetzt gerade die Füße und nicht mit den Knien laufen.
MAX MERRILL:
Mein erster Gang Gang, Gänge (m.) hier: die Art, wie jemand geht … Ein Taxi für die Bären gibt es nicht. Wie richtige Strohballen Strohballen, - (m.) Stroh, das zu einem großen Quadrat oder einer gr0ßen Kugel zusammengedrückt wurde werden sie mit dem Traktor Traktor, -en (m.) ein Fahrzeug, das oft zum Ziehen von landwirtschaftlichen Geräten oder Anhängern verwendet wird Richtung Startpunkt gekarrt etwas oder jd. karren hier: etwas oder jd. fahren . Selten hab‘ ich mich sich ausgeliefert fühlen sich hilflos fühlen so ausgeliefert gefühlt sich ausgeliefert fühlen sich hilflos fühlen . Aber es gibt Licht am Horizont (es gibt) Licht am Horizont Redewendung: (es gibt) Hoffnung darauf, dass es besser wird : Jemand wird sich in den nächsten Stunden um mich kümmern.
MIRIAM FELSBERG (Bärenführerin):
Ich führ‘ dich heute durch diesen Tag, als Bärenführerin Bärenführer, -/Bärenführerin, -nen hier: die Person, die den Strohbären herumführt . Wenn was ist, einfach Bescheid sagen.
MAX MERRILL:
Ich vertrau ‘ dir voll und ganz jemandem voll und ganz vertrauen jemandem komplett vertrauen . Muss ich auch, ich hab‘ keine andere Wahl. Denn auch das gehört zur Tradition: Jeder Mann im Stroh bekommt eine Bärenführerin, die ihn an einer Kette Kette, -n (f.) hier: eine Reihe von kleinen runden Gliedern aus Metall, die beweglich aneinanderhängen und das Pedal und das Hinterrad eines Fahrrads verbinden durchs Dorf leitet jemanden leiten jemanden führen . Im Stroh stecken ohne Ausnahme nur junge Männer, keiner älter als Ende 20, denn die halten etwas aus|halten etwas ertragen die Strapazen Strapaze, -n (f.) die große Anstrengung; die große Mühe am besten aus etwas aus|halten etwas ertragen . Jeder schleppt etwas herum|schleppen etwas tragen jetzt circa 40 Kilo mit sich herum etwas herum|schleppen etwas tragen . Uns jemandem bleibt etwas erspart umgangssprachlich für: jemand muss etwas nicht machen Strohbären bleibt jemandem bleibt etwas erspart umgangssprachlich für: jemand muss etwas nicht machen tatsächlich nichts erspart jemandem bleibt etwas erspart umgangssprachlich für: jemand muss etwas nicht machen . Ich habe gerade erst in meiner Verkleidung Verkleidung, -en (f.) Kostüm laufen gelernt, da soll ich tanzen. In grauer Vorzeit in grauer Vorzeit vor langer Zeit mal die Gelegenheit für die Dorfjugend, sich näherzukommen sich näher|kommen eine engere Beziehung zueinander aufbauen - mit Sicherheitsabstand Sicherheitsabstand, -abstände (m.) der Raum bzw. der Platz zwischen Menschen oder Objekten, um eine Gefahr zu vermeiden aus Stroh. Nach zwei sehr langen Stunden gibt es den Endspurt Endspurt (m., nur Singular) Beschleunigung des Tempos durch verstärkten Einsatz der Kräfte auf der letzten Strecke vor dem Ziel , im wahrsten Sinne des Wortes im wahrsten Sinne des Wortes Redewendung: wirklich; so, wie es das Wort sagt . Alle Strohbären rennen los. Ich kann es kaum noch aushalten, und den anderen geht es nicht anders. Die Strohbären enden als als etwas enden etwas werden wilder Haufen. Aber endlich werden wir befreit etwas/jemanden befreien dafür sorgen, dass etwas/jemand frei ist und aus dem Stroh geschnitten. Was für eine Tortur Tortur, -en (f.) ein sehr anstrengendes Erlebnis ! Strohreste sitzen noch überall.
LEUTE:
Juhuuu!
MAX MERRILL:
Dass sich die Strapazen lohnen, auch das spüre ich jetzt ganz hautnah hautnah sehr nah; mit seinem Körper . Der Tag endet mit einem großen Feuer. All das Stroh, das stundenlang gewickelt und von uns getragen wurde, geht in Rauch auf|gehen verbrennen in wenigen Minuten in Rauch auf in Rauch auf|gehen verbrennen . Ja, so warm war mir ungefähr im Kostüm auch selbst. Aber was ich gelernt habe, es war ein wirklich schöner Tag, eine echt schöne Tradition, die das ganze Dorf, die ganze Gemeinde zusammengebracht hat. Und für einen Tag war ich auch Teil von der Gemeinde hier in Heldra. Einer der anstrengendsten Tage meines Reporterlebens Reporterleben, - (n.) das Leben einer Person, die für eine Zeitung oder einen Fernseh- oder Rundfunksender berichtet geht zu Ende. In die Haut der Strohbären werde ich mich wohl nicht noch einmal wickeln lassen.
