Generation Africa: Junge Geschichten für das afrikanische Kino | DW AKADEMIE | DW | 09.02.2022
  1. Inhalt
  2. Navigation
  3. Weitere Inhalte
  4. Metanavigation
  5. Suche
  6. Choose from 30 Languages

DW AKADEMIE

Generation Africa: Junge Geschichten für das afrikanische Kino

Aïcha Mackys "Zinder" und Samassékous "The Last Shelter" sind längst kein Geheimtipp mehr. Sie beeindrucken das Kinopublikum weltweit und gewinnen zahlreiche Preise. Ermöglicht hat das ein pan-afrikanisches Filmprojekt.

Filmstill „Zinder“ von Aïcha Macky

Kräftemessen zum Zeitvertreib: Die Jugendlichen in Kara-Kara demonstrieren gern ihre Männlichkeit (Standbild aus "Zinder")

Aïcha Macky ist in Zinder, einer Stadt in Niger, Westafrika, geboren und aufgewachsen. An der Grenze radikalisieren sich extremistische Gruppen und im Stadtviertel Kara-Kara bilden jugendliche Gangs eine Art Anti-Staat. Aïcha Macky beschreibt sie als Zeitbombe, die darauf wartet zu explodieren.

"Als Kind habe ich sie aus der Ferne beobachtet. Jetzt, als Filmemacherin, Soziologin und Aktivistin kann ich mich, diskret wie ein Schatten, über die Grenze hinweg wagen, die uns trennt (…) und ihre Geschichte der ganzen Welt zeigen", sagt sie zum Start ihres Dokumentarfilms.

Zinder feierte im April 2021 beim internationalen Filmfestival "Visions du Réel" seine Weltpremiere und gewinnt seitdem zahlreiche Preise, wie beim "Encounters", dem größten Dokumentarfilm-Festival in Afrika und dem "Afrika Film Festival Köln". In Burkina Faso beim panafrikanischen Film- und Fernsehfestival FESPACO wurde Aïcha Macky als "beste westafrikanische Regisseurin" und "Botschafterin des Friedens" ausgezeichnet.

Kampf ums Überleben

Aïcha Macky’s Protagonisten Ramsess, Siniya und Bawo sind allesamt Gangmitglieder. Sie sind die Kinder Leprakranker, ihre Heimat Kara-Kara wurde einst als Dorf für die vermeintlich infektiösen Menschen errichtet. Trotz, dass das Dorf mittlerweile ein Stadtviertel von Zinder ist, sind seine Bewohnerinnen und Bewohner weiterhin unsichtbar für die restliche Bevölkerung. Sie werden stigmatisiert, leben ohne Geburtsurkunde und ohne behördlichen Zivilstand. Als Inoffizielle haben sie damit kein Recht auf Bildung und kein regelmäßiges Einkommen. Ihr Leben in der Enge und Isolation erscheint perspektivlos und doch haben sich Ramsess, Siniya und Bawo entschieden, aktiv und widerstandsfähig zu sein. "Sie kämpfen jeden Tag ums Überleben (…) und bewahren sich ihre Würde, indem sie unverwüstlich, schelmisch und erfinderisch sind, daher habe ich sie für den Film ausgewählt", sagt Aïcha Macky.

Ihre drei Protagonisten leben von Tag zu Tag, stählen ihre Muskeln mit Bodybuilding, halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser oder schmuggeln Treibstoff über die Grenze. Mit ihrer gewalttätigen Vergangenheit und ihrem draufgängerischen Auftreten schüren sie Angst in der Bevölkerung. Dass Aïcha Macky Ramsess, Siniya und Bawo so nah filmen durfte, ist nicht selbstverständlich. Zwei Jahre ist sie immer wieder in das Viertel gegangen, um akzeptiert zu werden und schließlich mit einem Kamerateam die Aufnahmen machen zu können. Während der fünfjährigen Dreharbeiten veränderte Aïcha Macky ihren Blick und erkannte, wie schwierig es ist, aus einem Kreislauf auszubrechen, in dem man ausgegrenzt wird. "Ich verstand, dass Kara-Kara überall existieren kann und nur ein Spiegelbild unserer kollektiven Verhaltensweisen und das Ergebnis einer Spaltung ist: Sie gegen uns", sagt sie.

Grenzen überwinden

Zinder ist im Projekt Generation Africa entstanden, das seit 2018 mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) von der DW Akademie unterstützt wird. "Generation Africa ist ein Projekt, das auf einem Kontinent stattfindet, der eine Geschichte der Kolonialisierung hat und dessen Gegenwart stark von dieser Geschichte geprägt ist", erklärt Tiny Mungwe, Produzentin bei STEPS. Die südafrikanische Nichtregierungsorganisation konzipierte Generation Africa, um das Thema Migration aus afrikanischer Perspektive zu erzählen und diese Geschichten einem Weltpublikum zugänglich zu machen. STEPS steht für "Social Transformation and Empowerment Projects".

