MediaFit: Ein Dokumentarfilm und Buch berichten über Geiselnahmen im Ukrainekrieg | Europa/Zentralasien | DW | 12.06.2024
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Europa/Zentralasien

MediaFit: Ein Dokumentarfilm und Buch berichten über Geiselnahmen im Ukrainekrieg

Mit Unterstützung der DW Akademie hat Olha Volynska einen Dokumentarfilm gedreht über zivile ukrainische Geiseln, die während der russischen Invasion entführt wurden. In ihrem neuen Buch kommen Überlebende zu Wort.

In den ersten Minuten des Dokumentarfilms „Invisible“ bespricht ein Paar mittleren Alters eine Lieferung Lebensmittel und Kleidung für die Hunderte von Vertriebenen in der Ostukraine. Sachlich gehen sie die Bestände in einem kleinen, aber gut sortierten Lagerhaus durch und sortieren Kinderwagen und Windeln, Kochutensilien und Jacken sowie Gehhilfen für ältere und behinderte Menschen. 

Für Natalia und Yurii Trehubko ist der Krieg nie weit von ihrer Heimatstadt Cherson entfernt. Ihre ehrenamtliche Arbeit ist ständige Erinnerung an die allgegenwärtige Entbehrung und Verzweiflung. An diesem Tag im Lagerhaus werden die Waren Menschen helfen, die nach dem Bruch des nahe gelegenen Kachowka-Damms am 6. Juni 2023 aus ihren Häusern in einem überfluteten Gebiet vertrieben wurden.  

Das Sortieren und ihr Ehrenamt sind jedoch für beide therapeutisch – ein Mittel, um über das Gräuel des Krieges, das unaussprechlich und zugleich furchtbar persönlich ist, zu triumphieren.  

Monate zuvor wurde Yurii Trehubko, der in Friedenszeiten als Aktivist gegen Korruption gearbeitet hatte, in einer der vier in und um Cherson eingerichteten Folterkammern gefangen gehalten. Auch seine Frau wurde später entführt und in eine Zelle gesperrt. Doch während ihr Mann der Spionage und des Terrorismus beschuldigt wurde, erfuhr sie nie, warum sie inhaftiert war. Er musste Elektroschocks und Schläge ertragen, sie sexuelle Übergriffe. Ihr Sohn im Teenageralter wusste nicht, wo seine Eltern waren. 

„Den Stress und Schock, den ich erlebt habe“, raunt Natalia Trehubko im Film, „kann ich nicht beschreiben.“ 

Die Zivilbevölkerung als Geiseln

Dies zu tun war das Ziel von Filmemacherin Olha Volynska. Sie interviewte das Paar zusammen mit einem Teenager, seiner Mutter und seinem Onkel und einem Mann aus Mariupol, der die Bewohnerinnen und Bewohner aus der bombardierten Stadt herausbrachte. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie von russischen Soldaten ̶ ohne Provokation oder Grund ̶ entführt und ohne Erklärung oder formale Anschuldigung festgehalten wurden.

Olha Volnyska | ukrainische Filmemacherin

Olha Volysnka, eine ukrainische Filmemacherin und Autorin, berichtet von Zivilistinnen und Zivilisten, die die russische Invasion in ihrem Heimatland überlebt haben.

„Jeder von ihnen hatte sich bei [einer Menschenrechtsorganisation] beworben“, sagt Volynska, die zu dieser Zeit für die Organisation SICH tätig war. Nachdem sie von ihren Vorgesetzten die Erlaubnis erhalten hatte, wandte sie sich mit ihrer Idee für einen Dokumentarfilm an die Opfer. Daraus wurde schließlich ihre Arbeit im Rahmen von MediaFit, einem Förderprogramm der DW Akademie für die unabhängige regionale Medienproduktion in der Ukraine.

Ihr 42-minütiger Film „Invisible“ wurde als einer der besten Dokumentarfilme ausgewählt, die im Rahmen des Creator's Fund von MediaFit seit dem Start des Projekts im Jahr 2021 veröffentlicht wurden. Seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2023 wurde der Film unter anderem in Rom, Vilnius, Prag und Warschau gezeigt. 

