Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine befinden sich viele Medienschaffende auf der Flucht. Benjamin Kämpfer, DW Akademie, sprach mit einigen im Rahmen der Re:Cover-Konferenz in Bratislava.
"Im Exil interessiert sich niemand für deine Ausbildung. Wenn du die Sprache nicht sprichst, existierst du nicht", sagt Alina aus Kiew. Sie ist Reisejournalistin und hat vor dem Krieg für eine ukrainische Website gearbeitet. Aktuell lebt sie in Südfrankreich im Exil. "Heute gibt es natürlich keinen Markt für Reisejournalismus in der Ukraine”, erzählt sie mir. Es sei sehr schwer, in einem fremden Land neu anzufangen.
Ich treffe Alina auf der Konferenz "Re:Cover: How Russia’s War in Ukraine changes journalism", organisiert vom European Centre for Media and Press Freedom (ECPMF) in Bratislava. Hier kommen Medienschaffende zusammen und sprechen darüber, wie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ihre Arbeit und ihren Alltag verändert hat. Im Gespräch wird deutlich: Jedes ukrainische Medium, das aufgrund des russischen Angriffskriegs schließen musste und jeder Journalist und jede Journalistin, der oder die nicht mehr arbeiten kann, wiegen schwer.
Alina erzählt, dass sie es bisher nicht geschafft habe, als freiberufliche Journalistin genügend Artikel zu veröffentlichen oder eine Stelle zu finden, um ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. In Frankreich sei sie auf Sozialhilfe und Lebensmittelspenden angewiesen. Einige ihrer Kolleginnen und Kollegen arbeiteten in Niedriglohnjobs. Es sei ein großes Glück, wenn man seine Stelle in der Ukraine auch im Ausland behalten könne.
Der Journalist Vasyl aus Kiew war im Urlaub, als der russische Angriff begann. Er entschloss sich, zu seiner Schwester nach Deutschland zu gehen. In der Ukraine hat er fürSuspilne, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gearbeitet. Seitdem er in Deutschland lebt, hilft er Kolleginnen und Kollegen bei ihren Videobeiträgen, doch es sei schwer, Themen vom Ausland aus zu recherchieren und Personen zu kontaktieren. Er berichtet, wie er seinem Chef vorgeschlagen habe, nach Kiew zurückzukehren, weil er dort besser helfen könne. Doch der habe ihm davon abgeraten.
Die mittlerweile in Großbritannien lebende Journalistin Olena Semko bezeichnet dieses Gefühl während einer Paneldiskussion als "berufliche Einsamkeit": das Gefühl, man werde im Ausland nicht von den ukrainischen Medien gebraucht. Über ihr Leben im besetzten Berdjansk im Oblast Saporischschja, ihre Flucht über Saporischschja und Kyjiw nach Großbritannien und ihr Leben im Exil hat sie mehrere Artikelveröffentlicht.
Benjamin Kämpfer, DW Akademie, sprach vor Ort mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern der RE:COVER-Konferenz.
Sie habe seitdem viele Nachrichten von Frauen erhalten, die ihre Erfahrungen ebenfalls teilen wollten. Das zeige, welchen Wert der Journalismus für Gemeinschaften haben kann, um Prozesse von "Heilung und Wiederherstellung" zu fördern. Zum Beispiel, indem berichtet wird, wie Menschen Zeiten von Not und traumatische Erlebnisse verarbeitet haben und wie sie gelernt haben, trotzdem weiterzuleben.
Die für das Online-Medium nv.ua arbeitende Journalistin Oleksandra Horchinska fügt hinzu, dass Gruppengespräche in einer sicheren Umgebung enorm wichtig seien, um das Erlebte verarbeiten zu können. Vielfach gehe es auch um Schuldgefühle gegenüber den eigenen Landsleuten, die weiterhin in der Ukraine leben.
Bei einem Gespräch zwischen zwei Podiumsdiskussionen beschreibt ein Teilnehmer, dass er sich nicht wohl dabei fühle, Beiträge auf Social Media zu posten, in denen es wirke, als habe er ein gutes Leben im Exil. Dabei ist er politisch aktiv, organisiert mit anderen Studentinnen und Studenten Proteste und klärt Deutsche über den Krieg auf. Mit den russischen Kommilitoninnen und Kommilitonen, die anfangs bei den Demonstrationen dabei waren, es immer schwieriger geworden, zu kooperieren. Als es darum ging, ein Plakat mit den Umrissen der Ukraine zu zeichnen, kam die Frage: "Gehört die Krim dazu?" – mittlerweile habe er keinen Kontakt mehr. Über die prorussischen Autokorsos in seiner Stadt schüttelt er nur verständnislos den Kopf.
Die Konferenz in Bratislava bietet für die Journalistinnen und Journalisten einen Ort des Austauschs. Viele der Teilnehmenden arbeiten unvermindert weiter daran, die Öffentlichkeit mit lebenswichtigen Informationen zu versorgen und objektiv über den Krieg zu informieren. Sie gehen dabei an ihre Grenzen und auch Alina ist das rastlose und unsichere Leben der letzten Monate anzumerken. Im Oktober ist sie von Frankreich nach Kiew zurückgekehrt, doch die anhaltenden russischen Drohnenangriffe ließen sie abermals fliehen.
Bereits im März hatte eine russische Rakete alle Wohnungsfenster ihrer in unmittelbarer Nähe lebender Mutter zerstört. Ihre Mutter stand zum Glück weit genug entfernt, sodass ihr nichts passiert ist. Die anschließenden Reparaturen mussten sie aus eigener Tasche zahlen. Kurzzeitig ist Alina bei einer Freundin in Berlin untergekommen. Sie sei zur Konferenz nach Bratislava gereist, um sich beruflich weiterzubilden und nach neuen Berufsmöglichkeiten zu suchen, aber ein mindestens genau so wichtiger Grund sei gewesen, sich an einem sicheren Ort aufzuhalten. "Einfach mal zu schlafen, zu arbeiten und endlich etwas ausruhen zu können."
ECPMF, die DW Akademie und weitere Organisationen sind Netzwerkpartner der Hannah-Arendt-Initiative der Bundesregierung. Mit der Initiative unterstützen das Auswärtige Amt und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffende sowie Verteidigerinnen und Verteidiger der Meinungsfreiheit, in Krisen- und Konfliktgebieten und im Exil.