„Die Komplexität unseres Menschseins passt nicht in Schubladen“ - Südsudanesischer Film feiert in Berlin Premiere    | Film und Entwicklung | DW | 14.02.2022
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BERLINALE 2022

„Die Komplexität unseres Menschseins passt nicht in Schubladen“ - Südsudanesischer Film feiert in Berlin Premiere   

„No Simple Way Home“ von Regisseurin Akuol de Mabior ist der erste südsudanesische Film, der auf der Berlinale gezeigt wird. Er ist im Projekt „Generation Africa“ entstanden, das Filme über Migration fördert.

Interview von Wilfred Okiche 

Wilfred Okiche: Sie haben schon in vielen Ländern gelebt: Sie sind in Kuba geboren, in Kenia aufgewachsen, als Tochter sudanesischer Eltern, jetzt sind Sie Südsudanesin. Sie haben als Model die Welt bereist. Was bedeutet Heimat für Sie? 

Das ist eine wirklich schwierige Frage, über die ich immer noch nachdenke - und ich vermute, ich werde immer darüber nachdenken. Reflexartig habe ich immer gesagt, dass mein Zuhause dort ist, wo meine Mutter ist. Und das klang einfach schön, passte gut und ich glaubte, dass es stimmt. Aber ist es wirklich wahr oder ist es eine einfache Lösung, damit ich nicht darüber nachdenken muss? Am Ende des Films sage ich: „Ich wünschte, mein Zuhause wäre ein Ort, an dem ich mich ausruhen kann.“ Ich habe nicht das Gefühl, dass Südsudan ein Ort ist, an dem wir uns ausruhen können. Es ist also immer noch etwas, worüber ich nachdenke.  

Filmszene No Simple Way Home von Akuol de Mabior,

Filmzene „No Simple Way Home“ von Akuol de Mabior: Mutter Rebecca Nyandeng de Mabior.

Für Ihre Mutter Rebecca Nyandeng und ihre Generation, die länger sudanesische als südsudanesische Bürgerinnen und Bürger sind, hat sich das Konzept von Heimat ebenfalls in gewisser Weise verändert. Auch Ihre Mutter lebte eine Zeit lang im Exil in Kenia. Was ist für sie Heimat?   

Sie ist Patriotin. Und ich glaube, es ist für sie viel klarer, was und wo Heimat für sie ist. Sie ist damals im südlichen Sudan geboren und aufgewachsen. Sie ist in Juba zur Schule gegangen und sie spricht offen über ihre Erfahrungen. Sie hat eine Verbindung zu Sudan, die wir als ihre Kinder – vielleicht sogar unsere ganze Generation - nicht haben. Aber auch sie ist umhergezogen, weil die Lage in Sudan seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 nicht stabil war. Auch sie hat die Turbulenzen des Krieges miterlebt, aber der Befreiungskampf hat bei ihr einen Patriotismus und ein Gefühl der Verpflichtung geschaffen. Ich spüre, dass sie sich selbst und ihre südsudanesische Identität auf diese Weise wahrnimmt. Sie hat so viel für den Befreiungskampf gegeben: sie hat ihren Mann verloren, der ebenfalls so viel dafür gegeben hat und der diese Bewegung gegründet und angeführt hat.    

Film No Simple Way Home von Akuol de Mabior

Ein altes Familienfoto: Akuol de Mabior lebte mit ihrer Familie im Exil.

Das Projekt Generation Africa befasst sich mit Migration, insbesondere mit der Frage, wie sie von jungen Afrikanerinnen und Afrikanern wahrgenommen wird. Wie fügt sich Ihr Film „No Simple Way Home“ in diesen Rahmen ein?  

Das Ziel von Generation Africa ist es, neue Perspektiven auf Migration zu präsentieren. Ich denke, wir passen perfekt in diesen Kontext. In Afrika geht es bei Migration in der Regel um Menschen, die fliehen, oder um Menschen, die einer Situation entkommen müssen. Daran sind wir gewöhnt, und das ist ein sehr gültiger Kontext. Es passiert; wir kennen diese Geschichten. Ich denke, dieser Film ist anders. Wir stellen die Frage, was es bedeutet, nach Hause zu kommen. Südsudan hat eine riesige Diaspora, wir sind überall verstreut. Viele Menschen aus meiner Generation und auch aus älteren Generationen sind wegen des Krieges nicht in Südsudan beziehungsweise in Sudan aufgewachsen. Wir wissen also, was es heißt, ein unstetes Leben zu führen. Und wir wissen auch, was es heißt, mit der Situation im Land unzufrieden zu sein. „No Simple Way Home“ ist nicht das, was wir gewohnt sind, wenn es um Erzählungen über Migration geht, aber ich denke, es passt genau in den Rahmen des Projektes Generation Africa 

Film No Simple Way Home

Filmszene „No Simple Way Home“: Rebecca Nyandeng de Mabior wird auf ihrem Weg zur Vizepräsidentin Südsudans begleitet.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit in Südsudan und wie hat die Teilnahme an einer afrikanischen Ko-Produktion dazu beigetragen, dafür Lösungen zu finden?   

