Leben und Lieben mit geistiger Behinderung
In einer Wohngemeinschaft der „Lebenshilfe“ können Menschen mit geistiger Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen. Einige von ihnen führen auch Liebesbeziehungen und haben Sex – was anderswo unmöglich wäre.
Leben und Lieben mit geistiger Behinderung
Menschen mit geistiger Behinderung ist es in Deutschland oft nicht möglich, selbstbestimmt zusammenzuwohnen. In einer Einrichtung der „Lebenshilfe“ in der Nähe von Hannover ist das anders: Über 100 Menschen leben hier in Wohngemeinschaften. Falls es nötig ist, steht den Menschen immer Hilfe zur Verfügung. Ansonsten können sie aber selbst entscheiden, wie sie ihren Alltag gestalten. Sogar Liebespaare und Gruppen zu sexueller Aufklärung gibt es – etwas, was anderswo nicht vorstellbar wäre.
SPRECHER:
So ziemlich jeden Tag gegen halb drei macht sich Thekla Schünemann auf den Weg.
REPORTER:
Wo geht’s denn jetzt hin?
THEKLA SCHÜNEMANN (Bewohnerin der „Lebenshilfe“-WG):
Da natürlich. Abholen.
REPORTER:
Und dann?
THEKLA SCHÜNEMANN:
Und dann komm ich hierher.
SPRECHER:
Sie holt ihren Freund Lars Nowak ab. Thekla und Lars sind Mitte 50 und leben in einer Wohneinrichtung Wohneinrichtung, -en (f.) ein Ort, an dem verschiedene Menschen (oft mit Unterstützung durch andere) wohnen der „Lebenshilfe“, einem Selbsthilfeverband Selbsthilfeverband, -verbände (m.) eine Organisation für Menschen mit denselben Problemen, die sich gegenseitig helfen für Menschen mit geistiger Behinderung geistige Behinderung, -en (f.) die Tatsache, dass bei einem Menschen die geistigen Fähigkeiten weniger gut oder anders als bei den meisten anderen sind . Insgesamt rund hundert Menschen wohnen hier – in WGs WG, -s (f.) Abkürzung für: die Wohngemeinschaft; eine Gruppe von Menschen, die sich eine Wohnung teilen mit bis zu sieben Personen. Manche brauchen mehr, manche weniger Hilfe. Für alle Fälle sind rund um die Uhr rund um die Uhr immer; den ganzen Tag; ohne Pause Betreuer in den vier Häusern. Dass Thekla und Lars als Paar leben dürfen, wäre anderswo unmöglich. Hier ist das kein Problem – es ist einfach so.
LARS NOWAK (Bewohner der „Lebenshilfe“-WG):
Wir sind verlobt sein einander offiziell versprochen haben, dass man heiratet also zusammen verlobt verlobt sein einander offiziell versprochen haben, dass man heiratet .
THEKLA SCHÜNEMANN:
Zwanzig Jahre schon! Zwanzig Jahre!
LARS NOWAK:
Zwanzig Jahre sind wir verlobt.
REPORTER:
Ihr kennt euch schon so lange, da wart ihr noch Kinder?
LARS NOWAK:
Genau richtig geraten! Wir beide, sie und ich! Denk mal an Adam und Eva Adam und Eva die ersten Menschen in der Bibel , die sind auch zusammen befreundet. Wir sind immer zusammen.
THEKLA SCHÜNEMANN:
Ja genau!
SPRECHER:
Ein Liebespaar mit Down-Syndrom Down-Syndrom (n., nur Singular) auch: Trisomie 21; eine Art der Behinderung, bei der die Menschen bestimmte körperliche und geistige Eigenschaften haben . Zum Alltag in der Wohneinrichtung gehören ganz selbstverständlich die Beziehungen mit dazu. Die Hausleitung hat Vertrauen. Die Bewohner sollen selbst bestimmen und entscheiden, was sie wollen und was nicht.
