Corona-Aufklärung im Rohingya-Camp: "Leben retten ist jetzt die wichtigste Aufgabe" | Asien | DW | 06.04.2020
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Asien

Corona-Aufklärung im Rohingya-Camp: "Leben retten ist jetzt die wichtigste Aufgabe"

Lautsprecherbeiträge und Sondersendungen: Ein lokales Bürgerradio klärt die rund eine Million Rohingya im Flüchtlingslager in Bangladesch über das Coronavirus auf. Die Produktionsbedingungen sind eine Herausforderung.

Per Lautsprecher bringt die Motor-Rikscha die Informationen zum Coronavirus zu den Menschen ins Camp.

Per Lautsprecher bringt die Motor-Rikscha die Informationen zum Coronavirus zu den Menschen ins Camp.

Der Lautsprecher knackt. Er ist auf einer Motor-Rikscha angebracht, die durch das Rohingya-Camp fährt. Lautstark ertönt ein traditioneller Song – mit Textzeilen, in denen es um das neuartige Coronavirus geht. Auch Hinweise zum richtigen Händewaschen und Informationen über die von dem Virus verursachte Lungenkrankheit Covid-19 werden so verbreitet. Das lokale Bürgerradio Radio Naf hat mit Unterstützung der DW Akademie diese Lautsprecherbeiträge produziert. "Unsere Formate sind kurz, leicht verständlich, unterhaltend und lösungsorientiert. Die Informationen können für die Menschen im Flüchtlingscamp und in der Umgebung lebenswichtig sein", sagt Mainul Khan, Trainer der DW Akademie in Cox's Bazar.

Das lokale Bürgerradio Radio Naf produziert informative Beiträge, die von einer Rikscha abgespielt werden - Miking genannt.

Das lokale Bürgerradio Radio Naf produziert informative Beiträge, die von einer Rikscha abgespielt werden - "Miking" genannt.

Die DW Akademie und Radio Naf arbeiten bereits seit 2018 mit jungen Rohingya und Einheimischen aus Dörfern nahe dem Flüchtlingslager. Die Freiwilligen erhalten Trainings und erstellen lebensnahe Beiträge über Geschichten aus dem Camp-Alltag für die wöchentliche Radiosendung "Palonger Hota" ("Stimme von Palong").

Offiziell ist das Virus noch nicht im Camp angekommen

Derzeit meldet Bangladesch 164 Corona-Infizierte und 17 Corona-induzierte Todesfälle im Land (Stand 07.04.2020, Institute for Epidemiology, Disease Control and Research). Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt jedoch: Flüchtlinge in Camps seien besonders gefährdet.

Wenn sich im inzwischen größten Flüchtlingslager der Welt mit rund einer Million Menschen das Coronavirus ausbreitet, droht eine humanitäre Katastrophe. "Die Menschen leben dort unter entsetzlichen Bedingungen, in winzigen Hütten, oft ist die Versorgung mit sauberem Wasser ein Problem. Wenn das Virus dort ankommt, möchte ich mir die Folgen gar nicht vorstellen", sagt Khan.

Die Menschen im Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Cox's Bazar leben dicht gedrängt in Hütten. Social distancing ist hier nahezu unmöglich.

Die Menschen im Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Cox's Bazar leben dicht gedrängt in Hütten. "Social distancing" ist hier nahezu unmöglich.

Das Camp ist seit langem überfüllt und "social distancing" extrem schwierig. Die medizinische Versorgung im Camp wird nun unter Hochdruck ausgebaut – ob das reichen wird, ist fraglich. Nicht nur Betten fehlen in den Behandlungseinrichtungen. Es mangelt generell an Ausstattung und Personal. Hilfsorganisationen verteilen Seife und versuchen, die Wasserversorgung für alle im Camp sicherzustellen bevor die Infektionswelle anrollt. Ein Entkommen aus der bedrohlichen Situation gibt es für die Rohingya nicht: Die Bewohnerinnen und Bewohner dürfen offiziell das Lager nicht verlassen.

Gegen Angst und Verunsicherung

Die Lautsprecherbeiträge sollen aufklären. "Wir Radioexperten haben jetzt eine besondere Verantwortung, über andere Kommunikationskanäle ist der Zugang zu Information für die Menschen im Flüchtlingslager und den umliegenden Dörfern kaum möglich", sagt Khan. Rund 70 Prozent der Rohingya gelten als Analphabetinnen und Analphabeten. Radioformate sind daher nicht nur in Krisenzeiten beliebt.

Die Menschen im Camp zu informieren ohne Panik zu schüren, steht für die Macherinnen und Macher von "Palonger Hota" nun an erster Stelle. Die Radiosendung wird weiter produziert und ausgestrahlt, aktuell mit Fokus auf Themen, die das Coronavirus oder Covid-19 betreffen. "Inzwischen produzieren wir schon die dritte Sondersendung", sagt Khan. Neben der Aufklärung über Hygiene, "Hustenetikette" und Abstandsregeln, die die Ausbreitung des Virus verhindern sollen, ist geplant, auch sensible Themen wie mentale Gesundheit und Stigmatisierung aufzugreifen. Sie bereiten sich auch auf Beiträge vor zum Umgang mit Toten oder zur Frage, wie ein würdevolles Begräbnis aussehen kann.

Das geht jetzt nicht mehr: Vor dem Ausbruch der Pandemie haben die Freiwilligen in den Camps Interviews für ihre Radiobeiträge geführt.

Das geht jetzt nicht mehr: Vor dem Ausbruch der Pandemie haben die Freiwilligen in den Camps Interviews für ihre Radiobeiträge geführt.

Informieren unter schwierigsten Bedingungen

Im Land herrscht eine strenge Ausgangssperre. "Auch in der Stadt Cox's Bazar dürfen wir unsere Unterkunft nicht verlassen", sagt Khan. "Die Straßen zum Camp sind gesperrt, wir können nicht zu unserem Trainingsraum fahren und unsere Freiwilligen persönlich treffen. Auch sie sind in ihren Hütten im Camp oder den Häusern im Dorf festgesetzt, sie können draußen keine Interviews führen." Die Berichte der Freiwilligen und ihrer Familienangehörigen werden über das Telefon aufgenommen und per Internet zum Producer in die Stadt gesendet. "All das ist ein echter Albtraum", sagt Khan. Denn der Internet-Zugang in und um das Rohingya-Camp ist bereits seit etwa acht Monaten extrem eingeschränkt. Informationen kommen auf diesem Weg nicht nur schwer aus dem Camp heraus, sondern auch schwer hinein.

Mainul Khan: "Wir wollen jeden einzelnen im Camp und in der nahen Umgebung über die Gefahren des Coronavirus aufklären. Leben retten ist jetzt die wichtigste Aufgabe für uns und unsere Partner."

 

Das Projekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.

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