Pakistan: Beratung für traumatisierte Journalisten | Asien | DW | 17.12.2018
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Asien

Pakistan: Beratung für traumatisierte Journalisten

In Pakistan engagieren sich zwei Traumazentren für die psychische Gesundheit von Journalisten. Die DW Akademie unterstützte den Aufbau der Zentren, die Anfang 2018 in Karatschi und Quetta eröffnet wurden.

Traumazentrum für pakistanische Journalisten in Karachi

Vorstellung des Traumazentrums im Presseclub Karatschi.

Journalisten in Pakistan leiden wegen ihrer Arbeit oft unter Stress und emotionalen Problemen. Aber nur selten erhalten sie deshalb psychologische Beratung. Die Zentren in Karatschi unter der Leitung des Center for Excellence in Journalism, und in Quetta, geleitet von der Nichtregierungsorganisation Individualland, bieten Journalisten kostenlose professionelle Beratung. Die Partnerorganisationen klären auch Medienhäuser über das Thema Trauma auf und informieren darüber, wie wichtig es ist,  Journalisten auf konfliktreiche Erlebnisse vorzubereiten.

Traumazentrum für pakistanische Journalisten in Karachi

Das Motto des Well-Being-Centers: Mit den Langzeiteffekten der Traumata umgehen, die Journalisten in Pakistan oft bei ihrer Arbeit erleben.

Die DW Akademie sprach mit der Dr. Asha Bedar, der klinischen Psychologin des Karatschi-Zentrums, und Mahim Maher, Journalistin und Projektmanagerin des Karatschi-Zentrums, um mehr über ihre Arbeit zu erfahren.

DW Akademie: Welche Art von traumatischen Situationen begegnen Journalisten in Pakistan?

Mahim Maher: Ich habe 18 Jahre in Nachrichtenredaktionen verbracht und festgestellt, dass psychisches Trauma und chronischer Stress häufige Probleme sind, die sich aber nicht so eindeutig benennen lassen wie Fälle von physischem Trauma. Der extreme Druck in einer Umgebung, in der man nicht weiß, wer durch das, was man sagt, schreibt oder twittert, beleidigt wird, ist eine besondere Art von chronischem Stress. Bedrohungen oder die Angst, selbst bedroht zu werden, haben psychische Auswirkungen auf die Journalisten.

Dr. Asha Bedar: Zu den arbeitsbedingten traumatischen Situationen, über die meine Klienten berichtet haben, gehören Gewalt, Terrorismus und sexueller Missbrauch von Kindern einschließlich Vergewaltigung. Einige sind auch Bedrohungen, Einschüchterungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt als direkte Folge der heiklen Themen, die sie behandelt haben. Die Arbeit, die Leistung und das allgemeine Wohlbefinden der Journalisten werden auch durch Faktoren wie Fristen, Arbeitszeiten, niedrige oder verspätete Gehälter, hohen Konkurrenzdruck und die ständige Beschäftigung mit Nachrichten beeinflusst. Während einige Reporter körperliche Verletzungen am Arbeitsplatz erlitten haben, waren die Auswirkungen für die meisten weitgehend emotional - Angst, Schlaflosigkeit, Rückblenden, geringes Selbstwertgefühl, Schwierigkeiten in Beziehungen oder Drogenmissbrauch.

Gibt es bestimmte Gruppen von Journalisten, die besonders gefährdet sind?

Maher: Junge, neue Journalisten sind verwundbar, weil sie das Terrain, in dem wir tätig sind, nicht kennen und nicht wissen, wo die roten Linien sind. Redaktionen schulen sie nicht und ältere Kollegen bereiten sie oft nicht richtig vor oder begleiten sie nicht. Die jungen Journalisten, die ich kenne, reiben sich auf an dem, was es zu berichten gibt, und können sich selbst in Gefahr bringen. Andere gefährdete Gruppen sind TV-Außenreporter, Bezirkskorrespondenten in ländlichen Gebieten, die oft der Willkür einflussreicher Grundbesitzer mit großer Macht innerhalb der Polizei ausgeliefert sind, und Journalistinnen und Reporter, die Minderheiten angehören.

Mahim Maher

Mahim Maher ist Journalistin und Projektmanagerin des Karachi-Zentrums.

Bedar: Die verletzlichsten Journalisten bei mir sind Reporter, die bei Gewalttaten vor Ort waren, oder solche, die sich mit spezifischen Missbräuchen wie Kindesmissbrauch oder -mord befassen und mit den Familien in Kontakt stehen. Frauen erleben oft noch eine andere Art der Verletzlichkeit in Bezug auf sexuelle Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Inwieweit werden Journalisten in Pakistan auf potenziell traumatisierende Situationen vorbereitet?

