Mit einem mobilen Studio besucht Radio Sónica Schulen in Guatemala-Stadt. So erreicht der Sender diejenigen, die sonst von den Medien ausgeschlossen sind: junge Leute aus den Armenvierteln.
Die Montage ist schnell erledigt: Ein paar Schrauben und Steckverbindungen, Kabel und Mikrofone – und schon steht die Cabina Espacial, das "Weltraumstudio", mitten auf dem Schulhof. Es ist beklebt mit einem Himmel voller Sterne, aus seinem Dach schlängelt sich eine gelbe Kobra, daneben steht ein pinkfarbener Außerirdischer.
Live senden, wo die Zielgruppe ist
Das Studio ist eine Erfindung der Macher von Radio Sónica, einem alternativen Radiosender in Guatemala-Stadt. Finanziert hat es die DW Akademie, die den Sender seit Jahren berät und unterstützt. Die Idee: Live von dort senden, wo die Zielgruppe ist. "Wir wollen unser Programm öffnen für möglichst viele Stimmen", sagt Cristian Galicia, der Direktor von Radio Sónica. "Und es gleichzeitig ohne teure Werbekampagnen bekannter machen."
Im vergangenen Jahr experimentierte das Team mit einem Prototypen, der an eine geschlossene Studiokabine erinnerte. Aber das Ding war nicht nur sperrig und musste jedes Mal von einem Umzugsunternehmen abgeholt werden. Es bot auch zu wenig Platz für die Jugendlichen. "Wir wollen ein Sender sein, bei dem möglichst viele mitmachen. Darum haben wir das Studio jetzt offen gestaltet", sagt Galicia.
Sendung vom Schulhof: Schülerinnen und Schüler in "La Limonada", einem Armenviertel von Guatemala Stadt.
Nicht mal der Weihnachtsmann kommt freiwillig in dieses Viertel
Zur Einweihung ist das Weltraumstudio in "La Limonada" gelandet. Der Stadtteil ist eines von vielen Armenvierteln in Guatemala-Stadt, aber sein Ruf ist besonders übel: Nicht mal der Weihnachtsmann komme freiwillig hierher, erzählen sich die Hauptstädter. Geschweige denn ein Radiosender. Denn über Jahre lieferten sich verfeindete Jugendbanden erbitterte Auseinandersetzungen. Guatemala-Stadt gehört zu den gewalttätigsten Städten der Welt. Der Slum ist ein Labyrinth aus schmalen Gassen, schlammigen Straßen und unverputzten grauen Häusern, in der Regenzeit ständig bedroht von Erdrutschen. Keiner weiß, wie viele Menschen hier genau leben, aber Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Bewohnern aus. Kein Krankenhaus, kein Trinkwasser, nur eine einzige öffentliche Schule. Der Staat zeigt wenig Interesse.
Die Schüler verstehen im mobilen Studio, dass alles möglich ist
Edgar López arbeitet in dem Viertel als Lehrer an einer Schule, die von der katholischen Kirche finanziert wird. "Mir gefällt die Initiative von Radio Sónica", sagt er, "weil unsere Schüler im mobilen Studio verstehen, dass alles möglich ist. Träume können wahr werden. Bisher haben sie nur mitgekriegt, dass die Massenmedien für sie unerreichbar sind."
Tatsächlich taucht "La Limonada" sonst nur als Schauplatz von Gewalt in Radio und Fernsehen auf. Über die Lebensrealität jenseits der Schusswechsel schweigen sie dagegen. Und sie geben auch keine Antworten auf die Fragen, die junge Leute haben, die in solch einem Viertel groß werden.
Geredet wird über Freundschaft, Liebe, aber auch Tabu-Themen
Radio Sónica ist da eine Ausnahme. Der Sender, der zum Guatemaltekischen Institut für Radiobildung (IGER) gehört, hat sie im Blick, will Zugang zu Information schaffen und Alternativen aufzeigen. Die Moderatoren reden mit ihrem Publikum über Freundschaft oder die erste Liebe, aber auch über Tabu-Themen wie häusliche Gewalt, Homosexualität oder HIV. Per WhatsApp melden sich Jugendliche im Studio, stellen Fragen oder nehmen an Diskussionen teil. Es sind Jugendliche, die tagsüber arbeiten und abends das Haus nicht verlassen dürfen – aus Sicherheitsgründen. Sónica ist für sie ein Fenster in eine andere Welt, ebenso wie das Weltraumstudio, das mitten auf ihrem Schulhof landet.
So sieht es auch José Alberto Fajardo. "Ich war zum ersten Mal in meinem Leben Radiomoderator", erzählt der 12-Jährige begeistert. "Am Anfang war ich sehr nervös, aber mit der Zeit kommt man damit klar. Ich würde gerne bei Radio Sónica arbeiten. Irgendwann wird der Tag kommen."