Weit entfernt - und doch ganz nah. Lateinamerikanische Journalisten setzten sich in Berlin mit der Aufarbeitung deutscher Geschichte auseinander. Und diskutierten über Erinnerungskulturen in ihren eigenen Ländern.
Wenn sich Iliana Alamilla die letzten Tage in Deutschland vor Augen führt, zittert ihre Stimme ein wenig. Das Gespräch mit einem Stasi-Opfer und der Rundgang durch die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen sind ihr unter die Haut gegangen. Die Guatemaltekin hat in ihrer Heimat selbst Freunde und Kollegen verloren, verschwunden von einem Tag auf den anderen. "Bei uns in Guatemala wissen viele Menschen noch nicht einmal, was alles passiert ist", sagt die Journalistin, die als Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Cerigua arbeitet. Nach über vierzig Jahren Bürgerkrieg werden die Fragen von damals weiterhin kaum thematisiert.
Parallelen zur eigenen Geschichte
Eine intensive Woche gemeinsamen Austausches: Auf Einladung der DW Akademie besuchten drei guatemaltekische und 13 kolumbianische Journalisten zahlreiche Gedenkstätten in Berlin und Umgebung und diskutierten mit Zeitzeugen - im steten Vergleich mit der eigenen Geschichte und deren Aufarbeitung. Jeder der 16 Teilnehmer arbeitet schwerpunktmäßig zu Erinnerungskulturen, ob als investigativer Journalist, als Reporter oder als Universitäts-Dozent.
Egal ob im Gespräch mit dem Spiegel-Autor Michael Sontheimer, der selbst Bücher zur jüngsten deutschen Geschichte verfasste, beim Besuch im ehemaligen Stasi-Archiv oder in der Gedenkstätte Sachsenhausen - sie hörten gut zu, fragten intensiv nach und schauten sich die historischen Zeugnisse genau an. "Die Journalisten versuchen Parallelen mit ihrem eigenen Land herzustellen", erzählt Vera Freitag, die als DW Akademie-Projektmanagerin verantwortlich für das Programm ist. "Ich sehe es an dem Leuchten in ihren Augen, dass sie genau zuhören und jedes Detail erfassen wollen."
"Ich fühle mich wie im Film"
Ginna Morelo läuft, wie ihre Kollegen, warm verpackt in Winterjacke, Schal und Mütze über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Sie arbeitet als investigative Journalistin für die kolumbianische Tageszeitung "El Tiempo" und ist erstaunt, wie detailliert die Deutschen ihre Geschichte aufgearbeitet haben. "Als ich die nachgebaute Baracke betreten habe, sind mir fast die Tränen gekommen", sagt sie.
Die Behausungen, in denen die Häftlinge eingepfercht wurden, die ausführlichen Beschreibungen der spanisch sprechenden Pädagogin, die die Gruppe über das Gelände führt, beeindrucken die Journalisten nachhaltig. "Ich fühle mich wie in einem Film", sagt der Kolumbianer Juan Diego Restrepo. Der Leiter des interaktiven Internetportals "Verdad Abierta" in der Millionen-Metropole Medellín interessiert sich insbesondere dafür, wie einzelne Menschen Geschichte wahrnehmen. Opfer der Guerilla und der Staatsgewalt können auf seiner Internetplattform selbst Dokumente hochladen und Zeugnis über das ihnen angetane Unrecht ablegen. "Mich würde interessieren, was die Deutschen auf der Straße über das Erinnern an Hitler denken", sagt er. "Und was sie davon halten, dass ehemalige KZ zu Gedenkstätten werden."
Aufarbeitung braucht Zeit
Anders als in Deutschland sind Erfahrungen von Bürgerkrieg und Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien und Guatemala noch sehr aktuell und brisant. In Guatemala sitzen heute Politiker in einflussreichen Postionen, die in den 80er Jahren Kriegstreiber waren. "Wer über das Thema reden will, wird als links abgestempelt. Oder daran erinnert, dass man sich doch um die aktuellen Probleme wie Drogenhandel kümmern sollte, anstatt um die Toten von gestern", erzählt die guatemaltekische Journalistin Flor de María Pérez.
Die Zeit der Aufarbeitung und schließlich des Erinnerns kann lange dauern. Während der intensiven Diskussionsrunde nach dem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers erzählt Pressesprecher Horst Seferens, dass es sehr oft erst die Enkel sind, die mit der Aufarbeitung beginnen und nachfragen. Und dass viele Opfer von damals sich erst auf Drängen der dritten Generation mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen könnten, die zweite Generation sei meist zu dicht dran.
"Was wir hier gesehen haben, war die dunkle Seite der Geschichte", sagt Flor de María Pérez. "Der Horror wird immer bleiben. Aber es stimmt auch hoffnungsvoll, denn Deutschland hat es geschafft, nach der Zerstörung wieder ein wohlhabendes Land aufzubauen." Vielleicht, sagt sie, werden es ihre Enkel auch eines Tages schaffen, den Gräueltaten in Guatemala angemessen zu gedenken.
Die Delegationsreise für Journalisten ist Teil der DW Akademie-Projekte zu historischer Aufarbeitung in Kolumbien und Guatemala. Sie werden durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.