Die Covid-19-Pandemie hat Auswirkungen auf die Arbeit von Medienschaffenden weltweit. Der Investigativjournalist Andrés Bermúdez Liévano spricht über die Lage in Kolumbien.
Recherche vor der Pandemie: Andrés Bermúdez Liévano bei einem Interview mit einem Mitglied der Shuar Gemeinde im südlichen Kolumbien im Jahr 2019.
Andrés Bermúdez Liévano: Die Pandemie hat vor allem die unabhängigen, kleineren Medien daran gehindert, von vor Ort zu berichten. Kolumbien hatte einen der härtesten Lockdowns der Welt – wir haben den größten Teil des vergangenen Jahres eingesperrt verbracht. Danach waren die Transportverbindungen noch teurer oder gar nicht mehr vorhanden. Viele ländliche Gemeinden hatten Angst vor Menschen von außerhalb, weil sie viel weiter von der medizinischen Versorgung entfernt sind. Auf einmal waren wir ein Risiko für die Menschen.
Die Pandemie verlangsamte das Wirtschaftswachstum in Kolumbien und brachte uns in die schwierigste wirtschaftliche Situation seit Ende der 1990er Jahre. Das hat die Medien, insbesondere kleinere unabhängige Medien, sehr hart getroffen.
Die Journalistinnen und Journalisten hatten Angst, das Coronavirus in ein Gebiet einzuschleppen, in dem die medizinische Versorgung deutlich schlechter ist als in den Städten. Die meisten ließen sich testen, um sicherzugehen, dass sie nicht unwissentlich infiziert waren. Außerdem trugen sie Masken und manchmal sogar Helme und führten ihre Interviews im Freien. Wir hatten auch mit bürokratischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Durch einen Erlass der Regierung zu Beginn der Pandemie wurden unsere sehr soliden Gesetze zur Informationsfreiheit praktisch unwirksam: Weil staatliche Einrichtungen weniger Personal hatten, durften sie sich mehr Zeit bei der Beantwortung von Medienanfragen lassen. Jetzt dauert es teils mehr als zwei Monate bis man öffentliche Informationen erhält.
The Spectator, eine überregionale Zeitung und das einzige Medienunternehmen im Land, das bereits vor der Pandemie über eine Gesundheitsredaktion verfügte, hat sich wirklich ins Zeug gelegt. Angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten hatte das Unternehmen zunächst überlegt, sein Angebot von einer Tageszeitung auf eine Wochenzeitung zu reduzieren. Als die Pandemie ausbrach, starteten sie eine Abonnement-Kampagne und richtete eine weiche Bezahlschranke ein. Sie stellten ihre gesamte Gesundheitsberichterstattung jedoch kostenlos zur Verfügung. Die Abonnementzahlen stiegen so stark an, dass sie die Idee, eine Wochenzeitung zu werden, aufgeben konnten.
Im Laufe des Jahres entstanden eine Reihe neuer Medienangebote. Das hängt damit zusammen, dass einige traditionelle Zeitungen während der Pandemie viele Mitarbeitende entlassen haben, die daraufhin Online-Medien gründeten. Wir werden sehen, wie nachhaltig diese Bemühungen im Jahr 2021 sein werden.
In der Region war die Dynamik relativ ähnlich: sinkende Anzeigeneinnahmen, sinkende Abonnementzahlen, sinkende Auflagenzahlen. Einige Medien haben sich für Infotainment als Antwort auf den wirtschaftlichen Einbruch entschieden und ihre Leserschaft ist gestiegen. Andere Medien haben versucht, guten Qualitätsjournalismus zu bieten.
Bogotá, April 2021: Die Straßen der kolumbianischen Hauptstadt sind im Lockdown während der Dritten Welle der Pandemie wie leergefegt.
Desinformationen aus Asien, Afrika oder Europa haben sich auch hierzulande eingeschlichen. Es gab einen größeren Markt für Falschnachrichten, damit wuchs aber auch der Bedarf an Faktenüberprüfung. Desinformation gab es zu allen möglichen Themen: von der öffentlichen Gesundheit über Covid-19 bis hin zur Politik. Ein Skandal betraf zum Beispiel eine berühmte Influencerin, die ihr „Rezept“ für ein Heilmittel gegen Covid-19 – Chlordioxid – weitergab. Zehn Monate nachdem das Virus in Kolumbien angekommen ist, fallen immer noch leichtgläubige Menschen auf diese pseudowissenschaftlichen und opportunistischen Verkäufer herein. Colombia Check hat mit der lateinamerikanischen Allianz der Faktenchecker zusammengearbeitet, um die Infodemie zu bekämpfen.
Eine Besonderheit in Kolumbien: Ein Teil dieser Desinformation betrifft das Friedensabkommen und die Übergangsjustiz sowie generell unsere Transformation hin zum Frieden.
Erstens sollte dem Wissenschaftsjournalismus in Lateinamerika viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dies ist eine Chance für Institutionen, die Journalistinnen und Journalisten aus- und weiterbilden. Zweitens hat uns die Pandemie gezeigt, wie wichtig psychische Gesundheit und emotionale Gesundheit als Teil der Berichterstattung sind, aber auch, wie sie sich auf Journalistinnen und Journalisten selbst auswirken. Drittens haben wir in den letzten Jahren in der Region mehr und mehr grenzüberschreitenden kollaborativen Journalismus gesehen. So berichtet beispielsweise die Website Salud con Lupa („Spotlight on Health“, Anm. d. Red.) länderübergreifend über Gesundheit – mit Teams in der gesamten Region.
Die Pandemie hat die Schwachstellen in unseren Gesellschaften aufgezeigt, wie beispielsweise soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten. Und in Lateinamerika ist das drängendste Problem eindeutig das Klima – es gab viel Gewalt im Zusammenhang mit der Abholzung von Wäldern und dem Verlust von Naturräumen.
Andrés Bermúdez Liévano ist ein Investigativjournalist aus Kolumbien und Koordinator des Centro Latinoamericano de Investigación Periodística (Lateinamerikanisches Zentrum für investigativen Journalismus, CLIP). Er beschäftigt sich unter anderem mit Umweltthemen und Übergangsjustiz in Kolumbien. Im Jahr 2013 wurde er mit dem Gabo-Preis für Innovation ausgezeichnet.
Für Kürze und Klarheit ist dieses Interview redigiert.