FLORIAN KÖNIG (Geschäftsführer der „Lebenshilfe“):
Jeder Mensch wünscht sich Beziehungen, jeder Mensch wünscht sich Nähe. Das steckt, glaub ich – egal ob Menschen mit Behinderungen oder ohne Behinderungen –, in jedem Menschen drin.
SPRECHER:
Konstantin Kluß ist oft langweilig. Er ist 32 und sehnt sich nach sich nach jemandem/etwas sehnen sich sehr wünschen, dass jemand/etwas da ist einer Partnerin. Als er zehn war, fuhr ihn ein Auto an. Seitdem ist er behindert, wie er sagt. Pädagogin Pädagoge, -n/Pädagogin, -nen jemand, der sich beruflich mit Bildung und Erziehung beschäftigt (z. B. ein Lehrer/eine Lehrerin) Marie hilft ihm, wenn er auf einem Dating-Portal Dating-Portal, -e (n.) eine Internetseite, auf der man nach einem Liebespartner oder partnerin suchen kann für Menschen mit Beeinträchtigungen Beeinträchtigung, -en (f.) die Tatsache, dass etwas nicht oder nicht so gut funktioniert; die Tatsache, dass man in einem bestimmten Bereich Probleme hat nach einer Freundin sucht.
KONSTANTIN KLUSS (sucht nach einer Partnerin):
Ja, ich will auch Sex mit der. Und das ist ja human human menschlich , also menschlich.
THEKLA SCHÜNEMANN:
Penis Penis, -se (m.) das Geschlechtsorgan des Mannes !
UTE HINTZELMANN (Pädagogin):
Penis? Gut, dann würde ich heute gerne mit euch über Geschlechtsteile Geschlechtsteil, -e (n.) die Körperteile, mit denen Menschen Sex haben, z. B. Vagina und Penis sprechen, und zwar von Mann und Frau.
SPRECHER:
Hier trifft sich die Sex-und-Liebe-Gruppe. Jede Frage ist erlaubt: Wie masturbiert masturbieren sich selbst sexuell befriedigen man eigentlich richtig?, zum Beispiel. Die Gruppe ist eines der beliebtesten Angebote der Wohneinrichtung.
UTE HINTZELMANN:
So sieht der Penis aus. Hast du das schon mal so gesehen? Auch in echt?
THEKLA SCHÜNEMANN:
Ja.
UTE HINTZELMANN:
Hast du schon mal … ja, oder?
THEKLA SCHÜNEMANN:
Ja, ich hab‘s schon mal gesehen.
SPRECHER:
Thekla und Lars fahren regelmäßig zusammen in den Urlaub – und da haben sie auch schon gemeinsam übernachtet.
THEKLA SCHÜNEMANN:
War gut. Aber wir beide haben [das Bett gekracht]. Wir beide!
LARS NOWAK:
Das Bett ist zusammengekracht zusammen|krachen umgangssprachlich für: kaputtgehen; auseinanderbrechen !”
THEKLA SCHÜNEMANN:
Ja. Zusammengekracht! Ach Larsi, Du bist gut …
SPRECHER:
Wichtig ist der Lebenshilfe, dass alles einvernehmlich einvernehmlich so, dass alle einverstanden sind; so, dass alle dieselbe Meinung haben und respektvoll passiert.
THORSTEN MEYER-HANKE:
Jeder Mensch darf schlafen, wo er möchte. Wenn dann die gastgebende gastgebend so, dass jemand Gastgeber ist; so, dass jemand zu sich einlädt Partei Partei, -en (f.) hier: eine bestimmte von mehreren Personen oder Gruppen sozusagen einverstanden ist. Und miteinander schlafen ist was, was wir nicht in einem Büro oder in einem Gruppenraum verhandeln etwas verhandeln gemeinsam über etwas sprechen, das einen betrifft, und dann eine gemeinsame Lösung finden , sondern das verhandelt ihr untereinander.
