Bad Girls im Biergarten - Trainerin Ulrike Butmaloiu erlebt, wie aus schüchternen Mädchen dank Medien selbstbewusste Frauen werden. In Phnom Penh bildet sie junge Erwachsene zu Trainern für Medienkompetenz aus.
I'm a bad girl. Das habe ich schon immer geahnt. Aber dass ich eines Tages einen Workshop mit bad girls leiten würde, habe ich mir nicht träumen lassen. Mit vier solchen bösen Mädchen sitze ich nun in einem Biergarten in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh, der von einem deutsch-kambodschanischen Paar betrieben wird. Alles, was wir hier tun, verstößt gegen den girls code, den Kodex für Frauen, der bereits vor Jahrhunderten in Kambodscha etabliert wurde - und der bis heute gilt. Was uns so böse macht? Wir reden, lachen und diskutieren. In der Öffentlichkeit. Manchmal laut. Und das auch noch mit Männern!
Die besagten vier Frauen sind zwischen 18 und 21 Jahre alt. Im Rahmen eines Projektes der DW Akademie bilden meine Kollegin Sylvia Braesel und ich sie und fünf gleichaltrige Männer zu Trainerinnen und Trainern für Medienkompetenz aus. Sie kommen aus den Provinzen Kampong Cham im Nordosten und Svay Rieng im Südosten der Hauptstadt. Mit dem Auto sind es von Phnom Penh bis dorthin vier Stunden Fahrt. Unterwegs bestimmen Reisfelder und Wasserbüffel die Landschaft. In Ihren Heimatprovinzen werden die kambodschanischen Trainerinnen und Trainer ehrenamtlich Workshops zu Medienkompetenz anbieten und so Jugendlichen auf dem Land den kritischen Umgang mit Medien vermitteln. Sie werden Facebook, Google und Twitter vorstellen, die Vor-und Nachteile Sozialer Netzwerke aufzeigen, aber auch die Arbeitsweisen traditioneller Medien beleuchten. Denn die staatlich gelenkten Radio- und Fernsehsender sind in ländlichen Regionen immer noch die wichtigste Informationsquelle.
Mutige und außergewöhnliche Frauen
Auf diese Workshops bereiten wir die künftigen Trainerinnen und Trainer im Biergarten vor, das heißt vielmehr in einem dazugehörigen Seminarraum. Dass Frauen vom Lande dabei sind, ist für unsere kambodschanischen NRO-Partner Cambodian Center for Independent Media (CCIM) und MEDIA One das Tolle an diesem Projekt. Sie nennen die Teilnehmerinnen "mutig" und "außergewöhnlich". Denn der girls code bestimmt noch immer den Alltag der Mädchen und Frauen im kambodschanischen Königreich - insbesondere in der Provinz. Der Kodex legt zum Beispiel fest, dass sich Frauen um Kinder, Herd und Hof zu kümmern haben. Er verbietet es, Hosen zu tragen oder ohne männliche Begleitung das Haus zu verlassen. Schläge des Ehegattens müssen toleriert werden. Extrem viele Mädchen haben keine Ausbildung und damit kaum Chance auf eine Arbeitsstelle. Stattdessen werden sie üblicherweise nach drei Jahren aus der Schule genommen und zur Arbeit auf die Reisfelder geschickt.
Unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer erklären mir, wie ich mir ein good girl aus Kambodscha vorzustellen habe: Mit gesenktem Blick erfüllt sie stumm alle Anweisungen, ergreift niemals das Wort und äußert erst recht nicht ihre eigene Meinung. Im Scherz empöre ich mich: Unsere Partnerorganisation hätte uns also nur bad girls in den Workshop gesteckt. Unverschämtheit!
Neue Generation Mann
Wir lachen gemeinsam. Die Frauen tun dies, ohne verschämt die Hand vor den Mund zu halten - das freut auch die Männer in der Gruppe. Ja, es gibt Männer in Kambodscha, die sich gegen traditionelle Geschlechterrollen, häusliche Gewalt und für gleichberechtige Bildungschancen einsetzen. Bad boys? Es sei die neue Generation, erklären mir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Junge Männer, die modern denken und Eltern haben, die ihnen dies ermöglicht haben.
Die jungen Frauen und Männer brennen darauf zu erfahren, wie man Information von Propaganda unterscheiden kann. Vor allem wollen sie aber mehr über Neue Medien und Soziale Netzwerke erfahren, da sie im Workshop Geschichten aufspüren, die die staatlich gelenkten Medien ignorieren oder anders darstellen: unter anderem nationale Minderheiten, Jugend- und Genderthemen und Bestechung. So sehr mein Trainerteam und mich das freut, so ist es gleichzeitig eine riesige Herausforderung: Gerade einmal die Hälfte unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat einen Facebook-Auftritt, manche haben noch nie eine solche Internetseite besucht. Aber alle wissen um das Potential der Sozialen Medien.
Zwischen alten und neuen Medien
Wie lehrt man also den Umgang mit Sozialen Netzwerken in Regionen, in denen noch nicht jeder Zugang zu einem Computer oder Smartphone hat, und wo die Gebühren für den Onlinezugang die geringen Gehälter unangemessen schmälern? Denn nichtsdestotrotz steht das Thema auf der Wunschliste aller Teilnehmer ganz oben. Also starten wir erst einmal offline: Mit Baumwollfäden, Erbsenbüchsen, Klebeband, Hanfseilen und jeder Menge Stifte, Papier, Kleber, Scheren, lokaler Zeitungen und Magazine verdeutlichen wir die Wirkung von "sozial" und "Netzwerk". Anschließend holen wir uns per Beamer kambodschanische Webseiten in den Seminarraum und analysieren sie. So bauen wir jeden Tag aufs Neue Brücken zwischen alten und neuen Medien, und schlagen den Bogen von unabhängigem Journalismus zu gelenkter und gekaufter Berichterstattung.
Und auch den Bogen von gestern zu heute, von Stadt zu Land - wenn auch unerwartet: Gegenüber vom Seminarraum liegt Tuol Sleng, das ehemalige Foltergefängnis der Roten Khmer. Der Stacheldraht des berüchtigten Gefängnisses endet kurz vor dem Biergarten. Die Roten Khmer internierten und folterten hier in nur fünf Jahren 12.000 Menschen. Nur sieben überlebten. Gleich am ersten Abend besucht unsere Gruppe die heutige Gedenkstätte. Ihre Fotos posten einige noch aus den Folterkammern direkt auf Facebook. Sekunden später kommen die ersten Kommentare aus der Provinz. Das zu beobachten, ist ein besonderer Moment - und die Bedeutung Sozialer Netzwerke in einem Land wie Kambodscha deutlich spürbar. Und für mich heißt das: Unter diesen Umständen ist es ein tolles Gefühl, von bad girls und bad boys umringt zu sein. Je mehr, umso besser!
Ulrike Butmaloiu arbeitet als Trainerin und Projektmanagerin für die DW Akademie, unter anderem in Kambodscha, Ghana, den Palästinensischen Gebieten und der Ukraine. Ihre Themenschwerpunkte sind Radiojournalismus, konfliktsensitive Berichterstattung und Medienkompetenz. Im Studiengang der DW Akademie "International Media Studies" unterrichtet sie Politische Kommunikation und Medientheorien. Als Journalistin berichtet sie für Radio-, Zeitungs- und Onlineredaktionen aus Osteuropa.