Vor einem Jahr begann der Exodus der Rohingya aus Myanmar. Hunderttausende flüchteten ins benachbarte Bangladesch. Fünf von der DW Akademie ausgebildete Radioreporter, Rohingya und Einheimische, schildern ihre Erfahrung.
Am 25. August ist der erste Jahrestag der Massenflucht der Rohingya aus Myanmar. Fast eine Million Menschen leben seither in Bangladesch, in Kutupalong im Distrikt Cox’s Bazar. Das Flüchtlingslager existiert schon seit Jahrzehnten. Inzwischen ist es das größte der Welt. Langjährige Campbewohner und Neuankömmlinge wohnen Seite an Seite mit der lokalen Bevölkerung.
Um wichtige Informationen schneller zu verbreiten und den Austausch untereinander sowie mit der Bevölkerung zu stärken, bildet die DW Akademie dort mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) junge Rohingya zusammen mit jungen Einheimischen zu Bürgerjournalisten aus.
In der Radiosendung Palonger Hotha (Stimme von Palong), ausgestrahlt vom Projektpartner Radio Naf, berichten die Bürgerreporter über Alltägliches und verschaffen den Menschen so Gehör. Wie haben die jungen Reporter die Massenflucht vor einem Jahr erlebt? Was bedeutet es für sie, als Bürgerjournalisten unterwegs zu sein?
Zia (18) wurde im Registered Rohingya Camp in Kutupalong geboren. Er bereitete sich gerade auf seine Abschlussprüfungen vor, als tausende neue Flüchtlinge in Kutupalong eintrafen.
"Meine Familie lebt hier bereits seit 26 Jahren, wir haben Myanmar schon vor langer Zeit verlassen. Als einige der Neuankömmlinge keine eigene Unterkunft finden konnten, kamen sie zu uns ins Haus: Sieben Familien, insgesamt 50 Menschen. Sie waren nicht mit uns verwandt. Mit meinen Eltern und anderen habe ich darüber gesprochen, wo die jungen Mädchen und Jungen zukünftig zur Schule gehen sollen.
Darüber, wie sie in Myanmar behandelt wurden und dass viele von ihnen traumatisiert sind. Die Reise von Myanmar nach Bangladesch ist lang. Normalerweise braucht man sieben Tage dafür, aber die meisten von ihnen waren einen Monat lang unterwegs. Es gab Tage ganz ohne Essen, einige wurden krank. Als sie bei uns ankamen, fragten sie nur nach Wasser. Sie hatten Angst zu sterben.
Mittlerweile haben die Neuen hier Privilegien, die wir auch einmal hatten. Sie bekommen Essen und Material, um ihre Häuser zu reparieren. Wir müssen jetzt unsere Privilegien und unsere Ausstattung teilen.
Wenn ich in meiner Position als Radioreporter mit ihnen spreche, sind sie erst zurückhaltend. Für mich ist es sehr emotional und traurig, ihre Geschichten zu hören. Ich bin Muslim, ich bin Rohingya, ich kann ihren Schmerz verstehen.
Für das Bürgerradio arbeite ich hauptsächlich, weil es mir dabei hilft, neue Fähigkeiten zu entwickeln und Erfahrungen zu sammeln. Aber ich kann dadurch auch der Welt das Leid und das Glück der Rohingya näher bringen, und die Welt hört zu."
Ibrahim (19) kam vor 9 Monaten im Flüchtlingslager an, gemeinsam mit 39 Familienmitgliedern. Auf der Flucht starb sein Großvater.
"Ich kann nicht sagen, welches Gefühl bei mir überwiegt: Die Erleichterung, dass ich in Bangladesch bin und in Sicherheit, oder die Sehnsucht nach dem Land, in dem ich aufgewachsen bin. Ich bin meinem Land verbunden, es fehlt mir sehr. Für uns gab es kein Bildungssystem in Myanmar, aber es gab Leute in der Nachbarschaft, die mir das Lesen beigebracht haben. Meine gesamte Bildung habe ich von ihnen. Es sind diese Menschen, die ich am meisten vermisse. Ich frage mich oft, wo sie jetzt sind und was sie tun.
Ich arbeite jetzt als Bürgerreporter für das Radioprogramm Palonger Hotha. Es ist wichtig, dass wir über die täglichen Dinge berichten, die uns beschäftigen. Was die Rohingya fühlen, wie sie leiden. Ich will, dass die Menschen wissen, dass wir ihnen zuhören.
Eine unserer Forderungen ist zum Beispiel, dass uns die Staatsangehörigkeit Myanmars anerkannt wird. In Myanmar gibt es 135 verschiedene Stämme. Aber die Rohingya sind bisher nicht offiziell erfasst. Wir wollen als 136. Gemeinschaft anerkannt werden."
Asma (20) ist Mutter einer Tochter. Sie kam vor einem Jahr nach Bangladesch. Gemeinsam mit vier Brüdern und drei Schwestern war sie zu Fuß neun Tage lang unterwegs.