Volynska sagt, dass sie bei ihrer Arbeit im Bereich der Menschenrechte von Geschichten über willkürliche Geiselnahmen von Zivilisten und Zivilistinnen in der Ukraine besonders angezogen wurde, im Gegensatz zu militärischen Manövern und Kriegsgefangenen.

Dokumentarfilm Invisible | von Olha Volnyska | Vorführung in Vilnius

Volynskas Film „Invisible“ erreichte ein Publikum außerhalb der Ukraine, wie hier Vilnius, Litauen.

„Die russischen Streitkräfte haben dies auch in Syrien, Tschetschenien und Georgien getan“, sagt sie. "Aber in der Ukraine ist es das größte Ausmaß dieser Art von Verbrechen. Es ist ein Instrument der totalen Angst mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung zum Schweigen zu bringen und unter Kontrolle zu halten. Es gibt keinen wirklichen Mechanismus innerhalb der Genfer Konvention, der für die Freilassung von Zivilistinnen und Zivilisten gilt." 

Trauma und Erinnerung  

Bei den Dreharbeiten zu „Invisible“ hat Volynska auch gelernt, Quellen zu überprüfen und Fakten zu checken. Ihre Informantinnen und Informanten hätten eidesstattliche Erklärungen über ihre Erfahrungen abgegeben, und ukrainische Strafverfolgungsbehörden hätten inzwischen Ermittlungen zu den Behauptungen im Film eingeleitet, sagt sie. Dies sei für einen Film, der Folter und Inhaftierung thematisiert, von entscheidender Bedeutung.  

„Ich weiß, dass die Erinnerungen von Opfern, die gefoltert wurden, beeinträchtigt werden“, sagt sie. "Sie können unfreiwillig vergessen, was passiert ist, weil die Erfahrung so schrecklich war.”

Buch | Wie der Krieg uns verändert | von Olha Volnyska

Volynska stellt in ihrem Buch „How War Changed Us“ (Wie der Krieg uns veränderte) zwölf ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten vor, die die russische Aggression im Krieg überlebt haben.

Doch das Thema Trauma und Erinnerung inspiriert ihre Arbeit weiterhin. Im Oktober veröffentlichte Volynska das Buch „How War Changes Us“, eine Sammlung von zwölf Interviews mit ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern, darunter Ärztinnen und Ärtze, ein Journalist, ein Priester und ein Schriftsteller, die alle ihre persönlichen Erlebnisse inmitten des Krieges beschreiben. 

Ein größeres Publikum erreicht

Das Buch hat anerkennende Kritiken erhalten, unter anderem vom österreichischen Kritiker Christoph Hartner in der Kronen Zeitung, der schreibt, sie erzähle “Geschichten, die zutiefst berühren”. Volynskas Werk sei sei „in gleichem Maße ein Zeitdokument, eine Anklage und ein Plädoyer für die Menschlichkeit.” 

Volynska betont, dass sie mit ihrer Arbeit versucht, Geschichten zu erzählen, die sonst wahrscheinlich nicht an die Weltöffentlichkeit gelangen würden – Geschichten über das alltägliche Leben inmitten von Krieg und Terror. Deshalb sei die Unterstützung durch die DW Akademie so wichtig gewesen.   

„Mein Ziel war es, meinen Film außerhalb der Ukraine zu zeigen“, sagte sie. "Und außerhalb Europas. Er wird sogar an Universitäten in den Vereinigten Staaten gezeigt werden. Ohne die Förderung durch die DW Akademie wäre das nicht möglich gewesen. Sie hat mir geholfen, ein viel größeres Publikum zu erreichen. Wenn man ein Herz hat, tut es weh, und es spielt keine Rolle, in welchem Teil der Welt man lebt."

 

MediaFit, das von der Europäischen Union mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert wird, unterstützte zwischen 2021 und 2024 Medienschaffende in der Ukraine. Das neue Projekt "Strengthening independent media for a strong democratic Ukraine" wird sich weiterhin auf die Unterstützung von Nischenmedien im Land sowie auf Medien- und Informationskompetenzprogramme für ein jüngeres Publikum konzentrieren und mit der ukrainischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Suspilne zusammenarbeiten. 

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