Veronika Khorolksa, Filmemacherin und Teilnehmerin im Projekt MediaFit, erzählt in einem Dokumentarfilm, wie ein Mann trotz großer Gefahr mehr als 8000 Menschen aus der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol rettete.
Standbild aus "Hope for All", einem Dokumentarfilm über die Flucht tausender Menschen aus Mariupol in der Ukraine
Ein älteres Ehepaar sitzt emotionslos da und erzählt ruhig von den Bomben. Von ihrem Haus, das bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist. Und davon, dass sie alles verloren haben, was sie besitzen, einschließlich ihrer Pässe. Sie haben es geschafft, aus ihrer Heimatstadt zu fliehen, dem von Russland besetzen Mariupol in der Ostukraine.
Sie gehörten zu den etwa 8000 Menschen, die weniger als einen Monat nach der russischen Invasion am 24. Februar 2022 mit Bussen aus der umkämpften Stadt in der Ostukraine gebracht wurden. Ihre Zukunft war ungewiss, aber zumindest überlebten sie die tödliche Gewalt.
Menschen aus Mariupol in Sicherheit zu bringen, erschien als ebenso unwahrscheinlich wie gefährlich - doch für diese Geflüchteten wurde das Wunder wahr.
Ein Ehepaar aus Mariupol, das in seinem durch russische Bomben zerstörten Haus alles verloren hat. Sie gehörten zu den ersten, denen Askold Kvyatkovsky bei der Flucht half.
"Vor dem Krieg hatte ich ein Event-Unternehmen", erklärt Askold Kvyatkovsky aus Mariupol gelassen in die Kamera, während er den Schweiß auf seiner Stirn ignoriert. Es folgen traumhafte Bilder von Gala-Partys und von ihm, der zwei Jahrzehnte lang in vergleichsweise friedlichen Zeiten ausgefallene Partys veranstaltet hat.
Doch dann "stellte sich das Leben auf den Kopf", erklärt Kvyatkovsky in dem neuen Dokumentarfilm. "Auf Feiern, Freude, Veranstaltungen und Überraschungspartys folgten ständiger Stress und die Ahnung, dass etwas Schlimmes passieren würde.”
Kvyatkovskys außergewöhnliche Reise vom Entertainer zum heldenhaften Rettungsfahrer ist das Thema des 43-minütigen Dokumentarfilms “Hope for All” ("Hoffnung für alle"), der im Rahmen des von der EU und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten MediaFit-Projekts der DW Akademie entstand. Die Filmemacherin Veronika Khorolska gehört zu den mittlerweile 60 MediaFit-Stipendiatinnen und -Stipendiaten, die an Podcasts, Multimedia-Reportagen, Filmen, Fotodokumentationen und Fact-Checking-Projekten gearbeitet haben.
Der Creators Fund im Rahmen von MediaFit bietet ukrainischen Medienschaffenden finanzielle Unterstützung, damit sie hochwertige und vielfältige Medienprodukte entwickeln und produzieren können.
Filmemacherin Veronika Khorolska stellt in "Hope for All" Askold Kvyatkovsky in den Mittelpunkt. Er organisierte Busse und half so über 8000 in Mariupol eingeschlossenen Menschen bei der Flucht.
Große Wirkung
So fesselnd Kvyatkovskys Geschichte auch ist - Khorolska berichtet, dass sie zunächst zwischen verschiedenen Themen für ihren Film schwankte, bevor sie sich für ihn als einzigen Interviewpartner entschied.
"Ich habe etwa vier Stunden mit ihm gesprochen", erinnerte sie sich während einer Podiumsdiskussion bei einer Konferenz der DW Akademie in Bonn. "Ich war mir nicht sicher, ob nur ein Protagonist ausreichen würde. Aber Tatsache ist, dass diese eine Person einen großen Einfluss auf viele Menschen hatte, einschließlich vieler Waisenkinder in Mariupol."
