In der Ostukraine tobt ein Informationskrieg. Gibt es noch unabhängige Berichterstattung und vertrauenswürdige Quellen? Auf Einladung der DW Akademie und ARD diskutierten Medienexperten im ARD-Hauptstadtstudio.
Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler (rechts), die unter anderem über die Maidan-Proteste berichtete
Eines gelte es dabei für Journalisten wie Mediennutzer zu beachten, sagte Sabine Adler, Osteuropa-Korrespondentin beim Deutschlandradio: Unabhängige Informationen aus dem Kriegsgebiet in der Ostukraine gebe es nicht mehr. Die Arbeit als Kriegsberichterstatter sei inzwischen viel zu gefährlich geworden, so Adler.
Das erlebte auch Frank Hofmann, Ukraine-Korrespondent der Deutschen Welle. Als er für einen Bericht ins Kriegsgebiet reiste, eskalierten in dem umkämpften Dorf Schirokine in der Ostukraine die Gefechte: "Wir sind heftig beschossen worden, und ich rate jedem, sich davon fernzuhalten." Eine Botschaft, die auch ukrainische Journalisten beherzigten, sagt Nataliia Fiebrig, Berlin-Korrespondentin des ukrainischen TV Senders 1+1. Sie könne nur noch aus zweiter Hand berichten, wenn sie in das Krisengebiet reise, sagte Fiebrig: "Selbst wenn ich alle meine Accounts bei sozialen Medien vorher lösche, so laufe ich doch Gefahr, in den Fokus des Inlandsgeheimdienstes zu geraten."
Kyryl Savin (rechts), Ländermanager für Ukraine der DW Akademie und ehemals Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew
Die Panelisten sehen in der Beobachter-Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) deshalb die letzte Chance, um an unabhängige Informationen über den Konfliktverlauf zu kommen. Doch auch hier gebe es Zweifel, so Moderatorin Ute Schaeffer, wie aussagekräftig die Berichte seien. Kyryl Savin, langjähriger Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew und heutiger Ländermanager Ukraine der DW Akademie, nutzt die OSZE-Informationen - und hält sie für glaubwürdig. Allerdings gebe es Einschränkungen: "Die OSZE-Mitarbeiter können nicht alles beobachten, weil sie einfach nicht in die besetzten Gebiete reingelassen werden."
Harter Job, fehlende Ausbildung
Besonders fatal sei, so Nataliia Fiebrig, dass der Krieg die Journalisten in der Ukraine überrascht habe. "Sie waren absolut nicht vorbereitet", sagt Fiebrig, und schließt sich dabei selbst ausdrücklich mit ein. "Es wurden viele Fehler gemacht. So wurden beispielsweise Blockposten ausführlich gefilmt, die daraufhin beschossen wurden – da zu sehen war, wo diese stehen." Auch sich selbst habe sie in Gefahr gebracht, und sei durchaus auch auf gezielte Falschmeldungen hereingefallen. "Man lernte mit der Zeit, kritisch damit umzugehen. Aber auch jetzt ist es noch nicht einfach."
Nataliia Fiebrig (links), Berlin-Korrespondentin des ukrainischen TV Senders 1+1, und Ute Schaeffer, Leiterin Medienentwicklung DW Akademie, verantwortete den Aufbau des Ukrainischen Programms der DW
Kyryl Savin von der DW Akademie ist überzeugt, dass Bürgerrechtler und Aktivisten derzeit die Einzigen seien, die unvoreingenommen in der Ukraine recherchieren und berichten würden. Allerdings seien diese vielfach nicht ausgebildet. "Ich vermisse wirklich gute Journalisten, die in alle Richtungen investigativ arbeiten." Für Savin geht es deshalb bei der Unterstützung von Journalisten in der Ukraine um mehr als nur die Vermittlung von Fertigkeiten. "Aus meiner Sicht muss man das journalistische Berufsbild nicht neu erfinden, sondern es erst einmal schaffen." Bislang fehle es in der Ukraine am Selbstverständnis, dass ein Journalist jemand sei, der sich in den Dienst der Gesellschaft stelle und unparteiisch, unabhängig und objektiv berichte. "Die Gesellschaft akzeptiert es, dass Journalisten für Sender von Oligarchen arbeiten", kritisiert Kyryl Savin. Bislang gelte: Wer Journalisten bezahle, der könne auch etwas von ihnen verlangen.
Marionetten der Mächtigen?
Nataliia Fiebrigs Sender 1+1 gehört dem ukrainischen Oligarchen Igor Kolomoisky. Wenig verwunderlich, dass das interessierte Fachpublikum im ARD-Hauptstadtstudio wissen wollte, wie sie mit möglicher Zensur umgehe. "Es gibt keine geschriebenen Regeln, aber es gibt auf jeden Fall den Versuch, Einfluss zu nehmen", sagte Fiebrig. Man müsse darum kämpfen, frei zu berichten. Was insbesondere dann nicht einfach sei, wenn es zwischen den verschiedenen Oligarchen Konflikte gebe, die sie über ihre jeweiligen Medien austrügen. "Insgesamt gilt: Der Einfluss unterscheidet sich von Sender zu Sender", sagt sie. DW-Korrespondent Frank Hofmann konnte berichten, dass sich die ukrainischen Bürger mit dieser interessengesteuerten Medienlandschaft arrangiert hätten: "Die Leute sehen sich das Programm verschiedener Sender an, die unterschiedlichen Oligarchen gehören. Und dann schauen sie sich die Schnittmenge an, um ungefähr zu wissen, was tatsächlich Fakt ist oder sein könnte."
Als ein viel gravierenderes Problem empfinde sie jedoch die rigide Selbstzensur der Journalisten. "Mitunter haben Journalisten die Schere selbst im Kopf und denken: Alles, was jetzt negativ für unser Land ist, machen wir nicht mehr." Für Sabine Adler ist das nichts anderes als "falsch verstandener Patriotismus".
Zum Ende der Veranstaltung konnte Kyryl Savin dann noch auf einen Hoffnungsschimmer in der ukrainischen Medienlandschaft hinweisen: Mit Unterstützung der DW Akademie werde derzeit am Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders in der Ukraine gearbeitet: Das Ziel dabei sei es, unabhängige Medien zu schaffen, bei denen es keinen Inhaber gäbe, der sage, was berichtet werde und was nicht.