Berichte über ungelöste Konflikte, Korruption und Straflosigkeit - lateinamerikanische Journalisten lernen in einem Workshop der DW Akademie neue Ansätze zur Vergangenheitsbewältigung kennen.
Viele Länder Lateinamerikas haben in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts unter Militärdiktaturen, Bürgerkriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen mit Guerilla-Bewegungen gelitten. Die Folgen dieser ungelösten Konflikte sind bis heute spürbar: Korruption, ungerechte Landverteilung, Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten, ein Klima von Gewalt und Straflosigkeit. Eine oftmals einseitige Medienberichterstattung heizt die Konflikte weiter an.
Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung stellen postdiktatorische Gesellschaften in Lateinamerika bis heute vor eine Zerreißprobe - die Medien stehen dabei vielfach zwischen den Fronten. Genau hier setzte der Workshop der DW Akademie "Vergangenheitsbewältigung und konfliktsensitiver Journalismus" in Guatemala an: 13 Journalisten aus Argentinien, Brasilien, El Salvador, Guatemala, Kolumbien und Peru setzten sich zwei Wochen lang intensiv mit den geschichtlichen Hintergründen und gegenwärtigen Problemen in ihren Ländern sowie mit der Rolle der Medien auseinander.
Für die Recherche während des Workshops konnte ein besonderer Kooperationspartner gewonnen werden: das Historische Archiv der Nationalpolizei. 2005 waren auf einem verlassenen Übungsgelände der inzwischen aufgelösten Nationalpolizei zufällig rund 80 Millionen Dokumente entdeckt worden, die die Verfolgung, Bespitzelung, Folter, Ermordung und das Verschwindenlassen von zigtausenden Menschen während des Bürgerkriegs in Guatemala detailliert belegen. Mit internationaler finanzieller und fachlicher Unterstützung arbeitet das Archiv seit acht Jahren an der Konservierung, Digitalisierung und Auswertung dieses Materials, zu dem nun auch die Workshop-Teilnehmer Zugang hatten.
Einfühlsames Gedenken
Die kritische Analyse der Rolle von Journalisten in Konfliktkontexten sowie die Darstellung der Rolle der Medien im Demokratisierungsprozess in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg rundeten den theoretischen Teil des Seminars ab. "Die Teilnehmer führten hitzige, leidenschaftliche und respektvolle Debatten über die Situationen in ihren jeweiligen Herkunftsländern", so Roberto Herrscher, Trainer der DW Akademie.
Besonderes Interesse zeigten die Teilnehmer an der Erinnerungskultur in Deutschland. Das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der DDR-Diktatur, das in zahlreichen Mahnmalen, Gedenkstätten und Museen, aber auch in den "Stolpersteinen" seinen Ausdruck findet, regte zu nachdenklichen Gesprächen über die Stigmatisierung und Marginalisierung von Opfern in den Herkunftsländern - oft Angehörige indigener Völker - an.
Ein Blick über den Tellerrand
Einblicke in guatemaltekische Vergangenheitsbewältigung gaben die Menschenrechtsaktivistin Rosalina Tuyuc vom Maya-Volk der Kakchiquel sowie die Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz. Sie schilderten eindrücklich die Hintergründe des über 30 Jahre andauernden Bürgerkrieges, dessen Nachwehen bis heute in Guatemala zu spüren sind.
Anschließend recherchierten die Workshop-Teilnehmer zwei Tage lang in Guatemala-Stadt. Ein Team fuhr sogar in den Norden des Landes, um über die Beisetzung der sterblichen Überreste eines Opfers zu berichten, das erst kurz zuvor identifiziert worden war.
Zum Abschluss des Workshops erarbeiteten die Teilnehmer ein Magazin, ausgehend von den im Seminar erarbeiteten Inhalten und Kriterien. Mit "Retrovisor" ist so eine facettenreiche Publikation entstanden, die einfühlsam die Vergangenheitsbewältigung in Lateinamerika thematisiert und die stark von den unterschiedlichen Erfahrungshorizonten der Teilnehmer aus verschiedenen Ländern lebt. "Wir haben zwar hart gearbeitet, aber gleichzeitig auch viel gelacht", erinnert sich Roberto Herrscher an den zweiwöchigen Workshop.