Eslendy Grefa aus Ecuador: „Indigene Frauen können das“
Das Bild von indigenen Frauen ist mit vielen Vorurteilen behaftet. Dass das eher Probleme schafft, als sie zu lösen, erlebt Eslendy Grefa immer wieder. Sie gehört zum Volk der Kichua und arbeitet als Journalistin und Aktivistin im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Im Kommunikationsteam der “Lanceros Digitales” setzt sie sich für die Rechte indigener Gruppen und für den Umweltschutz ein. Wie sich die Rolle der indigenen Frauen gewandelt hat und wie ein Leben zwischen Moderne und Tradition möglich ist, erzählt sie im Interview.
Frau Grefa, wie ist die Situation für Frauen im Amazonasgebiet?
Die Frauen hier haben sich bis vor ein paar Jahren überwiegend um Haus und Familie gekümmert. Um die Ernte („Chagra“), um das Maisbier („Chicha“), um den Ehemann. Es gibt in den Gemeinden auch viele Frauen, die im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren heiraten. Für sie ist es normal, so früh zu heiraten. Das ist Teil unserer Kultur, weswegen ich es nicht verurteile. Trotzdem sehen ich und einige andere junge Frauen das anders, weil wir gleichzeitig in einer modernen Welt leben. Mit mehr Freiheiten und Gesetzen für Frauen.
Indigene Frauen haben mittlerweile eine sehr wichtige Funktion in ihren Gemeinden und innerhalb unserer Organisation. Es gibt Frauen in Führungspositionen mit Leitungsaufgaben, die ihre Gemeinden anführen und Projekte für Frauen umsetzen. Lineth Calapucha bestärkt zum Beispiel als Vizepräsidentin der Kichua die Frauen und engagiert sich für ihre Ausbildung.
In anderen indigenen Gemeinden ist das auch schon geschehen. Die Waorani im ecuadorianischen Amazonasgebiet haben eine Anführerin, Nemonte Nenquimo. Ich habe ihre Energie, ihr Wesen erlebt: Sie ist eine starke Frau. Weil ihr Territorium zerstört wurde, ist sie vor den interamerikanischen Gerichtshof gegangen. Sie hat den Prozess gewonnen und wurde als Influencerin vom Times Magazin ausgezeichnet. Ihre Führungsrolle auf diesem Weg war sehr wichtig, weil dadurch sichtbar wurde, dass eine Frau ihr Volk genauso gut anführen kann wie ein Mann.
Es war für uns indigene Frauen eine große Herausforderung, in diese Position zu kommen. Wir müssen uns weiterhin gegen den vorherrschenden Machismo wehren, denn er versucht immer noch, uns zu bevormunden.
Gegen welche Vorurteile kämpfen Sie als indigene Frau und Journalistin?
Schon als ich klein war, bin ich zur Schule in die Stadt gegangen. Die Leute dort verstehen uns Indigene oft nicht. Sie denken, dass wir dumm sind, dass wir uns nicht anpassen können und nicht wissen, wie man lernt. An der Universität wurde mir als indigene Frau nicht zugetraut, überhaupt in den Medien arbeiten zu können. Für mich war es ein ständiger Kampf zu sagen: „Ja, ich kann das. Indigene Frauen können das“. Dank der „Lanceros Digitales“ konnte ich uns Frauen sichtbarer machen.
Sie nutzen soziale Netzwerke und das Radio für Ihre journalistische Arbeit. Steht das nicht im Widerspruch zur indigenen Kultur, die die moderne Technologie ablehnt?
Wir stehen mit einem Bein in der kosmischen Welt unserer Kultur und mit dem anderen in der westlichen Welt der Technologie. Wenn man weiß, wie man mit beiden Füßen richtig auftritt und sich bewusst ist, auf welchem Boden man sich bewegt, dann ist es ein weiteres Werkzeug für uns. Unsere Aufgabe als indigene Kommunikator*innen und Journalist*innen ist, sowohl die Menschen in der Gemeinde als auch die Menschen in der Stadt zu informieren. Wir können Themen wie unseren Kampf um die Natur aufnehmen und zeigen, was der Staat den Indigenen antut. Das ist zum Beispiel für Nichtregierungsorganisationen interessant.
Auf der anderen Seite erreichen wir mit unseren muttersprachlichen Programmen die Großeltern in den Gemeinden. Sie sprechen kein Spanisch, aber von ihnen hängt bestimmtes Wissen ab. Ohne unsere Muttersprache würden die Weisheiten der Vorfahren verloren gehen. Wir wüssten zum Beispiel nicht so viel über Medizin und wie man bestimmte Krankheiten heilen kann. Die digitalen “westlichen” Werkzeuge helfen uns also, die indigene kosmische Welt zu schützen.
Was würden Sie anderen jungen Frauen gern mitgeben?
Ich denke, wir sollten uns selbst mehr vertrauen. Dass wir großartig sein können, ohne jemanden zu diskriminieren. Ohne zu sagen: Ich kann mehr als du. Es wird immer böswillige Menschen geben, die unser Selbstwertgefühl herabsetzen oder uns von unserer Stelle vertreiben wollen. Es hilft, ein Ziel zu haben, das man erreichen will und diesem Weg muss man folgen.
Es ist an der Zeit, dass Frauen auch andere relevante Funktionen übernehmen, unabhängig von anderen. Führungsrollen werden uns von niemandem gegeben. Wir müssen sie uns selbst nehmen. Ich möchte zum Beispiel ein interkulturelles Ausbildungszentrum für Indigene gründen. Damit sie studieren und andere Kulturen, andere Sprachen, kennen lernen, ohne sich in der modernen Welt zu verlieren. Im Gegenzug hoffe ich, dass diese jungen Menschen in die Gemeinden zurückkehren, um neue nachhaltige Projekte aufzubauen.
Wenn es die Frauen nicht gäbe, würden wir die Früchte der Samen, die unsere Mütter und Großmütter gesät haben, nicht ernten, nicht essen und könnten uns nicht ernähren. Frauen waren also schon immer sehr wichtig. Wir müssen weiterhin an uns glauben.
“Lanceros Digitales” ist ein Kommunikationskollektiv der indigenen Bewegung CONFENAIE. Gruppen wie diese haben im Amazonasgebiet eine sehr wichtige Rolle als Informationsquelle und als Sprachrohr für indigene Jugendliche. Das Team aus jungen Medienschaffenden informiert digital aus Gebieten, wo kein anderes Medium hinkommt und berichtet über Themen, die große ecuadorianische Medienhäuser nicht aufnehmen. Die journalistisch trainierten Mitarbeitenden der “Lanceros Digitales” sind gut vernetzt und kommunizieren mit den Gemeinden auf Augenhöhe. Dadurch können sie ausgewogen berichten und sowohl Sprache als auch Kultur am Leben halten. „Lanceros Digitales“ war als Partner von CORAPE Teil des DW Akademie Projekts “Nos tomamos la Wiki” in der Amazonas Region.