Ein ganz normaler Auslandsblog? Lahm, dachten sich Tasnim Rödder und Sophie Wenkel, bevor sie in ihre Einsatzländer Namibia und Ghana flogen. In einem offenen Briefwechsel berichten sie seither von ihren Erfahrungen.
Ein Sprung in eine andere Welt, die (mediale) Perspektive wechseln und an die eigenen Grenzen stoßen. kulturweit und die DW Akademie schnüren mit ihrem Angebot des Freiwilligendienstes in verschiedenen Medienprojekten im Ausland einen Leckerbissen für alle Jungjournalisten und Medienverrückte.
Das wollten wir – Sophie, 23, freie Journalistin und Politik- und Ethnologiestudierende in Göttingen und ich, Tasnim, 24, freie Journalistin und Politikstudierende in Berlin – uns nicht entgehen lassen. Auf dem Vorbereitungsseminar im vergangenen September lernten wir uns kennen – ich mit der Aussicht, ein halbes Jahr in Windhoek, Namibia, als Radiojournalistin zu volontieren, Sophie mit dem Plan, sechs Monate im Büro der DW Akademie in Accra, Ghana zu arbeiten.
Uns beide verband nicht nur die Leidenschaft zum Journalismus, sondern auch eine Menge anderer Interessen – zum Beispiel Festivals, Berlin und andere unwichtige, aber vergnügliche Dinge des Lebens. Wir sind Freundinnen geworden. Freundinnen mit journalistischen Plänen, die über die "Pflicht"-Arbeit in den Büros und Redaktionen reichen sollte: Wir wollten einen gemeinsamen Blog schreiben.
Der Haken: Herkömmliche Auslandsblogs mit abgedroschenen "Ich habe Heimweh"-Phrasen gibt es im Internet wie Sand am Meer. Dem wollten wir nicht nacheifern, da waren wir uns einig. Dennoch wollten wir Freunde, Familie und Interessierte an unserem Leben im Ausland teilhaben lassen. Ein frischer Dreh für einen Blog musste also her, quasi ein Auslandsblog 2.0.
Diesen Dreh fanden wir: Aus der Brieffreundschaft zwischen Sophie und Tasnim sollte eine Blog-Freundschaft werden. Statt uns per Brief oder Mail auszutauschen, gab es einfach einen Link auf unseren Blog. Ein Briefwechsel, der für jeden einsehbar sein sollte. Ein Briefwechsel als Blog. Angereichert mit Musik-Playlisten, Videos, Fotogalerien und weiterführenden Links. Seit September können die Leserinnen dieses Blogs nun verfolgen, wie wir den Auslandsaufenthalt wahrnehmen – und zwar auf einer persönlichen, gar intimen Ebene.
Wir fragen uns gegenseitig: Was beschäftigt dich? Wie sieht dein Alltag aus? Wie erlebst du ihn? Während Sophie im tropischen Klima Accras per Taxi oder TroTro, dem ghanaischen Kleinbus, zur Arbeit düst, läuft Tasnim in trockener Hitze zum Funkhaus der Namibian Broadcasting Corporation (nbc). "Im zähen Großstadtverkehr rolle ich vorbei an Essensbuden, Kiosken und Kirchen vor denen Männer stehen und predigen. Uniformierte Kinder sind auf dem Weg zur Schule, Frauen tragen Metallkübel mit Obst oder Gebäck auf dem Kopf, Bettlerinnen und Bettler und fliegende Händler klopfen an mein Autofenster. Sie wollen mir Papaya-Schnitze, Wasserbeutel oder Plantainchips (Kochbananenchips) verkaufen", schreibt Sophie in einem ihrer Blog-Einträge.
Frisches Obst? Großstadtverkehr? Plantainchips? Von alldem erlebt man in der namibischen Hauptstadt Windhoek nichts. Obst und Gemüse werden aufgrund der Dürre und der schlechten landwirtschaftlichen Bedingungen aus Südafrika importiert, das Hauptnahrungsmittel der Namibier ist Fleisch. Und von Großstadt kann man erst recht nicht sprechen: Windhoek hat gerade einmal 250.000 Einwohner.
Zudem ist die Hauptstadt Namibias – im Gegensatz zu Accra – vor allem eines: Ziemlich europäisch. "31 Jahre dauerte die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia an, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wehte die Reichsflagge über "Deutsch-Südwestafrika". Dann hatte die offizielle Kolonialherrschaft ein Ende. Doch die Deutschen blieben – bis heute. Zwar sind sie nicht mehr so viele, aber sie hinterließen ein gewaltiges Erbe: u.a. deutsche Straßennamen, deutsche Unternehmen, nationalsozialistisches Gedankengut", schreibt Tasnim. Wie soll man mit solchen Strukturen umgehen, als junge Deutsche in einem Land, das maßgeblich von deutschen Gräueltaten geprägt wurde?
Sophie wusste in dieser Situation einen Rat: "Ich kann deine Bedenken sehr gut nachvollziehen. Auch ich habe Angst vor der Wucht der postkolonialen Strukturen, die sich in ihrer Gänze erst zeigen sollen, sobald die bisher abstrakten Erzählungen Realität werden. Dennoch, oder gerade deswegen, sollten wir versuchen, diese Negativität in etwas Positives zu wandeln. Lassen wir die Strukturen uns nicht kaputt machen, wie du schriebst, sondern lass uns gar nicht erst ein Teil davon werden."
Wie und ob dieser Rat gelungen ist und viele weitere Themen wie Religion, Heimweh, Krankheit, ja sogar Liebeskummer füllen die Einträge unseres Blogs. Auch eine gemeinsame Freundin, die in Luanda, Angola, ihren Freiwilligendienst absolviert, schrieb einen Brief an uns und reichert die Perspektiven auf den Auslandsaufenthalt in Afrika um eine weitere an.
Ende Februar 2019 endet der Freiwilligendienst. Und während die Erfahrungen, Konfrontationen und Erlebnisse im Ausland in den Hintergrund rücken, bleibt mindestens eines erhalten: Ein Bund der Freundschaft, besiegelt durch diesen Blog.