Eine Stadt im Belagerungszustand
Anfang März 2022 waren in Mariupol der Strom und andere Versorgungseinrichtungen abgestellt worden. Geschäfte wurden geplündert, und die Menschen wärmten sich in der eisigen Kälte an Lagerfeuern auf der Straße. In einem selbst gedrehten Video aus dieser Zeit verkündet Kvyatkovsky jedoch fröhlich, dass es ein guter Tag sei, denn in der Nähe sei zwar eine Bombe gefallen, aber nicht explodiert.
Sein Galgenhumor weicht bald dem Entsetzen und der Hilflosigkeit, als ein Freund ihn in einen Luftschutzkeller einlädt, wo Kvyatkovsky etwa 300 Menschen sieht, die in grauem Kellerstaub zusammengekauert sind, Einwegteller aus Plastik halten und um Essen betteln. Die meisten von ihnen, so stellt er fest, sind Kinder.
Kvyatkovsky bittet seinen Freund um etwas Benzin und läuft zu seinem Auto zurück, das gerade von Scharfschützen beschossen worden war. Mit einigen Kindern aus dem Keller im Schlepptau beginnt er die erste von vielen Fahrten aus Mariupol heraus. Er und seine Mitfahrenden haben gelacht, erinnert er sich, aber es sei ein nervöses Lachen gewesen, am Rande der Hysterie. Sie erreichten Dörfer, deren Namen er nicht nennen möchte, in denen sich die Einwohnerinnen und Einwohner bereit erklärten, die Geflüchteten aufzunehmen.
"Gott segne sie", sagt er mit einem Lächeln. "Sie sind wahre Helden."
Eine Einwohnerin von Mariupol, die mit einem der von Askold Kvatkovsky organisierten Busse aus der Stadt fliehen konnte.
Doch es gibt kein Ausruhen. Kvyatkovsky mietet bald einen Bus - und kurz darauf zwei weitere - und die Karawane ist schnell wieder auf der Straße, auf dem Weg nach Mariupol. Ein kleiner Junge mit seiner Großmutter, Mütter mit Kleinkindern, Witwen, die alle Angst haben, den Bunker zu verlassen - der Dokumentarfilm zeigt, wie sich die Fahrgäste in den Bussen drängen und aus beschlagenen Fenstern winken. Insgesamt wird Kvyatkovsky sieben Fahrten organisieren.
"Man lernt alles auf der Flucht", sagt Kvyatkovsky. "Niemand bringt dir Evakuierung und Rettung bei. Das musst du alles ad hoc lernen."
Widerstandsfähigkeit
Als die Bedingungen durch die immer häufigeren Bombadierungen und Anschläge noch gefährlicher werden und die Behörden von seinen Rettungsbemühungen erfahren, beschließt Kvyatkovsky, selbst nicht mehr zu reisen. Er rekrutiert stattdessen weitere Freiwillige, darunter eine OP-Schwester. Auf Instagram berichtet er von den Rettungsfahrten mit den Bussen. Menschen in den Vereinigten Staaten und Neuseeland bieten an, aus der Ferne zu unterstützen. Viele helfen bei der Übermittlung von Nachrichten, wenn die Kommunikation in Mariupol unmöglich wird. Kvyatkovsky nutzt diese Informationen, um die Fahrten der Busse zu organisieren.
Später hört er von einem 12-jährigen Mädchen und ihrem Vater, die ihre Mutter und andere Verwandte verloren hatten, bevor sie Mariupol mit einem der Rettungsbusse verließen. Das junge Mädchen hatte vor der Flucht mehrere Finger verloren, aber sie erzählt ihm, dass sie und ihr Vater es nach Deutschland geschafft hatten und ihre Hände durch eine Operation gerettet werden konnten. In einem Video spielt sie für ihn auf der Flöte.
Das Projekt "MediaFit Program for Information Integrity in Southern and Eastern Ukraine” (2021-2024) wird von der EU finanziert und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt. Der Creators Fund ist ein Kernelement von MediaFit. Ziel ist es, innovative und relevante Medieninhalte für das regionale Publikum in der Ukraine zu fördern.