Gavin Rees: „Je mehr wir über Trauma wissen, desto widerstandsfähiger sind wir“ | Europa/Zentralasien | DW | 20.01.2023
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Interview

Gavin Rees: „Je mehr wir über Trauma wissen, desto widerstandsfähiger sind wir“

Die Bedrohungen für Medienschaffende sind komplexer geworden. Konflikte werden zunehmend auch online ausgetragen – neben Schutzwesten brauchen Journalistinnen und Journalisten auch digitale Kompetenz und Resilienz.

Zusammen mit ihrem lokalen Partner Association of Independent Press (API) nimmt die DW Akademie in Moldau verstärkt die Sicherheit von Medienschaffenden in den Blick. Bei einem kürzlich abgehaltenen Training standen neben dem physischen Schutz und Erster Hilfe für Journalistinnen und Journalisten auch Fragen der psychischen Gesundheit und Resilienz im Mittelpunkt. Der Brite Gavin Rees befasst sich seit mehr als 15 Jahren mit den psychischen Folgen journalistischer Arbeit und ist als Senior Advisor für das DART Centre for Journalism and Trauma Europe tätig. Für ihn ist klar: Psychische Sicherheit ist für Medienschaffende mindestens genauso wichtig wie körperlicher Schutz.

Wenn wir über die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten sprechen, beziehen wir uns oft auf den physischen Schutz und Situationen an vorderster Front. Denken Sie, dass psychologische Gefahren zu oft übersehen werden?

Wenn wir über physische Sicherheit sprechen, geht es häufig darum, in einem sehr stressigen Umfeld gute Entscheidungen zu treffen. Je mehr wir über unsere eigene Psyche wissen, desto fundierter können wir Entscheidungen treffen, wenn wir Traumata und Gewalt ausgesetzt sind. Journalistinnen und Journalisten, die mit anhaltenden psychologischen Problemen zu kämpfen haben, hatten häufig mit traumatisierten Bevölkerungsgruppen zu tun und fühlten sich dabei überfordert. Medienschaffende laufen Gefahr, auszubrennen, abzustumpfen oder andere Anfälligkeiten zu entwickeln, die sich aus ihrer Arbeit mit traumatischen Inhalten ergeben. Je mehr wir also über Traumata wissen, desto widerstandsfähiger sind wir wahrscheinlich. Dabei geht es nicht darum, selbstbezogen zu sein und unsere eigenen Gefühle über die der Bevölkerungsgruppen zu stellen, über die wir berichten. Vielmehr geht es darum, den Zusammenhang zwischen unserer eigenen psychologischen Situation und der Wirkung unserer Arbeit zu verstehen.

Sie sind nicht zum ersten Mal in Moldau, aber es ist das erste Mal, dass Sie hier zu Fragen der psychischen Gesundheit unterrichten. Was nehmen Sie aus diesem Training mit?

Journalistinnen und Journalisten in Moldau haben viele Ressourcen. Sie haben ihre Erfahrung und ihre Fähigkeiten. Aber vielleicht hatten sie bisher noch nicht so häufig Gelegenheit, zusammenzukommen und darüber zu sprechen, wie sie mit Einschüchterung, Online-Angriffen und so weiter umgehen. Die Menschen fühlen sich teils überfordert, wenn sie Angriffen von außen ausgesetzt sind, aber innerhalb der Gemeinschaft hier gibt es eine Menge Unterstützung und Möglichkeiten, Solidarität zu zeigen.

 

Der Ukraine-Krieg findet in unmittelbarer Nähe von Moldau statt. Welche Auswirkungen hat dies auf die Medienschaffenden hier?

Ich bin sicher, dass der Krieg Auswirkungen hat. Man könnte es als eine zusätzliche Hintergrundbelastung betrachten. Die Menschen hier denken vielleicht nicht die ganze Zeit bewusst darüber nach, aber die Möglichkeit, dass ein Krieg in ihr Land kommt, und die aktuelle die Spaltung der Gesellschaft in Moldau, schaffen ein Umfeld, das das Gefühl von Bedrohung und Stress noch verstärkt.

