Medientraining zur Formatentwicklung: "Nutzerinnen und Nutzer sind wie ehrliche Kinder" | Medientraining I Auftritt in Medien und Öffentlichkeit | DW | 26.08.2020
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Medientraining

Medientraining zur Formatentwicklung: "Nutzerinnen und Nutzer sind wie ehrliche Kinder"

Journalistische Formate zu entwickeln ist weder Zauberei noch Zufall. Mit gezielten Kreativtechniken und konsequenter Orientierung am Publikum entstehen neue Ideen, die praxistauglich sind.

Shiny Packruhn vom Deutschlandradio dreht für den Prototypen eines neuen Instagram-Formats über soziale Brennpunkte. DW Akademie | Medientraining

Shaniqua Packruhn vom Deutschlandradio dreht für den Prototypen eines neuen Instagram-Formats über "soziale Brennpunkte".

Volontärinnen und Volontäre, Redakteurinnen und Redakteure, sowie Mitarbeitende aus Archiv und Marketing des Deutschlandradios haben im Medientraining bei der DW Akademie innerhalb weniger Tage neue Formate für Instagram entwickelt. Stefanie Vomhof, Projektmanagerin beim Medientraining der DW Akademie, und Nico Brugger, Trainer für Social Media und Formatentwicklung erklären die Methode im Interview.

Nico Brugger, Trainer für Social Media und Formatentwicklung

Nico Brugger, Trainer für Social Media und Formatentwicklung

Wie bringt man Formatentwicklung im Journalismus bei?

Nico Brugger: „Am besten, indem man sie macht. Und zwar so richtig, anhand eines echten Bedürfnisses, auf das man die Methode anwenden und so direkt ausprobieren kann.

Die Gruppe vom Deutschlandradio hatte die Aufgabe, ein neues Instagram-Format für ein junges Publikum zu entwickeln. Wir haben dafür die Google-Sprint-Methode verwendet. Das ist eine sehr komprimierte Entwicklung in nur fünf Tagen. Tag eins: Problem verstehen, Tag zwei: mögliche Lösungen überlegen, Tag drei: wenige vielversprechende Lösungen auswählen, Tag vier: Prototypen herstellen, und Tag fünf: Nutzertest.“

Stefanie Vomhof, Projektmanagerin beim Medientraining der DW Akademie

Stefanie Vomhof, Projektmanagerin beim Medientraining der DW Akademie

Stefanie Vomhof: „Wir beginnen außerdem gerne mit Grundlagen. In diesem Fall haben wir die Teilnehmenden vorher vier Tage lang in Bildgestaltung, Dreh und Post-Produktion mit dem Smartphone und Audioaufnahmen geschult. Also das Handwerkszeug, das man braucht, um neue Ideen auch umzusetzen.“

An wen richtet sich dieses Formatentwicklungs-Training?

Vomhof: Das Training für das Deutschlandradio war ursprünglich ausschließlich für Volontärinnen und Volontäre konzipiert. Mittlerweile nehmen aber auch ihre Kollegen teil, von der erfahrenen Redakteurin, über den Archiv-Mitarbeiter bis zur Auszubildenden. Die Unterschiede im Vorwissen sind natürlich groß, aber eine diverse Gruppe ist eine Bereicherung.

Brugger: „Vor allem sollten alle Bereiche vertreten sein, die später das Format umsetzen und wichtige Perspektiven auf das Problem mitbringen. Also zum Beispiel Journalistinnen und Journalisten, Mediengestalterinnen und -gestalter, aber auch Mitarbeitende aus Vertrieb und Marketing.“

Lucas Rudolf und Malte Henning vom Deutschlandradio feilen am Prototypen für ein neues Instagram-Format. Er soll im Nutzertest überzeugen. DW Akademie | Medientraining

Lucas Rudolf und Malte Henning vom Deutschlandradio feilen am Prototypen für ein neues Instagram-Format. Er soll im Nutzertest überzeugen.

Einer von fünf Sprint-Tagen ist dem Nutzertest gewidmet. Warum hat dieser Schritt so viel Gewicht?

Vomhof: „Dass die neuen Ideen sofort an echtem Publikum getestet werden, ist das Besondere und Wertvolle an der Sprint-Methode. Feedback kommt direkt und schonungslos.“

Brugger: „Der Nutzertest ist manchmal schmerzhaft. Ein bisschen, wie wenn ein Kind ehrlich etwas ausspricht: Man muss schlucken, kann aber nicht wirklich böse sein. Denn die Nutzer probieren die Prototypen unter realen Bedingungen aus. Würde das Format überhaupt gefunden und angeklickt? Was gefällt? Was nicht? Und warum? Damit kann ein Sprint-Team 80% der Kinderkrankheiten eines neuen Formats sehr früh erkennen.

