Der digitale Wandel verändert die Infrastruktur und das Zusammenleben in unseren Städten – neue Handlungsspielräume entstehen. Am 30.11. ging es in der Reihe "Zukunftsstadt" speziell um Chancen für die Zivilgesellschaft.
Vernetzung und die Allgegenwärtigkeit digitaler Technologien in den Städten eröffnen den Bürgern neue Möglichkeiten, sich einzubringen und aktiv zu werden. Eine Bewegung wie Occupy erlangt durch Social Media globale Reichweite, und dank Open Data erfahren wir immer mehr über unsere Umgebung und darüber, wie wir leben. Prof. Dr. Bettina Schlüter, Direktorin der Abteilung Digitale Gesellschaft der Universität Bonn, stellte bei der vierten Veranstaltung der Ringvorlesung "Zukunftsstadt" die strukturellen und soziokulturellen Implikationen und Potenziale digitaler Stadtgesellschaften vor.
Die neue Vernetzung wirft allerdings auch Fragen der Datensicherheit und Informationshoheit auf - Machtverhältnisse ordnen sich neu, oft nicht zugunsten der Zivilgesellschaft. Die Regulierung des Internets und damit die Kontrolle über Informationen stelle eine der größten Herausforderungen der Zeit dar, so Schlüter. Nichtsdestotrotz: "Dank digitaler Technologien kommen vor allem Menschen in den Ländern erstmals an Informationen, in denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist und klassische Medien wie Zeitungen und Rundfunk von der Regierung kontrolliert werden", betonte Holger Hank, Leiter Digital und Wissensmanagement der DW Akademie.
Innovation für Meinungsfreiheit
Das beflügele zum einen Innovation und zum anderen auch Bemühungen, sich Kontrolle und Zensur zu wiedersetzen - vor allem in Ländern des Globalen Südens, wo akute Probleme nach neuen Lösungen verlangen. Holger Hank stellte anhand verschiedener Beispiele dar, wie digitale Technologien dazu genutzt werden können, Meinungsfreiheit zu stärken.
In Kenia konnten durch den Einsatz von Drohnen mit dem Projekt AfricanSkyCAM erstmals Bilder von Kenias größter Mülldeponie veröffentlicht werden - und das, obwohl die Dandora Dumpsite normalerweise von der Öffentlichkeit abgeschlossen ist. Oder OpenDevCambodia, eine Plattform in Kambodscha, die sich auf die Visualisierung und Auswertung öffentlich zugänglicher Informationen spezialisiert hat. In Argentinien konnte das Portal La Nación Korruption in Regierungskreisen aufdecken - dank der Zusammenführung massenhafter Daten und der journalistischen Auswertung mit digitalen Anwendungen. "Digitale Technologien werden das wirtschaftliche Gefälle nicht aufheben oder die Armut abschaffen - aber sie machen die Zusammenarbeit und den Austausch leichter", sagte Hank.
Prof. Dr. Bettina Schlüter, Direktorin der Abteilung Digitale Gesellschaft, FIW, Universität Bonn, stimmte zu: "Wenn der Zugang zu Technologien nicht beschränkt und allen im gleichen Maße ermöglicht wird, dann lassen sich mit digitalen Technologien Gegenöffentlichkeiten schaffen, die zu einer Verbesserung der Gesellschaft führen." Initiativen für Umweltschutz seien ein Beispiel für solche Gegenöffentlichkeiten.
Viele kleine Korrektive für Entwicklung
In der von Dr. Merjam Wakili, DW Akademie, geleiteten Diskussion kristallisierten sich verschiedene Faktoren heraus, die entscheidend dafür sind, dass digitale Technologien und Vernetzung auch positiv auf die Gesellschaft zurückwirken können.
Zum einen spiele der bewusste Umgang mit Daten eine wichtige Rolle: "Das Wissen um die eigenen Daten und die Fähigkeit, Informationen einzuordnen und zu nutzen sind entscheidend - Medienkompetenz ist daher eines der Schlüsselthemen gerade auch in der Medienentwicklung", sagte Hank. Zu dieser Kompetenz zähle auch das Wissen um die informationelle Selbstbestimmung - ein Thema, das in den kommenden Jahren aufgrund des digitalen Wandels weiterentwickelt werden müsse, betonte Schlüter.
Passgenau Lösungen
Erfolgsfaktoren für digitale Innovationen im Globalen Süden benannte Dickens Olewe, Gründer des Drohnenprojekts AfricanSkyCAM in einem Videointerview: "Die digitalen Technologien müssen für die eigene Gesellschaft relevant sein - besonders im Globalen Süden bringt es nichts, die Innovationen aus dem Westen zu kopieren."
Olewe hatte 2014 mit 13 weiteren Innovatoren des Globalen Südens am DW Akademie Mediendialog South2South teilgenommen. Gemeinsam erarbeiteten sie ein Manifest für die Nutzung digitaler Technologien zur Stärkung von Meinungsfreiheit. Die Integration von traditionellen und digitalen Medien hat, so Dickens in seinem Beitrag, bei den erfolgreichen Digitalprojekten eine ebenso wichtige Rolle gespielt wie das physische Zusammenkommen: in Hubs, Zentren oder Workshops.
"Zukunftsstadt" im Wintersemester 2015/16 ist die zweite Ringvorlesung in der Reihe "Die Welt im Wandel" - nach "Klima. Global. Digital" im Sommersemester 2015. Veranstalter der Reihe sind das Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn, das Liaison Office Internationale Wissenschaft der Stadt Bonn, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und die DW Akademie. Alle weiteren Themen der Veranstaltungsreihe finden Sie hier.