Viktor Pichuhin, wie berichtet man über den Krieg in der eigenen Heimat? | Europa/Zentralasien | DW | 07.08.2023
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Europa/Zentralasien

Viktor Pichuhin, wie berichtet man über den Krieg in der eigenen Heimat?

Als Journalist und Research und Development Director arbeitet Viktor Pichuhin für das regionale Medium Nakipelo in der Ukraine. Die DW Akademie sprach mit ihm über seine Erfahrungen als Kriegsjournalist.

Viktor Pichuhin stammt aus der Region Charkiw im Osten der Ukraine. Seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine berichtet er vor allem aus den befreiten ukrainischen Gebieten, und unterstützt als Trainer der DW Akademie andere Journalistinnen und Journalisten. Beim Global Media Forum 2023 der Deutschen Welle in Bonn teilte er seine Erfahrungen in der Session "Is it scary? Reporting on the war in Ukraine".  

 

DW Akademie: Wie fühlt es sich an, über Menschen zu berichten, die alles verloren haben?  

Pichuhin: Natürlich ist das emotional unglaublich schwer. In meinem Heimatland findet gerade ein Krieg statt, in meiner Heimatstadt, in der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Manchmal muss ich bei meiner Arbeit mit Menschen sprechen, die ich schon mein halbes Leben lang kenne, und die durch den Krieg alles verloren haben. Körperlich ist das ebenfalls sehr anstrengend, wegen der vielen Gefahren, die im Krieg drohen. Ständig müssen wir unseren Ganzkörperschutz tragen.  

Gleichzeitig zeigt mir diese Zeit des Krieges, warum meine Arbeit so wichtig ist. Es gibt so viele Geschichten, die niemals erzählt werden würden, wenn es uns nicht gäbe. Die Leute würden nie von den vielen Heldinnen und Helden erfahren, und auch nicht von den furchtbaren Verbrechen, die Russland in diesem Krieg verübt. 

Seit dem 24. Februar sehe ich noch deutlicher, warum mein Beruf so wichtig ist und warum ich ihn ausüben muss, auch wenn es oft hart und ermüdend ist.  

Wie schützen Sie sich und Ihre mentale Gesundheit? 

Wir haben an verschiedenen Trainings teilgenommen und bieten diese auch anderen Journalistinnen und Journalisten an. Ein wichtiger Aspekt dabei ist zu lernen, wie du es vermeidest, dich selbst und die Protagonistinnen und Protagonisten deiner Geschichten zu traumatisieren. Das klappt natürlich oft nicht, denn du sprichst mit traumatisierten Menschen, die durch den Krieg alles verloren haben. Du kannst hinterher nicht einfach unberührt nach Hause gehen, und auch ich trage diese Geschichten weiter mit mir herum. 

Was mir dabei hilft, nicht komplett durchzudrehen, sind die positiven Geschichten, die ich ebenfalls bei mir trage: die Geschichten von Menschen, die nicht nur ihr eigenes, sondern auch die Leben anderer gerettet haben, zum Beispiel ihre Nachbarinnen und Nachbarn oder einfach Katzen und Hunde auf den Straßen. Die Menschen, die alles riskiert haben, um anderen zu helfen. Diese Geschichten helfen mir, die furchtbaren ein Stück weit auszugleichen. Was nicht heißt, dass du die furchtbaren Geschichten dadurch komplett vergisst.  

Niemand verlässt ein Kriegsgebiet ohne Trauma, es gibt so viel Schmerz und Tränen, und diese Geschichten beschäftigen dich weiter, auch wenn du längst an einem friedlichen Ort bist.  

Was sind Ihre drei wichtigsten Ratschläge für die Berichterstattung aus einem Kriegsgebiet? 

Der erste Ratschlag entspricht dem Eid des Hippokrates: Füge niemandem Schaden zu. Du musst immer berücksichtigen, dass du durch deine Arbeit und Berichterstattung niemandem Leid zufügst, weder psychisch noch physisch. Stell dir immer die Frage: Kann meine Arbeit Zivilistinnen und Zivilisten oder Soldatinnen und Soldaten an der Front direkt oder indirekt gefährden?  

Zweitens musst du immer deine eigene Sicherheit im Blick behalten, körperlich und mental. Du musst deine schusssichere Weste anziehen und dein Erste-Hilfe-Kit bei dir tragen, und du musst wissen, wie du es richtig verwendest. Es gibt viele Journalistinnen und Journalisten, die ein Sicherheits-Kit besitzen, aber nicht wissen, wie sie damit beispielsweise eine Blutung stoppen.  

Und der dritte Ratschlag: Versuche immer, etwas Positives zu finden, selbst an den dunkelsten Orten, selbst in den Schützengräben. Wenn du nur über Tod und Zerstörung berichtest, wird dich das früher oder später psychisch fertig machen. Und wenn es dich psychisch tötet, kann es dich auch körperlich töten, denn du wirst rücksichtsloser, stumpfst ab, oder du bekommst Panik. Vielleicht wird dir auch deine körperliche Sicherheit komplett egal, weil du Depressionen bekommst. Daher versuche, auch in der dunkelsten Situation einen Lichtblick zu finden. Das hält dich am Leben.  

 

Viktor Pichuhin arbeitet als Trainer der DW Akademie für das Projekt MediaFit. MediaFit wird von der EU finanziert und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kofinanziert. Ursprünglich konzentrierte sich das Programm auf wirtschaftliche Aspekte von Medien und Medieninnovation in der Süd- und Ostukraine. Jetzt konzentriert es sich auf Überlebenshilfe in Kriegszeiten für 14 unabhängige Regionalmedien. 

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