Ein Youtube-Kanal mit Berichten von den Maidan-Protesten wurde für zwei Bürgerjournalisten zum Erfolgsprojekt. Seitdem arbeiten sie daran, einen Wandel in ihrem Land herbeizuführen - mit einem eigenen Medienunternehmen.
Mit Videos gegen Missstände und Korruption: Die Gründer von Nakipelo, Roman Danilenkov und Natalia Kurdiukova
Als im März 2014 die Prostete in ihrer Heimatstadt Charkiw in der Ukraine ausbrechen, nimmt Natalia Kurdiukova, Filmemacherin für historische Dokumentarfilme, kurzerhand selbst eine Kamera in die Hand. Roman Danilenkov, eigentlich studierter Ökonom, begleitet sie. Die Videos laden die beiden Bürgerjournalisten auf einen Youtube-Kanal hoch, den sie "Nakipelo" nennen. Sie machen unermüdlich weiter, mit nur einer Kamera, einem Computer und ohne Büro arbeiten die beiden in Cafés oder zuhause. In ihren Videos berichten sie über unbequeme Themen, die die etablierten Medien aussparen: Reformen, Demobilisierung von Soldaten, Aktivisten, die zusammengeschlagen werden. Ihre Videos aus dem umkämpften Osten der Ukraine werden oft angeklickt, schnell haben sie mehr als 100.000 Aufrufe.
"Viele Journalisten gaben die Proteste nicht richtig wieder, da die Medien, für die sie arbeiteten, Oligarchen gehören", erläutert Kurdiukova ihre Beweggründe. Dies bestätigt auch Reporter ohne Grenzen in seinem Länderbericht. So gehören demnach die wichtigsten ukrainischen Fernsehsender Oligarchen, die die Medien für ihre wirtschaftlichen Interessen nutzen.
Unabhängige Berichterstattung gefragt!
Bald schon ensteht ein zweiter Youtube-Kanal: einer für Live-Streams und einer für geschnittene Videos. "Es war nicht ungefährlich für uns, bei den Protesten zu filmen", berichtet Danilenkov. "Die Pro-Russland-Aktivisten können sehr aggressiv werden." Im Sommer 2014 wird aus dem Youtube-Kanal eine eigene Webseite, Anfang 2015 bekommt "Nakipelo" erstmalig finanzielle Unterstützung von internationalen Organisationen und eigene Büroräume. "Durch die abgesicherte Finanzierung, sind wir in unserer Berichterstattung frei. Niemand kann uns unter Druck setzen", erzählt Natalia Kurdiukova.
Damit nicht nur "Nakipelo" eine Plattform hat, entwickelten die beiden Gründer die "fliegende Pressekonferenz". "Nakipelo" stellt sozialen Initiativen, NGOs, urbanen Projekten und anderen Organisationen, die in den herkömmlichen Medien wenig Gehör finden, Räumlichkeiten für Pressekonferenzen zur Verfügung. Mittlerweile organisiert "Nakipelo" drei Pressekonferenzen pro Tag. Mittlerweile ist das kleine Internetprojekt zu einem richtigen Medienunternehmen mit zehn Mitarbeitern, Journalisten, Kameramännern, Cuttern und Social Media-Spezialisten geworden.
Als Medienmacher für die Ukraine kämpfen
"Wir haben ein verrücktes Team", lacht Roman Danilenkov und bezieht sich damit auf die nie enden wollenden Arbeitszeiten. Immerzu kann etwas passieren, nachts, am Wochenende, in den Ferien. "Es ist kein normaler Job, es ist Lebensstil." Und wofür der ganze Stress? "Es ist unsere freie Entscheidung. Wir sind keine Militärs, wir sind Medienmacher. Das ist es, was wir für unser Land tun können", sagt Natalia Kurdiukova.
Auf der Webseite werden neben Videos auch Online-Artikel und Fotos veröffentlicht – produziert von Bürgerjournalisten. Das "Nakipelo"-Team kennt die meisten von ihnen aus journalistischen Trainings - das Medienunternehmen führt seit 2015 mit Unterstützung der DW Akademie Workshops für Bürgerjournalisten durch. Die DW Akademie fördert "Nakipelo", um zu einem Kompetenzzentrum für Bürgerjournalismus in der Region zu werden. Als Kooperationspartner der DW Akademie berät auch die Ukrainische Katholische Universität (UKU) aus Lwiw „Nakipelo“ auf dem Weg dahin. Um den lokalen Reportern beim Austausch und der Vernetzung weiter zu helfen, wird "Nakipelo" Ende November ein Bürgerjournalisten-Forum mit Workshops und Podiumsdiskussionen veranstalten.
Der betrunkene Rolls-Royce-Fahrer wird zum Video-Hit
Das bisher erfolgreichste Video verdankt "Nakipelo" seinem guten Netzwerk. So erhielt Roman Danilenkov im August 2016 einen Anruf von einem Bekannten, der einen betrunkenen Rolls-Royce-Fahrer durch die Stadt habe fahren sehen. Danilenkov schnappte sich schnell seine Kamera und erwischte den betrunkenen Fahrer dabei, wie er Polizisten, die ihn angehalten hatten, anpöbelt und beleidigt. Das Video erhielt über eine Million Aufrufe und fast 300 Nutzer-Kommentare. "Es ist sehr plakativ", erzählt Danilenkov. "Der Rolls-Royce-Fahrer steht stellvertretend für die Oligarchie, die sich hier alles erlauben kann."
Die Videos decken nicht nur Missstände auf, sondern können dazu beitragen, Korruption zu verhindern. Beispielsweise bei Gerichtsprozessen: "Viele unserer Richter sind korrupt", berichtet Kurdiukova. "Wenn wir aber bei den Gerichtsverhandlungen erscheinen und filmen, dann trauen sie sich nicht, geschmierte Entscheidungen zu treffen."
Über zweieinhalb Jahre sind seit den ersten Youtube-Videos vergangen. Die Webseite hat im März 2016 einen neuen Look bekommen, die beiden Internet-Kanäle verzeichnen mittlerweile über fünf Millionen Aufrufe. Die beiden Gründer sind sehr zufrieden und planen schon die nächsten Schritte: Internet-TV und Radio. "Wir wollen mit unseren Berichten einen Wandel herbeiführen", sagt Danilenkov. Kurdiukova lacht verschmitzt und fügt hinzu: „Und zu einem großen, einflussreichen Medienunternehmen in der Region werden."