Desinformation: „Lügen können Gesellschaften bedrohen“
Allan, iLAB steht für „investigative Lab“ und ist Teil der Initiative Code for Africa. Sie und Ihr Team analysieren Daten und betreiben forensische Forschung zu gezielter Desinformation in Afrika. Wie funktioniert das iLAB?
Allan Cheboi: Unsere Arbeit ist komplex. Wir identifizieren und analysieren verdächtiges Verhalten in sozialen Medien. Steckt hinter dem Account ein Bot? Wurde der Beitrag von anderen Konten auf koordinierte Weise verstärkt? Wer sind die Strippenzieher dahinter? Wir analysieren Daten aus sozialen Medien, um Antworten auf diese Fragen zu finden. In Kenia beispielsweise teilen wir unsere Analysen mit PesaCheck – einer Faktencheck-Initiative und Teil des Code for Africa-Netzwerks – und mit Verifizierungsteams von Medienhäusern im ganzen Land. Sie verwenden unsere Erkenntnisse für ihre Berichterstattung: sie stellen den Bezug zu den Menschen her und teilen die Botschaft dadurch mit einer breiten Öffentlichkeit. Ein gutes Beispiel für diese neue Art des Storytellings sind die Videos, die unser Partner Africa Uncensored produziert.
Was waren die interessantesten und folgenreichsten Recherchen, an denen das iLAB gearbeitet hat?
In Kenia gibt es im Vorfeld der Parlamentswahlen 2022 viele politische Trolle und bezahlte Influencer, die auf Twitter aktiv sind. Spannend war, wie wir sie aufgespürt haben. Wir sind derzeit damit beschäftigt, ihre Praktiken aufzudecken. Denn wir wollen nicht, dass sich ein Fall wie Cambridge Analytica hier in Kenia wiederholt.
Eine weitere interessante Untersuchung von uns befasste sich mit den Wahlen in Uganda. In einer Desinformationskampagne wurde behauptet, dass die Anhänger der Opposition plündern und Eigentum zerstören würden; verwendet wurde der Hashtag #StopHooliganism. Das führte zur Verhaftung von Bobi Wine, dem Führer der Oppositionspartei, was schließlich im November 2020 Proteste im Land auslöste und zum Tod von mindestens 54 Menschen führte. Wir konnten den Zusammenhang zwischen der Online-Desinformationskampagne und den Protesten aufzeigen. Daraufhin hat Facebook einige der irreführenden Berichte von der Plattform entfernt.
Wie Sie erwähnten, finden in Kenia im nächsten Jahr Parlamentswahlen statt. Wie schätzen Sie die Desinformationskampagnen ein, die bereits laufen? Welche Taktiken werden dabei eingesetzt?
Wir haben festgestellt, dass Twitter inzwischen eine der dynamischsten Social-Media-Plattformen für Desinformation vor und während Wahlen ist. Vor fünf Jahren hingegen war Twitter noch unbedeutend. Wir glauben Twitter ist so wichtig geworden, weil es so einfach ist, Informationen zu posten und Trends auf Twitter zu generieren. Die Pandemie trägt ebenfalls dazu bei, da die Menschen zu Hause festsitzen und mehr Zeit online verbringen. Jeden Tag sehen wir auf Twitter verdächtige Hashtags, die entweder auf den Präsidenten, den Vize-Präsidenten oder andere politische Persönlichkeiten abzielen. Wir sehen, dass viele Bots eingesetzt werden, um Nachrichten weiterzuleiten oder zu verstärken, und wir sehen auch Grafiken, Animationen oder manipulierte Bilder. Oft ist die Manipulation sogar leicht zu erkennen – trotzdem ist die Botschaft in der Welt. Diese Taktiken haben eine große Wirkung. Vor allem Menschen, die sich gerade erst bei Twitter angemeldet haben, die nur einige Inhalte sehen wollen oder keine starke politische Meinung haben, werden dadurch beeinflusst. Ich denke, wir müssen dies wirklich beobachten und unsere Nachrichtenredaktionen nutzen, um die Öffentlichkeit davon abzuhalten, diese Art von Inhalten weiter zu verbreiten.
Welche Auswirkungen können Desinformationen auf Wahlergebnisse und die Gesellschaft insgesamt haben?
Fehlinformationen und Desinformationen können gefährlich und schädlich sein, weil sie quasi ein verzerrtes Bild der Realität schaffen. Wenn eine Desinformationskampagne erfolgreich ist, glauben Tausende oder sogar Millionen von Menschen diese ‘falsche Realität’. Solche Lügen können töten oder die Stabilität der Gesellschaft bedrohen. In den Desinformationskampagnen zu Covid-19 wird beispielsweise behauptet, das Virus sei nicht über die Luft übertragbar. Menschen werden so davon abgehalten, Masken zu tragen. Es wird auch für Heilmittel geworben, die keine Wirkung haben und behauptet, dass die Impfungen nicht wirkten. Dies kann natürlich schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod haben. Desinformation bedroht außerdem die Gedankenfreiheit und das Recht auf demokratische Teilhabe, indem sie die Bürgerinnen und Bürger in ihren Überzeugungen polarisiert und gegen die Prozesse der demokratischen Institutionen aufbringt. Dies beeinträchtigt nicht nur freie und faire Wahlen, sondern kann auch zu Gewalt führen. Desinformation untergräbt Menschenrechte, insbesondere in Fällen, in denen Desinformationsakteure Minderheitengruppen, religiöse Überzeugungen, gesellschaftliche Ungleichheiten oder geschlechtsspezifische Themen ins Visier nehmen.
Der Kampf gegen Desinformation kann fast aussichtslos erscheinen. Wenn Sie gerade an einem Fall arbeiten, taucht der nächste irgendwo anders auf – wie bleiben Sie motiviert?
Das stimmt, man kann mit dem Ausmaß an Desinformation kaum Schritt halten, vor allem nicht während der Covid-19-Pandemie. Die Menschen sind zu Hause und nutzen die sozialen Medien, und das wissen die Akteure hinter der Desinformation. Sie erfinden ihre Taktiken jedes Mal neu, wenn wir diese identifizieren. Die Arbeit des iLAB-Teams ist nicht genug. Deshalb arbeiten wir in jedem Land, in dem wir tätig sind, mit lokalen Medienhäusern zusammen. Medien haben die Macht, verlässliche Informationen zu verbreiten und die Bevölkerung aufzuklären. Den Redaktionen Schulungen anzubieten, ist eine gute Möglichkeit, den Kampf gegen Desinformation auf eine breite Basis zu stellen und auf dem gesamten Kontinent zusammenzuarbeiten. Allein werden wir diesen Kampf nicht gewinnen. Das ist es, was mich antreibt.
Allan Cheboi ist Investigations Manager bei Code for Africa – dem größten Netzwerk für Datenjournalismus und technologische Lösungen für Bürgerbeteiligung auf dem afrikanischen Kontinent mit Teams in 20 Ländern. Seit 2018 arbeiten die DW Akademie und Code for Africa zusammen. Die DW Akademie unterstützt PesaCheck bei dem Aufbau von Verifizierungsteams in kenianischen Medienhäusern, das iLAB seit dessen Inkubationsphase im Jahr 2019.
Das Projekt wird vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt.