Seit der Machtübernahme 2021 gehen die Taliban hart gegen kritische Stimmen in Afghanistan vor. Über 90 geflohene Medienschaffende hat die DW Akademie unterstützt. Einige von ihnen gründeten nun ein Nachrichtenportal.
Ahmad A.* und Sima Z.* waren vor dem Regimewechsel in Afghanistan 2021 erfolgreiche Medienschaffende. Sowohl Ahmad als auch Sima arbeiteten fürs Fernsehen. Sima war vielen Zuschauern als Reporterin bekannt. Nachdem die Taliban das Land wieder unter ihre Kontrolle brachten, flüchteten beide nach Pakistan. Mithilfe internationaler Institutionen konnten sie inzwischen nach Europa beziehungsweise Kanada emigrieren.
Ihre Verantwortung und Liebe zu ihrem Beruf haben sie nicht vergessen: Zusammen mit anderen exilierten Journalisten gründeten sie eine Nachrichten-Website. Sie heißt Kubhanews und erscheint auf drei Sprachen - Dari, Paschtu und Englisch.
Die DW Akademie blickt auf eine mehr als 15-jährige enge Zusammenarbeit mit afghanischen Medienhäusern und Journalistinnen und Journalisten zurück. Nach der Machtübernahme durch die Taliban half sie bei Evakuierungen von Medienschaffenden und ihren Angehörigen und schuf vielfältige Unterstützungsangebote im Exil – insbesondere in den Nachbarländern Afghanistans.
2022 wurden mit dem Projekt Space for Freedom der Hannah-Arendt-Initiative Trainings- und Hilfsprogramme gestartet, die sich der beruflichen Fortbildung, der digitalen Sicherheit, psychosozialer Gesundheit und der Orientierung auf dem Arbeitsmarkt widmen. Auch eine Kooperation mit dem Programm der Deutschen Welle ist Bestandteil des Projekts: Muttersprachliche Mentoren betreuten die Teilnehmenden bei der Produktion von journalistischen Beiträgen, die auf den Webseiten des Dari-Paschtu-Service der Deutschen Welle verbreitet werden.
Unter den Teilnehmenden waren auch Ahmad A. und Sima Z., die sich während des Projekts noch in Pakistan aufhielten. Sie erklärten sich bereit, über ihre Erlebnisse und das, was sie sich aufgebaut haben, zu sprechen – unter der Voraussetzung, dass ihre echten Namen nicht genannt werden.
Ahmad A., erzählen Sie mir bitte, warum Sie Afghanistan verlassen haben? Wie waren die letzten Tage vor der Flucht nach Pakistan?
Ahmad A.: Der Zusammenbruch des Regimes über Nacht, die Flucht afghanischer Regierungsmitglieder und politischer Führer und das Scheitern dessen, was in Doha mit den Taliban vereinbart wurde, lösten bei jedem afghanischen Bürgers existenzielles Bangen und unbeschreibliche Angst aus (Anm. d. Red.: Der Doha-Vertrag zwischen den USA und den Taliban regelte den stufenweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Dies geschah unter Ausschluss der Zentralregierung in Kabul und der internationalen Partner. Die Taliban sollten im Gegenzug Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung beginnen, die jedoch scheiterten). Soldaten, Anwälte, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Regierungsangestellte und Mitarbeiter des Privatsektors, Universitätsstudenten und Schüler erlebten mit dem Wiederauftauchen der Taliban den gleichen Schrecken der Taliban-Herrschaft in Afghanistan vor zwanzig Jahren. Journalistinnen und Journalisten, die bis einen Tag vor dem Sturz des Regimes über die Schrecken der Taliban oder die Wiederherstellung von Meinungsfreiheit und Demokratie berichtet hatten, waren an diesem Tag und in dieser Nacht die hilflosesten Menschen. Ich war TV-Journalist, und die Bedrohung wurde für mich von Tag zu Tag größer - bis die Angst vor Bedrohungen zu einer praktischen Bedrohung wurde und ich fliehen musste und mit meiner Familie und meinen Kindern auf dem Landweg nach Pakistan kam.
Sima Z., haben diese Gründe auch Sie dazu veranlasst, wegzugehen?
Sima Z.: Das und mein Frausein! Meine Präsenz im Fernsehen in einem Land mit strengen traditionellen Bräuchen und Sitten hatte mir nicht nur eine individuelle Identität gegeben, sondern ich war auch das Gesicht und die Stimme unzähliger afghanischer Frauen, die in dieser Gesellschaft keine Stimme oder kein Gesicht hatten. Wenn schon die Anwesenheit einer alleinstehenden Frau mit Hijab auf der Straße für die Taliban als Verbrechen gilt, stellen Sie sich vor, welches Schicksal mich, die bis zum Tag des Umsturzes vor der Fernsehkamera sprach, erwartet hätte. Ich gehöre zu einer Generation in Afghanistan, die mit der Bedeutung von Freiheit und Frauenrechten vertraut war und damit aufgewachsen ist. Die Taliban haben mir das genommen.
Gerne möchte ich etwas über Ihre Ankunft in Pakistan und dem Leben dort erfahren.
Sima Z.: Meine Familie und ich bekamen mit Mühe das Pakistan-Visum und reisten über die Grenze von Torkham (Anm. d. Red.: Torkham liegt in Ost-Afghanistan) nach Pakistan ein. Damals flohen viele Afghanen nach Pakistan und jeder half jedem. Mithilfe der Afghanen, die vor uns dort angekommen waren, fanden wir in der Anfangszeit auch eine Mietwohnung. Wir erfuhren außerdem etwas über die Umgebung und örtliche Einrichtungen sowie über die Bedrohungen in Pakistan.
Ahmad A.: Die große Präsenz von Afghanen in dem Gebiet war eine gute moralische und praktische Unterstützung, aber es gab auch ernsthafte Schwierigkeiten. Es bestand die Gefahr von Verfolgung in Pakistan. Dort werden Flüchtlinge als Menschen zweiter Klasse betrachtet. Ihre Einwandereridentität kann sie zur Zielscheibe von Korruption, Drohungen, Geldraub und körperlicher Folter machen. Ich habe immer noch Angst, meinen richtigen Namen zu nennen, weil ich damit meine Verwandten, die noch in Pakistan und Afghanistan sind, in Gefahr bringen könnte.
Sima Z.: Ein Aufenthaltsvisum war ein weiteres großes Problem für Afghanen. Diejenigen, die illegal nach Pakistan eingereist waren oder deren Visa abgelaufen waren, liefen Gefahr, aus Pakistan ausgewiesen oder inhaftiert zu werden. Armut, Arbeitslosigkeit und die exorbitanten Preise für Hausmieten und Lebensmittel, die für Afghanen absichtlich höher waren als für Pakistaner, machten die Lebensumstände schwieriger. Das ist immer noch so.
Ahmad A.: Die Schulbildung der Kinder war ein weiteres Problem. Nur mit viel Geld, das sich fast niemand leisten konnte, war es möglich, Kinder zur Schule zu schicken. Meine Kinder haben - wie ich - täglich die Länge und Breite der Zimmerwände gemessen.
Sima Z.: Am Anfang hatte ich die Hoffnung, dass sich die Situation in Afghanistan bald verbessern würde und ich wieder zurückkehren könnte. Ich hatte keine Ahnung von der Flucht und der Heimatlosigkeit. Ich konnte immer noch nicht das hinter mir lassen, was ich für mich aufgebaut hatte.
Wie haben Sie vom Space for Freedom-Programm der DW Akademie erfahren?
Ahmad A.: Die Ausschreibung der Aufnahme von Journalisten in das Programm wurde sehr schnell unter einer großen Zahl von Exiljournalisten in Pakistan bekannt. Ich denke, viele Leute haben sich dafür beworben.
Wie war der Aufnahmeprozess für Sie?
Sima Z.: Ich habe mich sehr über die Zusage gefreut. Der Prozess der Arbeitsüberprüfung der Journalist*innen war langwierig, aber die Entscheidungen waren transparent. Am wichtigsten ist, dass das, was ich während dieses Projekts gelernt habe, für mich sehr produktiv war.
Bitte berichten Sie von Ihren Empfindungen.
