Die Ukraine “ist ein gefährlicher Ort – besonders für Journalistinnen und Journalisten“ | Medien und Konflikt | DW | 14.06.2022
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Interview

Die Ukraine “ist ein gefährlicher Ort – besonders für Journalistinnen und Journalisten“

Der Medienforscher Roman Horbyk ist nach sechs Wochen Aufenthalt aus der Ukraine zurückgekehrt. Er hat mit der DW Akademie über die Bedarfe von Journalistinnen und Journalisten in dem kriegsgeplagten Land gesprochen.

Roman Horbyk war in die Ukraine gereist, als Russland sein Heimatland angriff. Die folgenden sechs Wochen versuchte er vergeblich, nach Schweden auszureisen, wo er mit seiner Familie lebt und als Medienforscher an der Södertörn Universität arbeitet. Die Zeit nutzte er, um Medienschaffende zu trainieren.

Nach seiner Rückkehr sprach er mit der DW Akademie über seine Erfahrung als Medientrainer in der Ukraine und darüber, was ukrainische Journalistinnen und Journalisten in dieser schwierigen Zeit brauchen.

 

DW Akademie: Sie haben Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine geschult – sowohl vor der Invasion Russlands als auch jetzt, während des Kriegs. Im Mai konnten Sie zurückkehren nach Schweden. Wie haben sie die Situation von Medienschaffenden in Ihrem Heimatland erlebt?

Roman Horbyk: Das Land ist ein gefährlicher Ort für alle Menschen geworden – aber besonders für Journalistinnen und Journalisten. Sie sind doppelt gefährdet: zum einen, weil sie von der Front und den Kämpfen berichten und zum anderen, weil Russland sie gezielt attackiert.  

Journalistinnen und Journalisten haben großen Einfluss und die Medien gehören in der Ukraine im Moment zu denen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt entscheidend fördern. Das ist ein Kontrast zu Russland, wo Journalistinnen und Journalisten ein Arm des Staats sind. Sie sind Teil der staatlichen Propaganda und Informationspolitik. Ich denke, Russland ist sich dessen sehr bewusst und genau deshalb sehen wir, dass Kämpfende auf russischer Seite gezielt Medienschaffende ins Visier nehmen.  

Neben der Lebensgefahr hat der Krieg große wirtschaftliche Auswirkungen auf Journalistinnen und Journalisten. Alle Medienschaffenden in der Ukraine haben seit Kriegsbeginn massiv an Einkommen verloren. Es ist unklar, wie lange sie werden durchhalten können. Finanzielle Unterstützung für Journalistinnen und Journalisten – zum Beispiel durch den Erlass von Studiengebühren an Universitäten in der EU für Geflüchtete – wären ein guter Anfang, Stipendien noch besser.  

DW Akademie | Dr. Roman Horbyk

Nachdem er seine Mutter bei Ausbruch des Krieges aus Kiew geholt hatte, lebte Dr. Horbyk bei Freunden in Lwiw, wo er als Freiwilliger arbeitete und Schulungen durchführte

Was brauchen Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine am meisten? 

Nun, die Ukraine braucht viele Dinge. Allen voran Waffen. So gesehen ist Journalismus gerade nicht die oberste Priorität. Aber er ist dennoch enorm wichtig, denn auch Information wird oft als Waffe genutzt. Wir erleben täglich, dass psychologische Kriegsführung zum Einsatz kommt. Wir sehen das Ausmaß der Propaganda der russischen Staatsmedien und wie sie versuchen, in der Ukraine bestimmte Narrative zu verbreiten. Es ist wichtig, Journalistinnen und Journalisten so zu qualifizieren, dass sie mit eingeschränkter Berichterstattung, Zensur und Propaganda umgehen können und noch dazu in widrigen Umständen arbeiten können.  

Wie sah Ihre Arbeit als Trainer für die Journalism Teachers’ Academy vor und nach Kriegsbeginn aus? 

Die Idee [hinter meiner Arbeit] ist es, Journalistenausbilderinnen und -ausbildern zu helfen, gute Lehrpläne und Kurse zu entwickeln. Das bedeutet: praxisorientiert, mit den Studierenden im Mittelpunkt und passend zur heutigen Medienlandschaft. Dazu gehören mehrere Aspekte. Erstens müssen Dozentinnen und Dozenten ein Umfeld schaffen, in dem Studierende aktiv werden und gemeinsam mit den Lehrenden Ideen entwickeln. Zweitens müssen die Lehrkräfte in der Lage sein, ihre Lernziele so zu formulieren, dass sie messbar und praxisorientiert sind. Drittens müssen sie mit konkreten Werkzeugen ausgestattet werden, die sich gleichermaßen für Offline-, Online- und hybrides Lernen eignen und sich effektiv auch ein eine Generation von Medienschaffenden richtet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist.  

Im Moment ist es aber schwierig, solche langfristigen Pläne zu machen. Deshalb liegt der Fokus auf kurzfristigen Online-Schulungen zum Beispiel zur Kriegsberichterstattung.

DW Akademie | Journalisten-Training Ukraine

Aufgrund der Schwierigkeiten, innerhalb der Ukraine sicher zu reisen, wurden die Workshops zur Kriegsberichterstattung online abgehalten

Haben Sie Empfehlungen, was ausländische Organisationen gerade tun können, um ukrainische Journalistinnen und Journalisten zu unterstützen? 

Wir brauchen ein Schulungsprogramm für Militärs, die im Krieg mit Journalistinnen und Journalisten zu tun haben. Das wäre ein guter Anfang. Dann könnte man die ukrainische Regierung mit Expertise in ihrer Medienarbeit unterstützen, insbesondere hinsichtlich der Krisenkommunikation durch das Militär.  

Die ersten Wochen der Invasion waren eine Zeit der kooperativen Kommunikation. Es gab nur wenige Beschränkungen, und Informationen verbreiteten sich schnell. Ich denke, das verschaffte der Ukraine einen natürlichen Vorteil gegenüber Russland, das sofort sehr strenge Vorschriften und Zensur einführte.  

Mittlerweile müssen sich Journalistinnen und Journalisten mit komplexen Vorschriften der ukrainischen Regierung auseinandersetzen, die so ziemlich alle Varianten der Kriegsberichterstattung einschränken. So ist es beispielsweise nicht erlaubt, über die Folgen von Raketeneinschlägen zu berichten, weil dies angeblich dem Feind hilft, besser zu zielen. 

Ich verstehe, dass wir im Krieg sind und wir nicht wie bisher arbeiten können. Es muss Regeln geben, aber wir müssen auch kritisch hinterfragen, ob alle diese Beschränkungen klug und vernünftig sind. 

 

Dr. Roman Horbyk ist Trainer der Journalism Teachers' Academy, einer gemeinsamen Initiative des Ukrainischen Medien- und Kommunikationsinstituts und der DW Akademie. Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderte Projekt schult Journalistenausbildende in der Ukraine zu Themen wie der Bekämpfung von Falsch- und Desinformation und Medienmanagement. 

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