 

In den Sozialen Medien sind Medienschaffende zusätzlichen Bedrohung ausgesetzt. Gibt es Gruppen, die in dieser Hinsicht besonders gefährdet sind?

Journalisten, die über Themen wie Kriminalität und Korruption berichten, erhalten mehr Drohungen und Hassbotschaften. Einige politische und kriminelle Akteure bedienen sich der Online-Gewalt, weil sie sehr effektiv sein kann, um die Moral von Menschen zu untergraben. Wir sehen das vor allem in Fällen von Desinformation und so genannten Fake News, die das Berufsethos in Frage stellen und Journalistinnen und Journalisten an ihrem Auftrag zweifeln lassen, was sehr zersetzend wirkt. Online-Angriffe sind eine gezielte Waffe, die von einigen wenigen eingesetzt wird, um Medienschaffende zum Schweigen zu bringen und sie daran zu hindern, ihre Arbeit zu tun - nämlich über die Geschehnisse in Moldau und der Region zu berichten.

 

Vor allem weibliche Journalistinnen werden oft zur Zielscheibe von Online-Angriffen und manchmal ist auch ihre gesamte Familie betroffen. Eine besonders effektive Methode, um Medienschaffende einzuschüchtern?

In der Tat vermittelt dies das Gefühl, dass wir unsere Lieben nicht schützen können. Und diese Methoden sind auch deshalb heimtückisch, weil sie darauf abzielen, Spaltung und Konflikte auch in das Privatleben zu tragen. Dies führt dazu, dass sich Betroffene in ihrem häuslichen Umfeld noch unsicherer fühlen und an ihrer Fähigkeit zweifeln, die Menschen in ihrer Umgebung zu schützen. Es ist sehr schwierig, diese Art von Erfahrungen zu verarbeiten.

 

Wir leben in einer Zeit, die von zahlreichen Krisen geprägt ist: Klimawandel, die Auswirkungen der Pandemie und natürlich der Krieg in Europa. Journalistinnen und Journalisten müssen über all das berichten. Brauchen sie neue Instrumente, um widerstandsfähiger zu werden?

Was wir brauchen, ist ein stärkeres Bewusstsein dafür, wie negative und bedrohliche Inhalte uns als Medienschaffende belasten können. Es ist sehr wichtig, dass wir besser verstehen, was Trauma und Stress sind und welche Auswirkungen sie auch auf uns selbst haben. Wenn man das versteht, ist es viel einfacher, die Folgen zu mildern. Der Austausch mit anderen und das gegenseitige Verständnis helfen dem und der Einzelnen, eigene Resilienz-Strategien zu entwickeln. Und Resilienz ist nicht nur eine Privatsache. Sie entsteht auch durch die Verbindung mit anderen. Je mehr wir darüber wissen, desto besser können wir auf uns selbst und unsere Kolleginnen und Kollegen Acht geben und Wege finden, um mit Einschüchterungen und anderen Formen der Bedrohung umzugehen.

 

Wenn Sie Journalistinnen und Journalisten drei Tipps geben müssten, wie sie besser mit belastenden Situationen umgehen können, welche wären das?

Vieles deutet darauf hin, dass soziale Beziehungen und Solidarität das Wichtigste sind. Ein weiterer Punkt ist ein Gefühl der Sinnhaftigkeit, ein Bewusstsein für das Ziel und den Grund, warum wir journalistisch arbeiten. Manchmal wird das als "Mission" bezeichnet, aber man kann es auch als grundlegende Werte betrachten. Wenn man sich die verschiedenen Akteure in der Welt anschaut, die versuchen, Medienschaffende zum Schweigen zu bringen, dann versteht man, dass sie nicht nur einzelne Journalistinnen und Journalisten persönlich angreifen, sondern auch die journalistischen Werte. Das Wichtigste ist, dass wir an unseren Werten festhalten und der Öffentlichkeit die Informationen geben, die sie braucht, um schwierige und folgenreiche Entscheidungen zu treffen. Entscheidend ist auch, dass wir uns Zeit nehmen, um uns zu erholen, um die Dinge zu verstehen und zu entscheiden, worauf wir uns konzentrieren wollen.

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