Sima Z.: Für mich war es am wichtigsten, mich an meine Identität als Journalistin zu erinnern. Das hat dieses Programmermöglicht. Meine Angst vor dem Alleinsein wurde verringert. Es wurde mir bewusst, dass selbst in den schwierigsten Situationen ein Fenster zur Hoffnung geöffnet werden kann.
Ahmad A.: Die berufliche Ausbildung mit neuen Methoden des Journalismus, die Möglichkeit zur praktischen Arbeit und das Wiedereinfinden in meinem Beruf waren für mich die besten Punkte dieses Programms. Professionelle Beratung bei der Jobsuche und Networking waren wichtige Faktoren für die zukünftige Entwicklung. Für die Arbeit, die wir jetzt begonnen haben, war die Unterstützung durch die DW Akademie sehr nützlich.
Sima Z.: Das Stipendium war eine große Hilfe. Es hat einen großen Teil unserer täglichen Sorgen um Arbeit und Geldverdienen gelöst. Gleichzeitig waren der ständige Kontakt und die Beratung der Kollegen der DW Akademie mit uns bei jedem auftretenden Problem sehr wertvoll.
Ahmad A.: Für mich bedeutete es sehr viel, wieder einen Bericht zu schreiben und die Möglichkeit zu haben, internationale Standards zu erreichen und ihn in einem internationalen Medium zu veröffentlichen - in einer Situation, in der es keine Möglichkeit für ein normales Leben gab.
Es ist noch nicht lange her, dass Sie in Europa und Kanada angekommen sind und jetzt eine Nachrichten-Webseite gegründet haben. Warum und wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Ahmad A.: Die meisten der erfahrenen afghanischen Journalistinnen und Journalisten sind aus Afghanistan raus oder sie haben nicht die Möglichkeit, in Afghanistan präzise zu arbeiten. Starke berufliche Einschränkungen und schwierige finanzielle Möglichkeiten halten die meisten von ihnen von ihrem Beruf fern. Es besteht heute, unter den jetzigen Bedingungen, ein dringender Bedarf an professionell produzierten, transparenten Nachrichten für die Menschen in Afghanistan und die internationale Gemeinschaft. Wir haben den ersten Schritt auf diesem Weg getan, indem wir das genutzt haben, was wir im Exil-Journalismus gelernt haben. Unser Arbeitsteam besteht aus Journalistinnen, die nach der Machtübernahme der Taliban Afghanistan verlassen haben und über große Erfahrung im Bereich Journalismus und Management verfügen.
Sima Z.: Mit sehr begrenzten Möglichkeiten, aber mit großer Hoffnung wünschen wir uns, dass wir unsere Arbeit mit deutlich mehr professioneller Seriosität ausführen können, als das bei anderen News-Webseiten oder in den sozialen Medien der Fall ist. Für transparente und sehr genaue journalistische Arbeit bräuchten wir allerdings mehr Ressourcen als uns derzeit zur Verfügung stehen. Die zukünftige Rolle dieser Nachrichten-Webseite sollte konstruktiv, informativ und nicht anmaßend sein. Wir sind davon überzeugt, dass die Schaffung einer neuen Nachrichten-Webseite im Exil keine Wiederholung sein sollte und nicht den üblichen Mangel an Seriosität aufweisen sollte, der leider weit verbreitet ist. (…). Die finanziellen Möglichkeiten dieses Projekts liegen immer noch auf der Ebene persönlicher und individueller Beiträge, was ein großes Problem bei der Verwaltung unseres Programms darstellen kann. Dies ist ein Neuanfang, aber der Weg, der vor uns liegt, ist bekannt und vertraut; er gibt uns Kraft und Farbe im Leben.
*Die Namen der Interviewten sind der Redaktion bekannt. Sie wurden aus Sicherheitsgründen anonymisiert.
Die Hannah-Arendt-Initiative ist ein Programm der Bundesregierung zum Schutz von Medienschaffenden aus Krisen- und Konfliktgebieten. Space for Freedom ist ein Projekt der DW Akademie innerhalb der Initiative und wird vom Auswärtigen Amt gefördert. Es richtet sich an Journalist*innen aus Afghanistan, Russland, Belarus und Mittelamerika.