Ein Tag als Strohbär
Gestalt, -en (f.) — eine Person; ein Lebewesen
Albtraum, -träume (m.) — ein böser, schrecklicher Traum
jemanden los|lassen — hier: jemanden frei laufen lassen
idyllisch — sehr schön und friedlich
Strohbär, en (m.) — hier: ein in Stroh eingewickelter Mensch
Herausforderung, -en (f.) — hier: die schwierige Aufgabe
jemanden um den Finger wickeln — umgangssprachlich für: jemanden leicht von etwas überzeugen
sich mit etwas ein|wickeln — sich ganz mit etwas bedecken (z. B. mit einer Decke)
Stroh (n., nur Singular) — die trockene Getreidepflanze nach der Ernte, auf der u.a. Tiere im Stall liegen
Scheune, -n (f.) — der Stall; ein Gebäude auf einem Bauernhof, in dem z. B. Stroh gelagert wird
Tach! — umgangssprachlich für: Guten Tag!
etwas liegt im Dunkeln — hier: etwas ist unbekannt
Winteraustreiben (n., nur Singular) — die feierliche Verabschiedung vom Winter
Gelenk, -e (n.) — die Stelle im Körper, an der zwei Knochen miteinander verbunden sind
Wickler, -/Wicklerin, -nen — die Person, die eine andere Person in etwas wickelt
Mitleid (n., nur Singular) — das Gefühl, das jemand hat, wenn ihm jemand leidtut
zurren — heftig festziehen
zerren — heftig ziehen
erbarmungslos — ohne schlechtes Gewissen
Oberschenkel, - (m.) — der obere Teil des Beines
Arsch, Ärsche (m.) — umgangssprachlich für Po bzw. Hintern
Prozess, -e (m.) — hier: die Entwicklung über eine bestimmte Zeit, in der etwas langsam passiert
ein|schlafen — hier: ein Körperteil wird taub
in Ohnmacht fallen — das Bewusstsein verlieren
uralt — sehr alt
Bewegungsfreiheit (f., nur Singular) — die Möglichkeit, sich gut bewegen zu können
die Balance verlieren — das Gleichgewicht verlieren
Gang, Gänge (m.) — hier: die Art, wie jemand geht
Strohballen, - (m.) — Stroh, das zu einem großen Quadrat oder einer gr0ßen Kugel zusammengedrückt wurde
Traktor, -en (m.) — ein Fahrzeug, das oft zum Ziehen von landwirtschaftlichen Geräten oder Anhängern verwendet wird
etwas oder jd. karren — hier: etwas oder jd. fahren
sich ausgeliefert fühlen — sich hilflos fühlen
(es gibt) Licht am Horizont — Redewendung: (es gibt) Hoffnung darauf, dass es besser wird
Bärenführer, -/Bärenführerin, -nen — hier: die Person, die den Strohbären herumführt
jemandem voll und ganz vertrauen — jemandem komplett vertrauen
Kette, -n (f.) — hier: eine Reihe von kleinen runden Gliedern aus Metall, die beweglich aneinanderhängen und das Pedal und das Hinterrad eines Fahrrads verbinden
jemanden leiten — jemanden führen
etwas aus|halten — etwas ertragen
Strapaze, -n (f.) — die große Anstrengung; die große Mühe
etwas herum|schleppen — etwas tragen
jemandem bleibt etwas erspart — umgangssprachlich für: jemand muss etwas nicht machen
Verkleidung, -en (f.) — Kostüm
in grauer Vorzeit — vor langer Zeit
sich näher|kommen — eine engere Beziehung zueinander aufbauen
Sicherheitsabstand, -abstände (m.) — der Raum bzw. der Platz zwischen Menschen oder Objekten, um eine Gefahr zu vermeiden
Endspurt (m., nur Singular) — Beschleunigung des Tempos durch verstärkten Einsatz der Kräfte auf der letzten Strecke vor dem Ziel
im wahrsten Sinne des Wortes — Redewendung: wirklich; so, wie es das Wort sagt
etwas/jemanden befreien — dafür sorgen, dass etwas/jemand frei ist
als etwas enden — etwas werden
Tortur, -en (f.) — ein sehr anstrengendes Erlebnis
hautnah — sehr nah; mit seinem Körper
in Rauch auf|gehen — verbrennen
Reporterleben, - (n.) — das Leben einer Person, die für eine Zeitung oder einen Fernseh- oder Rundfunksender berichtet