Ich bin davon überzeugt, dass viele Filmschaffende nach Südsudan kommen müssen, weil das Land so schön ist. Die Qualität des Lichts, der Nil und die Landschaft machen es zu einem großartigen Ort für Dreharbeiten. Es ist jedoch eine Herausforderung, denn wir konnten keine Ausrüstung mieten und mussten alles, was wir brauchten, selbst mitbringen. Es gibt auch eine Qualifikationslücke. Ich hatte zwar einen Produktionsleiter aus dem Südsudan, aber die meisten in meinem Team kommen aus Kenia. Die Menschen trauen Menschen mit Kameras nicht. Ich kann das verstehen, denn die Geschichten über Südsudan, die es gibt, sind einseitig. Es gibt eine gewisse Feindseligkeit gegenüber der Kamera. Vor den Dreharbeiten haben wir den Leuten in langen Gesprächen immer wieder unsere Absichten erklärt.  

Weil es ein Projekt von Generation Africa ist, hatten wir Zugang zu einem großen Netzwerk von Filmschaffenden. Geschichten über Migration in verschiedenen Kontexten und Ländern zu hören, war für mich eine wertvolle Ressource.  

Funeral of John Garang

Filmszene „No Simple Way Home“: Beerdigung des Nationalhelden John Garang - Vater der Regisseurin Akuol de Mabior.

Welchen Einfluss kann ein Film wie der Ihre auf soziale Fragen im Südsudan haben, insbesondere in Bezug auf Migration oder sozialen Wandel?

Die Menschen sehnen sich nach Geschichten, die aus unserer eigenen Perspektive erzählt werden. Aber es ist immer noch eine Herausforderung, sich selbst treu zu bleiben. Es gibt Erwartungen von außen, was ein afrikanischer Film ist oder wie er sein sollte. Und diese Ideen kommen normalerweise in Paketen, die auf dem Papier Sinn ergeben. Die Filmindustrie hat ihre eigenen Schubladen, die in der Regel sinnvoll sind. Aber manchmal wird der ganze Kontinent in eine einzige Schublade gesteckt: den afrikanischen Film. Damit wird uns ein Bärendienst erwiesen, denn wissen Sie, wie viele verschiedene Arten von Afrikanern es gibt? Und wir interagieren miteinander, wir bewegen uns durch Länder innerhalb und außerhalb des Kontinents. Wie erzählen wir unsere Geschichten? Die Komplexität unseres Menschseins passt nicht in die Schubladen, in die man uns gerne stecken würde. 

 

Über den Film 

Berlinale 2022

Filmplakat auf der Berlinale: „No Simple Way Home“ ist der erste Beitrag aus Südsudan bei den Internationalen Filmfestspielen.

„No Simple Way Home“ (Kenia / Südsudan / Südafrika) ist der erste Filmbeitrag aus Südsudan, der bei einer Berlinale gezeigt wird. Darin begleitet Regiedebütantin Akuol de Mabior ihre Mutter Rebecca Nyandeng. Während der Frieden in Südsudan noch fragil ist, bereitet sich Rebecca, die „Mutter der Nation“, darauf vor, die erste Vizepräsidentin des Landes zu werden. Sie folgt damit der Vision ihres verstorbenen Mannes John Garang – Unabhängigkeitskämpfer, Nationalheld und ehemaliger erster Vizepräsident des Sudans. Rebeccas will verhindern, dass ihr Mann und Millionen von Südsudanesen umsonst gestorben sind. Ihr größter Wunsch ist, dass ihre Kinder und die Kinder ihrer Landsleute ein erfülltes Leben in ihrer südsudanesischen Heimat führen können. Aber was bedeutet es, in Südsudan zuhause zu sein? „No Simple Way Home“ ist eine Produktion des preisgekrönten Filmemachers Sam Soko („Softie“) für LBx Africa (Kenia) und von Don Edkins und Tiny Mungwe für STEPS (Südafrika). 

 

Der Dokumentarfilm „No Simple Way Home“ von Akuol de Mabior wird am 14. Februar 2022 um 16.15 Uhr auf der 72. Berlinale uraufgeführt.

Karten für diese und die folgenden Vorführungen während des Festivals können jeweils drei Tage vor der Vorführung auf der Website der Berlinale erworben werden. Der Film ist für den Panorama-Publikumspreis für den beliebtesten Dokumentar- und Spielfilm nominiert. 

 

„No Simple Way Home“ ist ein Film von Generation Africa. Gemeinsam mit der DW Akademie hat STEPS dieses Projekt mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufen. 

Über Generation Africa

Generation Africa umfasst 25 Dokumentarfilmen aus 16 afrikanischen Ländern, die sich mit der Zukunft der Jugend in Afrika und Migration beschäftigen. Die südafrikanische Organisation STEPS arbeitet mit Produktionsfirmen aus den einzelnen Ländern zusammen, um afrikanischen Filmschaffenden eine Stimme zu geben. Durch diese gemeinsame Initiative gelingt es, den Dokumentarfilm sowohl im anglophonen als auch im frankophonen Afrika zu stärken. Das Projekt bringt junge herausragende Dokumentarfilme auf die Weltbühne, um neue Perspektiven auf das Thema Migration zu eröffnen. Alle Filme des Projekts werden im Frühsommer 2022 vom deutsch-französischen Fernsehsender Arte ausgestrahlt.

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