"Wir kamen in zwei Gruppen, erst vier von uns und dann die anderen vier. Meine Mutter war in der zweiten Gruppe unterwegs, und sie wurde krank, sie musste ins Krankenhaus. Für uns war das sehr schwer, es war Nacht, alles war überfüllt und irgendwie diffus. Wir wussten erst nicht wohin, ob wir überleben würden oder nicht. Schließlich haben wir es nach Bangladesch geschafft, das war an einem Freitag.
Wenn ich jetzt versuche, mich an mein Leben in Myanmar zu erinnern, werde ich sehr traurig. Und ich werde auch wütend. Ich weiß nicht, wo ich bin und wo ich hingehöre, Bangladesch oder Myanmar. Ich will nicht essen, ich will nicht schlafen. Alles was ich fühle ist Traurigkeit.
Aber ich bin gleichzeitig froh, dass ich in Bangladesch und in Sicherheit bin. Und ich bin froh, dass ich jetzt arbeiten kann. Als Reporterin für das Radioprogramm Palonger Hotha kann ich die Geschichten der Rohingya hören. Es sind tragische Geschichten. Aber es macht mich froh zu wissen, dass sie jetzt gehört werden."
Ayesha (18) ist Einheimische aus Bangladesh und lebt in Cox’s Bazar. Seit April 2018 arbeitet sie für die Radiosendung Palonger Hotha.
"Ich möchte später einmal als Journalistin arbeiten, und das ist eine gute Möglichkeit für mich, die Arbeit kennenzulernen. Außerdem motiviert mich, dass ich die Rohingya kennenlerne.
Im Dezember 2017 habe ich zum ersten Mal Rohingya getroffen, und ich wollte ihnen helfen. Erst haben wir nicht viel gesprochen, aber dann habe ich regelmäßige Hörer-Clubs für Radio Naf in den Flüchtlingslagern organisiert. Dabei haben sie mir viele persönliche Geschichten erzählt.
Ich habe mit einer alten Frau gesprochen, Mutter von zwei Söhnen und sieben Töchtern. Sie hat mir erzählt, dass zwei ihrer Töchter vergewaltigt wurden. Von ihren Söhnen wisse sie nicht, ob sie noch leben oder in Myanmar erschossen wurden. Eine andere Frau hat mir erzählt, dass sie zusammen mit ihrem Mann nach Bangladesch kam. Doch nach der Ankunft habe er sie verlassen und lebe jetzt mit einer anderen Frau zusammen. Seitdem nehme er ihr die Lebensmittelrationen weg und gebe sie der anderen Frau. Er habe auch damit begonnen, sie zu schlagen und sogar gedroht, sie zu töten.
Ich glaube, dass unser Radioprogramm Palonger Hotha Dinge verändern kann. Unser Programm schafft Bewusstsein, wir berichten über die Rohingya, ihre Probleme, ihr Leid. Wir können die Hörer mit unseren Beiträgen berühren und so dafür sorgen, dass sie die Situation besser verstehen. Ich kann die Veränderung kommen sehen. Vielleicht nicht 100 Prozent, aber vielleicht 60. Wenn wir das gleiche Radioprogramm für die Dorfbevölkerung in ländlichen Regionen Bangladeschs produzieren würden, dann könnten wir auch dort Veränderungen herbeiführen. Ja, unser Programm hilft den Menschen."
Sajeda (20), Einheimische aus Bangladesch, arbeitet seit Dezember 2017 für den DWA-Projektpartner Radio Naf.
"Ich habe zuerst an den Informationsständen in den Flüchtlingslagern gearbeitet. Wir informieren die Rohingya darüber, wo sie Hilfe bekommen können.
Viele Einheimische arbeiten für die Rohingya-Gemeinschaft. Wir wissen, dass sie gefoltert wurden, dass sie traumatisiert sind, dass sie viel Leid erlebt haben. Als sie hierher kamen, hatten sie keinen Ort. Auch wenn wir ihnen keine Wohnungen anbieten können, können wir ihnen zumindest unsere Worte geben. Wir geben ihnen Informationen. Ich wollte ihnen einfach helfen.
Für die Radiosendung Palonger Hotha habe ich viele Themen bearbeitet. Die Sendungen wurden auch an den Infoständen und in den Hörer-Clubs laut gespielt.
Die Hörer können da zum Beispiel lernen, wie sie am besten auf ihre Kinder aufpassen, sie lernen etwas über die Regenzeit, wie sie Hilfe erhalten können.
Die Rohingya erzählen mir viele Geschichten, und wenn ich nach Hause gehe, dann teile ich diese Geschichten mit meinen vier Schwestern. Wenn ich Hörer-Clubs organisiere, mache ich Fotos und zeige sie meinen Schwestern. Die Rohingya sind Muslime, wir sind Muslime. Wir haben dieselbe Religion, wir verstehen uns. Wenn sie über ihre Leiden und ihre Traumata reden, dann mache ich mir große Sorgen, dann habe ich Mitgefühl."