Ein Gespräch über die Verlässlichkeit von Informationen, die Regulierung von Plattformen und die Zukunft von Desinformation.
Odanga Madung hatte nie davon geträumt, große Geschichten zu schreiben oder seinen Namen in renommierten Zeitungen zu lesen. Doch als er Desinformationsnetzwerke auf höchster Ebene aufdeckte, machte er sich als Datenjournalist einen Namen.
"Ich habe ursprünglich eine Ausbildung als Versicherungsmathematiker absolviert", erklärt er im Interview. "Die meisten Menschen entscheiden sich für den Journalismus, um der Mathematik zu entfliehen. Ich hatte aber schon immer eine Vorliebe für Datensätze", sagt er achselzuckend. Odanga nutzte sein Talent, um Desinformationskampagnen in seinem Heimatland Kenia und umliegenden Regionen aufzuspüren und zu entlarven.
Als Forscher bei der Mozilla Foundation berichtet Odanga über Desinformation und wurde in internationalen Medien wie dem Guardian und Wired zitiert. Er ist ein gefragter Analytiker der Daten, die hinter der Desinformation stehen. Er gilt als einer der führenden Experten zu diesem Thema.
Odanga hat kürzlich eine Schattenwirtschaft in der Region aufgedeckt, an der Politiker und Organisationen beteiligt sind. Sie finanzieren eine neue Art von Meinungsmachern: Menschen, die Desinformation auf Bestellung betreiben. "Einige dieser Leute nutzen die große Reichweite ihrer Accounts, um mit Desinformation Geld zu verdienen. Sie sehen darin eine Geschäftsmodell", erklärte er jüngst auf einer Veranstaltung der DW Akademie im Rahmen des Global Media Forum 2023. Influencer können 10 bis 15 Dollar (9 bis 13 Euro) pro Tag verdienen, wenn sie einen bestimmten Hashtag verbreiten - in Kenia eine stolze Summe.
Wie viele andere auch, wurde Odanga erstmals während der US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 auf Desinformation als globales Problem aufmerksam. "Als [Donald] Trump gewählt wurde, versuchte die ganze Welt herauszufinden, was genau hier das Problem ist", sagte er. "Ist es Fake News? Ist es Desinformation?"
Später, als Stipendiat der DW Akademie, begann er zusammen mit der gemeinnützigen Organisation Code for Africa, Informationsökosysteme zu untersuchen. Nach seinem Abschluss wandte Odanga das Gelernte in seinem Heimatland an, und analysierte Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit Wahlen – zuletzt 2022 bei der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Kenia. William Ruto trug damals einen knappen Sieg davon, während sich alle Beteiligten gegenseitig Fehlverhalten und Betrug vorwarfen.
Desinformationskampagnen treten aber nicht nur bei Wahlen auf. Das Problem sei vielmehr systemischer Natur, so Odanga. "Jedes Land erlebt seine eigenen seismischen Momente im politischen Sinne", sagte er. "Und egal, ob es um die Rechte von Minderheiten oder um eine Pandemie geht – in solchen Momenten sind alle auf zuverlässige Informationen angewiesen. Und es gibt immer jemanden, der ein Interesse daran hat, sie zu verzerren."
Odanga weist darauf hin, dass Desinformation nicht erst im Zeitalter der sozialen Medien erfunden wurde, und dass KI auch in Zukunft nicht für alle Fake News verantwortlich sein wird. Was sich jedoch zuletzt verändert hat, ist das Ausmaß, in dem Desinformation eingesetzt wird, die Geschwindigkeit, mit der sie sich verbreitet, und wie billig es geworden ist, sie zu streuen. "Früher war Propaganda schwierig. Facebook hat sie einfach gemacht", beklagt Odanga.
Die Herausforderung bestehe also nicht darin, jeden Schuldigen zur Strecke zu bringen, sondern das System selbst zu ändern. Tech-Unternehmen seien in den vergangenen Monaten noch intransparenter geworden, was Ermittlungen verhindere und es ermögliche, Desinformation mit wenig oder gar keinem Aufwand zu verbreiten. Doch auch die Regulierung selbst lässt sich nur schwer eingrenzen: Was muss reguliert werden und wie? "Tech-Firmen erproben neue Ansätze zum Faktenchecken und zur Moderation, aber es bleibt abzuwarten, was sie damit tatsächlich erreichen und wie viel von anderen geregelt werden muss."
Was die Rolle von Regierungen anbelangt, so meint Odanga, dass es eindeutige Vorschriften für Tech-Unternehmen geben sollte, die auf Transparenz setzen. "Diese Plattformen haben bisher keinerlei Transparenzverpflichtungen in den Ländern, in denen sie tätig sind", sagte er. "Die Frage ist: warum? Wir müssen wissen, was vor sich geht, und wir müssen neue Algorithmen testen lassen, bevor sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden."
"Menschen bauen auch nicht einfach Flugzeuge, beladen sie mit Passagieren und heben dann ab", sagte er. "Warum lassen wir also zu, dass Social-Media-Unternehmen einfach Features entwickeln und sie den Nutzern zur Verfügung stellen, ohne sie angemessen zu testen?"
Die Regulierung von Technologieunternehmen mag kompliziert erscheinen. Diese Komplexität ist für Odanga jedoch ein Vorwand, hinter dem sich viele dieser Unternehmen verstecken, während sie gleichzeitig von Fortschritt, freier Meinungsäußerung und Innovation fabulieren. Dies sei nur ein Narrativ, sagte er.
"Diese Unternehmen sammeln und extrahieren Daten und verkaufen sie dann für viel Geld", erklärt er weiter. "Und manchmal schaden sie damit genau den Menschen, von denen sie die Daten bezogen haben." Für Odanga geht es hierbei also nicht so sehr um freie Meinungsäußerung, sondern um die Regulierung einer Branche, die mit den Daten ihrer Nutzer Geld verdient. Fehlinformationen und Desinformation seien einfach profitabler, und bisher hätten die Unternehmen wenig unternommen, um das Problem in den Griff zu bekommen. "Wir haben den amerikanischen [Tech-]Unternehmen erlaubt, Informationen in Junk Food zu verwandeln", sagte er. "Aber sie sagen den Menschen nicht, was sie ihnen servieren."
Odanga Madung hat 2020 an "Dataship" teilgenommen, einem einjährigen Stipendium für Datenjournalismus der DW Akademie und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Das Projekt wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.