In Guatemala wurden während des mehr als dreißigjährigen Bürgerkriegs hunderttausende Menschen ermordet. Im Rahmen eines Projekts der DW Akademie trafen junge Studierende auf Zeitzeugen. Protokoll einer Begegnung.
In der Mitte des Raumes brennt eine Kerze, daneben liegen Blumen auf dem Betonboden. Eine Gruppe junger Leute sitzt im Kreis auf weißen Plastikstühlen und hört gebannt dem Mann zu, der von früher erzählt. Felipe Itzep (48) spricht deutlich und beobachtet dabei seine Zuhörer, als wolle er sichergehen, dass sie ihn wirklich verstehen. Fünf Jahre lang, berichtet er, habe er versteckt in den Bergen gelebt, zusammen mit den anderen Bewohnern seines Dorfes. "Es war kalt dort oben und unsere Kleidung ständig nass. Wir hatten Angst vor den Soldaten. Sie suchten nach uns und schossen auf uns, weil sie uns für Guerrilleros hielten. Eines Tages kamen Flugzeuge und warfen Bomben. Bei dem Angriff starb meine Großmutter."
Das Dorf von Felipe heißt Xix, es liegt 11 Stunden Busreise von der Hauptstadt entfernt und war Schauplatz schwerer Verbrechen. Soldaten ermordeten hier in den 80er Jahren über hundert Bewohnerinnen und Bewohner. Heute sitzt Felipe in der Grundschule seines Dorfes und erzählt aus jener Zeit. Seine Zuhörer sind 16 junge Studierende der Universidad Rafael Landívar aus Guatemala-Stadt, die an einem Projekt der DW Akademie teilnehmen und für zwei Tage nach Xix gereist sind. Felipe selbst engagiert sich heute für die indigene Menschenrechtsorganisation Ajkemab.
Digitale "Karte der Erinnerung" sammelt Orte des Gedenkens
Für die Studierenden ist es eine Reise in die Vergangenheit: Von 1960 bis 1996 herrschte in Guatemala Bürgerkrieg. Bis zu 250.000 Menschen fielen ihm zum Opfer, darunter viele Angehörige der indigenen Bevölkerung. Armee und paramilitärischen Truppen verbrannten ganze Dörfer. Zehntausende Menschen verschwanden, viele Schicksale bleiben ungeklärt.
Die Euphorie über die Friedensverträge im Jahr 1996 verflog schnell und wich dem Schweigen. Heute sind die Verbrechen – mit Ausnahme weniger Gerichtsverfahren – in Medien und Öffentlichkeit kein Thema. In den Lehrplänen von Schulen und Universitäten wird der Konflikt nicht erwähnt. Hier setzt die "Karte der Erinnerung" an, ein Digital-Projekt der DW Akademie und ihres Partners "Memorial para la Concordia". Diese interaktive Karte vereint Orte, die an den Bürgerkrieg erinnern – von Gedenktafeln über Denkmäler bis hin zu Wandmalereien.
Menschen aus dem ganzen Land fotografieren und dokumentieren die Orte. "Das ist wichtig, weil die meisten Guatemalteken, die in den letzten zwanzig Jahren geboren wurden, wenig oder gar nichts über den Bürgerkrieg wissen", sagt Projektmanagerin Bettina Amaya. "Dabei verfolgt uns diese Vergangenheit bis heute." Das Land hat keinen echten Frieden gefunden: Waffen sind im Straßenbild der Hauptstadt allgegenwärtig und die Mordrate ist so hoch, dass heute genauso viele Menschen wie zu Zeiten des Bürgerkriegs sterben.
Reise in die Vergangenheit: In Xix treffen zwei Welten aufeinander
Die jungen Leute von der Universität Landívar hatten zunächst an der Karte der Erinnerung mitgearbeitet. Daraus entstand die Idee zu der Reise. "Normalerweise kommen Studierende in den Städten kaum in Kontakt mit der ländlichen Bevölkerung", sagt Johannes Metzler, der als Ländermanager der DW Akademie vor Ort arbeitet. "Das ist eine andere Welt."
Zum Abschluss der zweitägigen Begegnung feierten Dorfbewohner und Studierende gemeinsam eine Maya-Zeremonie, um die Toten zu ehren: Zwei Stunden lang erfuhren die Gäste aus der Hauptstadt von der Verbindung zwischen Dorfgemeinschaft und Natur, dem Respekt vor dem Leben und wie wichtig es ist, die Vergangenheit nicht zu vergessen, um die Zukunft gestalten zu können.
"Für mich waren die Augenzeugenberichte schockierend", erinnert sich Juan José Pinzón (20), der Internationale Beziehungen studiert. "Ich hätte nie gedacht, dass diese Dinge in meinem Land passiert sind. Ich möchte mich dafür engagieren, das sowas nicht wieder passiert."