Indigene Gruppen sind doppelt bedroht: von Covid-19 und von Desinformation. In Guatemala verbreiten mehr als 800 Jugendliche faktenbasierte Informationen in lokalen Sprachen, um über das Virus aufzuklären.
„Aus Angst haben sich die Jugendlichen abgeschottet; sie sind in den digitalen Medien versunken und haben Informationen weitergegeben, von denen sie nicht wussten, ob sie wahr oder falsch sind“. So beschreibt Feliciano Mo, der lokale MIL-Experte in der Q'eqchi'-Sprachzone im Norden Guatemalas, die enorme Verunsicherung, die durch die Lawine von WhatsApp- und Facebook-Nachrichten oder Tweets über Covid-19 in den indigenen Gemeinden entstanden ist.
Fast die Hälfte der Bevölkerung (43 %) in Guatemala gehört einer der indigenen Gemeinschaften an und spricht mindestens eine der 24 lokalen Sprachen. Spanisch ist jedoch die Sprache, in der die Regierung kommuniziert und in der Medien hauptsächlich berichten. Lebenswichtige Informationen zu Covid-19 oder der Impfpriorisierung in dem Land sind daher für die indigene Bevölkerung nur schwer zugänglich. Desinformation und Falschnachrichten hingegen verbreiten sich in diesem Kontext rasant – in einer Krise wie der Pandemie macht es sie umso gefährlicher. Zwischen Wahrheit und Manipulation unterscheiden zu können, kann Leben retten. Medien- und Informationskompetenz (Media and Information Literacy, MIL) befähigt die Menschen, einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit Medien zu entwickeln und sicherer im Internet zu navigieren.
Seit April 2020 bildet Asociación Comunicares, ein strategischer Partner der DW Akademie, indigene Jugendliche wie Feliciano als Vermittler von Medienkompetenz für die indigene Bevölkerung aus. Aufgrund der Pandemie musste Comunicares umdenken und die Bildungsangebote vor Ort in den Gemeinden durch Fernunterricht ersetzen. In den ländlichen Gebieten ist der Zugang zu Internet allerdings eingeschränkt: So musste die Lehrmethodik angepasst werden, die jungen Teilnehmenden wurden über Video- oder Audioanrufe auf ihren Mobiltelefonen erreicht. Und dieses neue Modell war ein voller Erfolg! Der Kern der Strategie war, in jeder der Sprachen Q'eqchi', Kaqchikel, Achi' und Quiche' – darunter die drei meistgesprochenen indigenen Sprachen des Landes – jeweils eine Expertin oder einen Experten für MIL auszubilden. Die Rolle von Feliciano und den anderen drei MIL-Expertinnen und -Experten besteht darin, die indigenen Jugendlichen ihrer Gemeinden bei der Teilnahme an digitalen MIL-Bildungsangeboten zu begleiten und den Bezug zu ihren kulturellen Kontexten, Neigungen und Bedürfnissen herzustellen. „Ich fühle wie sie. Und von dieser Krise sind wir alle betroffen“, sagt Feliciano.
Mayary Cutzal arbeitet eng mit indigenen Jugendlichen zusammen – aber auch mit deren Familien sowie Lehrerinnen und Lehrern.
Dieses innovative Modell zeigt durch sein Multiplikatorenprinzip bereits erste Erfolge. Bis Juli 2021 wurden 825 indigene Jugendliche im Alter von 14 bis 23 Jahren geschult. „Unser Bildungssystem fordert uns nur sehr selten auf, kritisch zu sein und die uns zur Verfügung stehenden Informationen zu analysieren. Genau das ist es, was uns MIL lehrt“, erklärt Mayary Cutzal, die lokale MIL-Expertin aus der Kaqchikel-Sprachzone in Chimaltenango im Zentrum des Landes. Die MIL-Schulungen wurden mit didaktischen Materialien entwickelt, die partizipative Methoden wie Online-Spiele und interaktive Videos kombinieren. Alles mit dem Ziel, indigene Jugendliche in MIL einzuführen, ihnen Medienkompetenz zu vermitteln und über die Geschehnisse in ihren Gemeinden zu berichten.
„Wir eröffnen jungen Menschen Räume, in denen sie sich ausdrücken können“, sagt Feliciano über seine ersten persönlichen Besuche bei indigenen Jugendlichen im März 2021. Ein siebenköpfiges Team von Comunicares tourte mit einem mobilen Multimedia-Produktionsstudio durch die vier Sprachregionen. Im Aufnahmestudio erstellten die Jugendlichen Audios und Videos, in denen sie ihren Gemeinden in ihrer Muttersprache erklären, wie sie mit Informationen über Covid-19 umgehen sollen. „Sie sind MIL-Multiplikatoren in ihren Gemeinden. Sie sind sehr motiviert und glücklich, weil sie zeigen können, was sie gelernt haben“, erklärt Mayary. Die Produktionen wurden sowohl über die lokalen Medien als auch über soziale Netzwerke verbreitet. Außerdem sind sie in der digitalen MIL-Bibliothek von Comunicares verfügbar.
Von allen geschulten Jugendlichen wurden 70 zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet, die MIL in ihrer Muttersprache erklären. Sie sind als ‘Informatecos’ bekannt, ein spanisches Wortspiel, das ‘Information’ und ‘aus Guatemala’ kombiniert. Für Mayary ist ein Informateco „eine Person, die informiert, analysiert, anleitet, reflektiert und vor allem nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen handelt”. Mayary ist davon überzeugt, dass die eigene praktische Erfahrung und der kulturelle Bezug bei der Produktion von Audios und Videos entscheidend sind, um junge Menschen an MIL heranzuführen: „Es hilft uns, unsere Identität zu stärken, indem wir in unserer eigenen Sprache produzieren.”
Das Projekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.