Der Nutzertest sorgt so außerdem dafür, dass Medienschaffende Formate entwickeln können für Zielgruppen, von denen sie ‚sehr weit weg’ sind. Wenn zum Beispiel etwas für eine junge Zielgruppe gedacht ist, aber bei ihr peinlich oder anbiedernd rüberkommt, wird das im Nutzertest auffallen. In einer Redaktionskonferenz dagegen passiert es schnell, dass man denkt ‚Naja, aber der Kollege hat sich Mühe gegeben‘ – und dann milder urteilt.“

Pia Behme, Deutschlandradio, beim Dreh im Formatentwicklungs-Sprint DW Akademie | Medientraining mit Pia Behme

Pia Behme, Deutschlandradio, beim Dreh im Formatentwicklungs-Sprint

Repräsentativ sind diese Nutzertests allerdings nicht.

Brugger: „Natürlich nicht. Wenn wir ehrlich sind, bedeutet Formatentwicklung in vielen Redaktionen allerdings nur Brainstorming in großer Runde. Am Ende entsteht ein Konzeptpapier für ein neues Format, das kritisch betrachtet aus Schlagworten besteht: nahbare Protagonistin, junge Zielgruppe, Journalismus auf Augenhöhe. In der Autoindustrie würde nie im Leben eine Gruppe von Ingenieurinnen und Ingenieuren ein paar Eckpunkte brainstormen und dann ernsthaft glauben, sie hätten die neue Limousine entwickelt. Kreative Formatentwicklung ist eben ein gezielter Prozess. Ich will die letzten 30% Genialität nicht abstreiten, aber im Grunde ist es ein Handwerk.“

Was sind die Voraussetzungen damit ein Formatentwicklungs-Sprint gelingt? Oder: Wann geht es sicher schief?

Brugger: „Es geht garantiert schief, wenn die Gruppe glaubt, sie entwickelt für den Entscheider. Am Ende steht zwar ein Chef-Votum – aber immer auf Grundlage der Nutzertests. Wichtig fürs Gelingen ist es deshalb, vorher sehr genau festzulegen: Was für ein Format brauchen wir? Für wen? Und woran wollen wir unseren Erfolg oder Misserfolg messen? Und nur die Erfüllung dieser Fragen zählt.“

Vomhof: „Wenn wir ein Training anbieten und planen, versuchen wir vorher zu erfahren, was im jeweiligen Medienhaus tatsächlich umsetzbar wäre. Welche Produktionsmöglichkeiten gibt es? Wer soll es später im Redaktionsalltag umsetzen? Gibt es eine Redaktion oder ein Ressort, in dem das neue Format zu Hause sein soll? Für die Teilnehmenden ist es toll, an echten Formaten zu arbeiten und nicht nach dem Training das Gefühl zu haben, ganz viel Gelerntes im Arbeitsalltag nicht anwenden zu können.“

Brugger: „Wichtig ist auch die Arbeit danach. Prototypen müssen nach dem Sprint wirklich zu Pilotfassungen weiterentwickelt und auch im Regelbetrieb immer wieder getestet werden.“

Innovation im Journalismus ist der heilige Gral: Relevante, neue Ideen, die die Nutzerinnen und Nutzer lieben – davon träumt die Branche. Sind Formatentwicklungs-Sprints die Lösung?

Brugger: Eine mögliche Lösung. Das Besteck muss aber nicht immer dasselbe sein. Ein fünf-Tage-Sprint bietet nicht die Antwort auf alle Formatfragen. Auch Halbtages-Workshops können Sinn ergeben. Wichtig sind in jedem Fall klare Ziele, ein Maßstab zur Bewertung von Ideen und das kontinuierliche Dranbleiben.“

Welche Trainings bietet die DW Akademie zur Formatentwicklung an?

Vomhof: Weiterbildungen von Journalistinnen und Journalisten innerhalb Deutschlands – also komplementär zu den Angeboten der Medienentwicklungszusammenarbeit an ausländische Medienschaffende – sind Teil unseres Angebots. Und die Nachfrage steigt. Dabei profitieren wir vom Wissen der gesamten DW – dieses konkrete Training für Volontärinnen und Volontäre und Redakteurinnen und Redakteure des Deutschlandradios war zum Beispiel eine Kooperation mit der Volontärsausbildung der DW.

Für den Saarländischen Rundfunk bieten wir in diesem Jahr zum Beispiel Workshops zum Oberthema Social Media. Dort geht es um verschiedene Aspekte von Stories und Posts auf Facebook und Instagram, über Suchmaschinenoptimierung bis hin zu Verifizierung. Da richten wir uns generell immer ganz nach dem Bedarf unserer Kunden: Von Kurztrainings bis zu mehrwöchigen Workshops ist alles drin.

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