SPRECHER:
Davon profitiert von etwas profitieren einen Vorteil durch etwas haben die 60-jährige Sabine Hülfenhaus, die in der Wohneinrichtung lebt, und ihr gleichaltriger gleichaltrig so, dass man etwa gleich alt ist Partner Helmut Hermann.
HELMUT HERMANN:
Geht’s noch?
SABINE HÜLFENHAUS:
Ja.
SPRECHER:
Zusammen genießen sie das Leben – heute im Zoo in Hannover. Sabine hat früher darüber nachgedacht, selbst Kinder zu haben, als sie jung war. Aber sie bekam immer wieder gesagt, das ginge nicht.
SABINE HÜLFENHAUS:
Ich bin behindert. Dann kann ich’s nicht. Mein Bruder… meine Schwester hat früher gesagt, ist nicht gut. Ich kann nicht lesen und schreiben, ich kann ja diesem Kind nichts lehren. Bisschen traurig, ja. Kann man nicht aussuchen.
HELMUT HERMANN:
Muss man nehmen, wie es ist etwas nehmen, wie es ist etwas akzeptieren; nicht versuchen, etwas zu ändern .
SABINE HÜLFENHAUS:
Ohne Kind geht auch. Ja …
SPRECHER:
Umso wichtiger ist für Sabine, dass sie Helmut hat. Und die Lebenshilfe ihr die Möglichkeit zu Nähe und Liebe gibt.
Leben und Lieben mit geistiger Behinderung
Wohneinrichtung, -en (f.) — ein Ort, an dem verschiedene Menschen (oft mit Unterstützung durch andere) wohnen
Selbsthilfeverband, -verbände (m.) — eine Organisation für Menschen mit denselben Problemen, die sich gegenseitig helfen
geistige Behinderung, -en (f.) — die Tatsache, dass bei einem Menschen die geistigen Fähigkeiten weniger gut oder anders als bei den meisten anderen sind
WG, -s (f.) — Abkürzung für: die Wohngemeinschaft; eine Gruppe von Menschen, die sich eine Wohnung teilen
rund um die Uhr — immer; den ganzen Tag; ohne Pause
verlobt sein — einander offiziell versprochen haben, dass man heiratet
Adam und Eva — die ersten Menschen in der Bibel
Down-Syndrom (n., nur Singular) — auch: Trisomie 21; eine Art der Behinderung, bei der die Menschen bestimmte körperliche und geistige Eigenschaften haben
sich nach jemandem/etwas sehnen — sich sehr wünschen, dass jemand/etwas da ist
Pädagoge, -n/Pädagogin, -nen — jemand, der sich beruflich mit Bildung und Erziehung beschäftigt (z. B. ein Lehrer/eine Lehrerin)
Dating-Portal, -e (n.) — eine Internetseite, auf der man nach einem Liebespartner oder partnerin suchen kann
Beeinträchtigung, -en (f.) — die Tatsache, dass etwas nicht oder nicht so gut funktioniert; die Tatsache, dass man in einem bestimmten Bereich Probleme hat
human — menschlich
Penis, -se (m.) — das Geschlechtsorgan des Mannes
Geschlechtsteil, -e (n.) — die Körperteile, mit denen Menschen Sex haben, z. B. Vagina und Penis
masturbieren — sich selbst sexuell befriedigen
zusammen|krachen — umgangssprachlich für: kaputtgehen; auseinanderbrechen
einvernehmlich — so, dass alle einverstanden sind; so, dass alle dieselbe Meinung haben
gastgebend — so, dass jemand Gastgeber ist; so, dass jemand zu sich einlädt
Partei, -en (f.) — hier: eine bestimmte von mehreren Personen oder Gruppen
etwas verhandeln — gemeinsam über etwas sprechen, das einen betrifft, und dann eine gemeinsame Lösung finden
von etwas profitieren — einen Vorteil durch etwas haben
gleichaltrig — so, dass man etwa gleich alt ist
etwas nehmen, wie es ist — etwas akzeptieren; nicht versuchen, etwas zu ändern