Maher: Ich würde sagen, dass sie niemand wirklich darauf vorbereitet. Unser Gesamtverständnis von Trauma ist eher gering. Ich hatte Reporter, die sich selbst überschätzten, sich damit selbst einem großen Risiko aussetzten und sich Jahre später wunderten, wie naiv sie waren. Wir alle wissen, dass wir blind in Situationen geraten sind, weil wir es einfach nicht besser wussten.

Wie führen Sie Ihre Beratungsgespräche durch?

Maher: Das Well-being Center des Center for Excellence in Journalism in Karatschi befindet sich auf dem großen Campus des Institute of Business Administration. Die Klienten erhalten einstündige Beratungsgespräche mit unserem Psychologen und kommen einmal pro Woche – so lange, wie sie es benötigen. Wir haben auch einen Psychiater, wenn sie verschreibungspflichtige Medikamente brauchen.

Bedar: Mein Ansatz ist weitgehend klientenorientiert. Tempo und Richtung der Sitzung werden in erster Linie von den Klienten bestimmt. Meine Hauptaufgabe ist es, zuzuhören, von Zeit zu Zeit Fragen zu stellen und die Klienten bei der Verarbeitung ihrer Schwierigkeiten zu unterstützen. Wir diskutieren Bewältigungsstrategien, und ich unterstütze sie dabei in Hinsicht auf die Psyche und das Verhalten, gesunde und effektive Wege der Bewältigung einzuüben.   

Wie haben Journalisten und Medienschaffende auf die Traumazentren reagiert?

Bedar: Es gab eine sehr gute Resonanz bezüglich Akzeptanz und Bedarf. Allerdings müssen noch einige logistische Probleme rund um den Standort geklärt werden.

Dr. Asha Bedar

Die klinische Psychologin Dr. Asha Bedar betreut die Klienten.

Sie besuchen auch Medienhäuser und bieten „Sensibilisierungssitzungen“ für Führungskräfte an. Warum ist das notwendig?

Bedar: Das Thema psychische Gesundheit bleibt eines der am wenigsten verstandenen und am stärksten stigmatisierten Themen im pakistanischen Gesundheitssektor. Diese Besuche helfen dabei, das Tabu zu brechen, indem wir Informationen über psychische Gesundheit und Beratung vermitteln. Außerdem machen sie auch unser Traumazentrum bekannter.

Maher: Wir müssen unsere Botschaft in die Redaktionen bringen, denn es ist wichtig, dass sich Journalisten bei der Kontaktaufnahme mit uns wohl fühlen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Medienarbeiter außerhalb der Redaktionen – zum Beispiel Fahrer von Übertragungswagen und Kameraleute – wissen, dass sie auch Hilfe erhalten können. Es hat sich gezeigt, dass, wenn ich als leitende Journalistin meine persönliche Geschichte über Depressionen erzähle, auch alle anderen erkennen, dass es in Ordnung ist, Probleme zu haben.

Was sollten alle Chefredakteure, Manager und Medieninhaber über die psychischen Probleme wissen, die journalistische Arbeit in Pakistan nach sich ziehen kann?

Bedar: Es ist wichtig zu vermitteln, dass Mitarbeiter Schutz vor psychischen und emotionalen Leiden brauchen. Unbehandelte psychische Erkrankungen können Auswirkungen auf Arbeitsbeziehungen und die Produktivität haben. Journalisten können durch Systeme unterstützt werden, die emotionale Sicherheit und Wohlbefinden ermöglichen, wie z.B. Beratungsdienste, Selbsthilfegruppen, Ruhezonen oder geteilte Arbeit. Dies ist eine geringe Investition im Vergleich zu den Kosten unbehandelter psychischer Erkrankungen. 

Wie können Medienhäuser ihre Journalisten schützen?

Maher: Medienhäuser schützen ihre Journalisten nicht und sind auch nicht immer daran interessiert. Journalisten gibt es in ihren Augen wie Sand am Meer. Wenn Medienhäuser ihre Journalisten nicht schützen können, sollten diese zumindest in der Lage sein, das selbst zu tun. Die Medienhäuser sollten aber wenigstens die richtige Ausrüstung zur Verfügung stellen, Standardprozesse für riskante Außer-Haus-Arbeit haben und pünktlich bezahlen, da all dies große Stressfaktoren sind.

Wie sehen die Perspektiven für Ihr Zentrum aus?

Bedar: Wir hoffen, das Projekt auch im nächsten Jahr und darüber hinaus fortsetzen zu können. Wir planen außerdem die Entwicklung audiovisueller Infomaterialien für Journalisten.  

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