Die Organisation initiiert und unterstützt Filmprojekte, um mit den entstehenden Dokumentarfilmen Gespräche anzustoßen, aufzuklären und benachteiligten Gruppen eine Stimme zu geben. Denn die nichtafrikanische Welt sieht Migration hauptsächlich als Problem und grenzt sich ab. "Wenn wir diese Grenzen durch das Kino überwinden, dann können wir sie auch so überwinden und viele Probleme lösen. Wir können sowohl unsere Lebensart und -weise überdenken als auch unser Politikverständnis und wie wir uns gegenseitig wahrnehmen", ist sich Tiny Mungwe sicher.

Filmindustrien im globalen Süden stärken

Die teilnehmenden Filmschaffenden aus 16 Ländern Afrikas wurden von Expertinnen und Experten in den Bereichen Stoffentwicklung, Dramaturgie, Produktion und Postproduktion begleitet. Ausbildungs- und Fördermaßnahmen setzt das Team Film Industries der DW Akademie gezielt ein, um gemeinsam mit Partnern Filmindustrien in Ländern des globalen Südens zu stärken. Erregen die afrikanischen Filmproduktionen weltweit Aufmerksamkeit, können sich dadurch auch die beruflichen Möglichkeiten für lokale Filmschaffende verbessern.

Die 25 kurzen, mittellangen und langen Dokumentarfilme aus Generation Africa werden auf unterschiedliche Weise verbreitet. Der deutsch-französische Sender Arte strahlt nach der Kinoauswertung sieben koproduzierte Filme im Fernsehen aus und wird alle 25 Dokumentationen als Video on Demand in seiner Mediathek anbieten. Zahlreiche weitere internationale Fernsehsender, wie SVT, Yle und Al Jazeera, werden ebenfalls einige der Dokumentationen in ihr Programm aufnehmen.

Um die Filme und ihre Themen rund um Flucht und Migration besprechen zu können, wird es Vorführungen in afrikanischen Gemeinden geben. Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent können die Filme außerdem kostenlos über den Streaming-Dienst von STEPS AfriDocs.net angesehen werden.

Die letzte Zuflucht

The Last Shelter, ein weiterer Film aus dem Generation-Africa-Projekt, lief im April 2021 als Weltpremiere im internationalen Wettbewerb des dänischen Dokumentarfilmfestivals CPH:DOX und gewann dort den DOX:AWARD – Hauptpreis des Festivals und damit Eintrittskarte zu den Oscar-Nominierungen. Obwohl der Film nicht auf die Shortlist der Academy kam, wurde er über Kanada, Deutschland, Polen, Serbien, Finnland, den USA und Indien weltweit bekannt und mehrmals nominiert.

Regisseur Ousmane Samassékou portraitiert in seinem zweiten Langdokumentarfilm die Bewohner im "Haus der Migranten", einer caritativen Einrichtung in Gao im westafrikanischen Mali. Zehntausende Migrantinnen und Migranten aus allen Teilen Afrikas passieren jedes Jahr die Stadt und machen dort zwischen halbtrockener Sahelzone und der Wüste Sahara Rast. Samassékou begegnet seinen Protagonistinnen und Protagonisten auf Augenhöhe und zeigt den Zwiespalt, dem sie ausgesetzt sind.

Filmstill The Last Shelter

Esther (Mitte) rechnet für eine andere Bewohnerin ihr Alter auf dem Smartphone aus (Standbild aus "The Last Shelter")

Der Afrikanische Mythos 

"Für viele Menschen in Subsahara-Afrika (…) stellt der Westen das wunderbare Anderswo dar, ein Paradies auf Erden - den Ort des "echten" Lebens", beschreibt Samassékou den Afrikanischen Mythos. Wie viele andere ist auch sein Onkel dieser Idealisierung erlegen. Er ging vor 32 Jahren auf die lange Reise nach Europa und verschwand auf dem Weg dorthin. Die Familie glaubte lange daran, irgendwann ein Lebenszeichen zu erhalten und hielt nach außen den Schein aufrecht, dass er ein besseres Leben in Europa führt.

Ein Stückweit entzaubert Samassékou den Mythos in The Last Shelter, denn das Haus der Migranten ist auch ein Ort der Katharsis. Mitarbeitende und Rückkehrende sprechen mit den Flüchtenden, helfen und tauschen sich aus. Doch die Entscheidung zwischen vor und zurück ist alles andere als leicht. Auf der einen Seite steht eine ungewissen Zukunft, wenn sie ihre Reise fortsetzen und die reale Gefahr in Kontrollen oder an gewalttätige Rebellen zu geraten. Auf der anderen bedeutet eine Rückkehr in die Heimat auch große Schmach, denn viele tragen das Geld und die Hoffnungen der ganzen Familie im Gepäck. Erfolglos zurückzukehren, bedeutet, einen Fluch mitzubringen, den bösen Blick auf sich zu ziehen und sich den stillen Vorwürfen der eigenen Leute auszusetzen. So ist der sandige Boden vor dem Haus der Migranten auch ein Friedhof und für manche wird er zum "Last Shelter" – einem Ort der dauerhaften Ruhe. 

Filmstill The Last Shelter

Hoffnungen, Träume und Schicksale verlieren sich in den Weiten der Sahara Wüste (Standbild aus "The Last Shelter")

Die Redaktion empfiehlt