Good News: So schlecht ist die Welt doch nicht | transparenz-und-medienfreiheit | DW | 07.12.2021
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Transparenz und Medienfreiheit

Good News: So schlecht ist die Welt doch nicht

„Bad news are good news“ – dieser Leitsatz hält sich in der Medienbranche hartnäckig. Konstruktiver Journalismus geht die Dinge anders an: lösungsorientiert, positiv, inspirierend. Die DW Akademie fördert diesen Trend.

Am Anfang war da Frust, viel Frust. Dina Aboughazala, Journalistin aus Ägypten, ärgerte es, wie Medien über ihr Land berichten: „Immer nur Terrorismus, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen.” Negativ-Schlagzeilen, verbreitet häufig von Reporterinnen und Reportern, die sich nach kurzen Aufenthalten im Land für Experten hielten. Heraus käme ein „enger Blick“ auf Ägypten und die gesamte arabische Welt, sagt die 36-jährige Aboughazala aus Kairo, „und der wird dann als große Wahrheit präsentiert“.

Dina Aboughazala

Dina Aboughazala, Journalistin aus Ägypten und Gründerin von Egab.co, einer Plattform für konstruktiven Journalismus.

Doch dieser Frust setzte viel in Bewegung. Dina Aboughazala, die 14 Jahre für die BBC arbeitete, kam während des Journalistik-Master-Studiums in London die Idee für ein eigenes Medien-Unternehmen. Mitten in der Corona-Krise gründete sie Egab.co, eine Plattform für konstruktive Medienschaffende. „Wir bieten unseren Partnern die Erfahrung eines virtuellen Newsrooms“, sagt Aboughazala, die gemeinsam mit einer Kollegin ein Netzwerk arabischer und afrikanischer Journalistinnen und Journalisten betreut, die aus dem Nahen Osten, Nordafrika und Subsahara-Afrika kommen. Mit Aboughazalas Unterstützung entwickeln sie Ideen für konstruktive Berichte, die immer auch Lösungen beinhalten. Diese Storys verkauft Egab dann an Medienhäuser weltweit.

Der medialen Dauer-Apokalypse etwas entgegensetzen

Konstruktiver Journalismus – eine lösungsorientierte, nuancierte, zukunftsgerichtete Form der Berichterstattung – ist im Kommen. Zwar geistert der Begriff schon seit langem durch wissenschaftliche Studien, Medien-Konferenzen und Redaktionsräume. Doch erst jetzt entwickelt sich dieses „Genre“ ganz allmählich aus einer Nische hinaus – zusätzlich angetrieben durch die Pandemie und den Überfluss an düsteren Schlagzeilen. Eine wachsende Zahl an Redaktionen entscheidet sich bewusst dafür, ihre Arbeit einmal anders anzugehen: Sie suchen nach Lösungen, anstatt nur Probleme aufzuzeigen, vermitteln Inspiration statt Zynismus, zeigen mutige Menschen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen, statt hilflose Opfer. Und schaffen damit bewusst ein Gegengewicht zu den mehrheitlich negativen, aufmerksamkeitserregenden Stories. Denn Studien zeigen: Mediennutzende wünschen sich eher konstruktiven Journalismus als mediale Dauer-Apokalypse.

DW Akademie Constructive Journalism Lab GKI

Ein Foto mit einer positiven Botschaft: "Let's fight Corona together!" Zusammenhalt statt Spaltung in der Pandemie.

Die DW Akademie fördert mit einem groß angelegten Projekt – dem Constructive Journalism Lab – diesen Trend. Visuell arbeitende Medienschaffende aus Afrika und dem Nahen Osten erhalten Unterstützung bei der Produktion von konstruktiven Inhalten, können sich in Netzwerk-Veranstaltungen austauschen und werden in konstruktivem Journalismus trainiert. Trainingsgrundlage ist ein neu konzipiertes Curriculum, das gemeinsam mit einem Team erfahrener Medienschaffender aus afrikanischen und arabischen Ländern entwickelt wird. Dina Aboughazala ist eine der Co-Entwicklerinnen und -Entwickler.

Projekt für visuell arbeitende Medienschaffende

Das Projekt richtet sich nicht etwa nur an klassische TV-Reporterinnen und Reporter, sondern auch an Publizierende aus den Bereichen Dokumentarfilm und Fotografie. So wie Gordwin Odhiambo aus Kenia. Der freischaffende Fotograf nimmt am Fellowship des Projekts teil. „Ich versuche schon seit langem, meine Umgebung etwas anders abzubilden. Idealerweise so, wie die Menschen, die hier leben, sie wahrnehmen“, erzählt er. Und eben nicht, wie sie in den Medien zumeist erscheint: als Ort von Armut, Gewalt und Trostlosigkeit.

Gordwin Odhiambo

„Ich versuche meine Umgebung etwas anders abzubilden. So, wie die Menschen, die hier leben, sie wahrnehmen“, sagt Fotograf Gordwin Odhiambo (Mitte).

Odhiambo kommt aus Kibera, dem größten Slum Kenias. „Wenn ich losziehe, um zu fotografieren, versuche ich, so offen wie nur irgend möglich zu sein.“ Wie im vergangenen Jahr, als Odhiambo nach Motiven suchte, um die Folgen der Pandemie in Kibera abzubilden. Er fotografierte ein junges Mädchen, das trotz Ausgangssperre am Ballettunterricht teilnahm – von Zuhause, via Smartphone. Geschichten von Menschen, die sich in der Krise nicht unterkriegen lassen, gehören auch in Kenia zum Leben mit dem Corona-Virus. Und machen deutlich: um die Lebensrealität zu zeigen, bedarf es mehr als das Fokussieren auf Schreckensmeldungen.

Der Wahrheit auf der Spur

Für Ulrik Haagerup aus Dänemark bedeutet diese Art des Berichtens, sich für die „bestmögliche Version der Wahrheit“ einzusetzen. Er ist Gründer des Constructive Institutes (CI) in Aarhus, Dänemark, mit dem die DW Akademie eng zusammenarbeitet. Neben dem US-amerikanischen Solutions Journalism Network zählt das CI zu den bedeutendsten globalen Denkfabriken zu konstruktivem Journalismus – und Haagerup als einer der Vordenker dieser Bewegung. Er kritisiert schablonenhaften Standardjournalismus und redaktionelle Selbstgefälligkeit. Journalistinnen und Journalisten sollten möglichst viel fundierten Kontext bieten und das Publikum zum Mitdenken und zum Austausch untereinander anregen.

Dina Aboughazala beschreibt konstruktiven Journalismus außerdem als „growth mindset“, als Denkweise, die auf Weiterentwicklung und Veränderung ausgerichtet ist. Nur so könne man möglichst viele Wahrheitsaspekte abbilden – negative, positive und eben auch konstruktive. Ihr Fazit: „Wir brauchen weiterhin Breaking-News und Investigativjournalismus. Aber zusätzlich dringend noch viel mehr konstruktiven Journalismus!“

 

Dieses Projekt ist Teil der Initiative „Transparenz und Medienfreiheit – Krisenresilienz in der globalen Pandemie“ der DW Akademie und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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