RE:Cover-Konferenz zur Ukraine

Im Dezember fand in Bratislava die Re:Cover-Konferenz des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) statt. Es ging um die Frage, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine den Journalismus verändert.

Slowakei | Konferenz Re:Cover Ukraine
Bild: @ECPMF/Andreas Lamm

"Es gibt nicht genügend Worte, um diesen Krieg zu beschreiben". Es ist der 289. Tag des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Sevgil Musaieva, Chefredakteurin der Onlinezeitung Ukrainska Pravda, spricht per Video zu den Teilnehmenden der Konferenz "Re:Cover – How Russia’s War in Ukraine Changes Journalism"in Bratislava. Sie ist aus Kiew zugeschaltet, im Hintergrund ist ein Generator zu hören. Er stellt die Arbeitsfähigkeit der Journalistinnen und Journalisten sicher. Musaievas Worte sind klar und deutlich zu hören: “Nach diesem Krieg werden wir bessere Menschen sein. Wir werden so viel mehr Empathie haben, so viel mehr Liebe.”  

Zerstörung der ukrainischen Medienlandschaft als Kriegsziel?

Die Konferenz bot einen Rahmen, um die Situation ukrainischer Journalistinnen und Journalisten zu diskutieren, von denen viele am 24. Februar 2022 schlagartig zu Kriegsberichterstattenden wurden. Mindestens 215 Medien mussten schließen, zahlreiche Medienschaffende verloren ihre Stellen und mussten fliehen. Mindestens zwölf Journalistinnen und Journalistensind bei der Ausübung ihres Berufs getötet worden. Die Angriffe der russischen Armee auf die Nachrichteninfrastruktur des Landes legen die Vermutung nahe, dass die Zerstörung der ukrainischen Medienlandschaft ein Kriegsziel ist. Infolgedessen findet eine enorme Transformation statt.  

Während es regionale Unterschiede gibt, spielen Zeitung und Radio eine immer geringere Rolle. Die Sozialen Medien in Form von Telegram, Facebook und Youtube sind zu den wichtigsten Informationskanälengeworden. Gleichzeitig sind Werbeinnahmen eingebrochen, weshalb viele Medien auf private Förderung oder Förderprogramme angewiesen sind. Journalistinnen und Journalisten im Exil sind ebenfalls abhängig von den neuen Finanzierungsmodellen, für viele ist es nicht ohne weiteres möglich, für ein vergleichbares ausländisches Medium zu arbeiten.  

Wie arbeitet man in einem Land unter Beschuss? Und was brauchen Journalistinnen und Journalisten, um ihre Arbeit auszuüben? 

Für die Menschen im Krieg sind Informationen über das Geschehen aber lebensnotwendig. Hier versucht die internationale Unterstützung anzusetzen. Sie baut auf mehreren Säulen auf und bezieht ukrainische Partnerinnen und Partner mit ein: grundsätzlich ist das oberste Kriterium, die physische Sicherheit von Medienschaffenden zu gewährleisten. Das beinhaltet die Bereitstellung von Ausrüstung und die Durchführung von Sicherheitstrainings, aber auch die Evakuierung in konkreten Gefahrensituationen. In der Ukraine arbeiten auf diesem Gebiet die Media Development Foundation (MDF), das Lviv Media Forum, Internews und das Institute of Mass Information (IMI). 

Ein zweiter Aspekt der Unterstützung beinhaltet die digitale Sicherheit. Hier werden Trainings durchgeführt, um die persönlichen Daten der Journalistinnen und Journalisten zu schützen. Durch ihre Arbeit werden nicht nur sie selbst zum Ziel russischer Cyberattacken, es kann auch deren Angehörige treffen. Auf Telegram wurden in der Vergangenheit von pro-russischen Accounts die persönlichen Daten von Familienmitgliedern geteilt – die Folgen waren Drohanrufe und Nachrichtenterror. 

Die dritte zentrale Säule ist die psychosoziale Unterstützung: ukrainische Medienschaffende sind mit traumatisierenden Ereignissen konfrontiert. Viele von ihnen leben weiterhin auf ukrainischem Staatsgebiet und sind der ständigen Gefahr von Raketenbeschuss ausgesetzt. Russische Soldatinnen und Soldaten üben Kriegsverbrechen aus und setzen laut Pramila Patten, Sonderbeauftragte der UN für sexuelle Gewalt in Konflikten, Vergewaltigungen gezielt als Kriegstaktik ein.

Das ECPMF setzt mit dem Programm "Voices of Ukraine" im Rahmen der "Hannah-Arendt-Initiative" auf diesen drei Säulen auf: ausgewählte Journalisten und Journalistinnen erhalten Notfall-Stipendien und Trainings oder können im Rahmen des Journalists-in-Residence-Programms für sechs Monate in Sicherheit im Kosovo leben und arbeiten. Zudem wird Geld für ukrainische Medien zur Verfügung gestellt, die zerstörtes Equipment ersetzen müssen. 

Dokumentation des Krieges

Zusätzlich zur Aufgabe, die Bevölkerung objektiv zu informieren, übernehmen Reporterinnen und Reporter an der Front auch die Aufgabe der Dokumentation: ihre Interviews mit Zeuginnen und Zeugen können künftig eine zentrale Rolle in der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen spielen. Das Reckoning Project und das Russian War Crimes House arbeiten in diesem Bereich. Die Psychologin Natalia Stoietska beschreibt auf der Konferenz, dass viele Menschen in der Ukraine gegenwärtig "wie eingefroren" seien, um den Horror nicht zu spüren und ihre Psyche zum eigenen Schutz "einkapselten". Heilung sei erst möglich, so Stoietska, sobald der Horror des Krieges vorüber sei. Der juristischen Aufarbeitung und der journalistischen Berichterstattung wird in diesem Prozess eine zentrale Rolle zukommen.  

Das Konferenz-Wochenende bot einen Raum für ukrainische Medienschaffende, um sich über zentrale Erfahrungen und Entwicklungen auszutauschen und zu vernetzen. Oder, wie es die Referentin Olena Semko ausdrückte: um wieder zu spüren, dass man Teil einer edlen Profession sei. Und um zu zeigen: "Wir sind hier und wir werden genügend Worte finden und nicht aufhören, bis unser Land vollständig befreit ist". 

ECPMF, die DW Akademie und weitere Organisationen sind Netzwerkpartner der Hannah-Arendt-Initiative der Bundesregierung. Mit der Initiative unterstützen das Auswärtige Amt und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffende sowie Verteidigerinnen und Verteidiger der Meinungsfreiheit, in Krisen- und Konfliktgebieten und im Exil.