Osterbräuche in der Lausitz
Kunstvoll bemalte Eier, schwarze Reiter oder explosive Milchkannen: Die Sorben in der ostdeutschen Lausitz pflegen ihre Traditionen – auch zu Ostern. Doch nicht alles ist mehr so wie früher.
Osterbräuche in der Lausitz
Kunstvoll bemalte Eier, schwarze Reiter oder explosive Milchkannen: Die Sorben in der ostdeutschen Lausitz pflegen ihre Traditionen – auch zu Ostern. Doch nicht alles ist mehr so wie früher.
Wohl kaum eine Gegend in Deutschland kennt so viele Osterbräuche wie die Lausitz, eine Region im Osten Deutschlands, die sich über die Grenze nach Polen erstreckt. Dort leben geschätzt etwa 60.000 Sorben – neben den Friesen, den Südschleswigern und den Sinti und Roma eine von vier nationalen Minderheiten in Deutschland. Dieses kleine slawische Slawe, -n/Slawin, -nen Angehöriger/Angehörige einer Volksgruppe, die in Ost-, Südost- und Mitteleuropa beheimatet ist Volk mit eigener Sprache und reicher Kultur pflegt das alte Brauchtum. Ganz besonders an Ostern. Alte heidnische Bräuche verbinden sich mit der für die Diaspora Diaspora (f., nur Singular) ein Gebiet in einem Land, in dem Menschen z. B. einer bestimmten Religion, Volksgruppe oder Kultur aus einem anderen Land leben -Katholiken so prägenden christlichen Tradition. Schon Wochen vorher werden Vogeleier bemalt. Vom Kiebitz Kiebitz, -e (m.) ein Vogel, der bis zu 30 Zentimeter groß sein kann und auf dem Kopf einen hoch aufragenden, schwarzen Federbüschel hat - bis zum Strauß Strauß, -e (m.) ein großer Vogel mit langen Beinen und langem Hals, der sehr schnell läuft enei sind alle Größen vertreten. Es sind farbenprächtige Kunstwerke, die in verschiedenen Techniken mit fantasievollen Mustern versehen werden. Jährlich findet in Schleife, einem Dorf in der Oberlausitz, ein Ostereiermarkt statt. Dort können Besucherinnen und Besucher diese Eier nicht nur kaufen, sondern sich auch die Techniken zeigen lassen, beispielsweise von Sylke:
„Ich kann insgesamt vier Techniken. Bei der ‚Bossiertechnik‘ trägt man farbigen Wachs auf das Ei auf. Bei der Wachsbatiktechnik ist es so, das ist eine Reservier-Technik – man reserviert mit dem Wachs die momentane Farbe. Bei der Kratz- und bei der Ätztechnik ist es so, dass man ein eingefärbtes Ei nimmt, und bei der Kratz-Technik kratzt man das Muster aus dem Ei, bei der Ätztechnik wird das Muster mittels Salzsäure aufgetragen und weggeätzt.“
Eine nicht so aufwendige Technik ist das Bossieren eines gekochten oder ausgeblasenen aus|blasen hier: bei einem Ei mit einer sehr dünnen Nadel an beiden Enden vorsichtig ein Loch bohren und an einer Seite hineinblasen, um das Ei zu entleeren; auch: aus|pusten Vogeleies. Dabei wird mit einem stiftartigen Arbeitsgerät flüssiges Wachs in verschiedenen Farben und Mustern aufgetupft (etwas auf etwas) tupfen (meist eine Flüssigkeit) vorsichtig auf eine Stelle auftragen . Aufwendiger ist die Methode des Batikens. Mit flüssigem Wachs wird auf ein zunächst rohes Ei ein Muster aufgetragen, dann das Ei gefärbt. An den Stellen, wo das Wachs war, bleibt die ursprüngliche helle Farbe erhalten, wird „reserviert“. Mit jeder neuen Wachsschicht baut sich das Muster von hell nach dunkel auf. Ganz zum Schluss wird das Ei ausgeblasen. Salzsäure, eine chemische Lösung Lösung, -en (f.) hier: ein flüssiges Gemisch aus mindestens zwei gleich beschaffenen chemischen Stoffen , die Oberflächen angreift, ist das Wichtigste bei einer weiteren Technik: der Ätztechnik. Künstler nutzen diese Eigenschaft, um zum Beispiel Bilder oder Schriften auf einer Oberfläche erscheinen zu lassen. Sie ätzen sie hinein. Sorbische Ostereier sind weit über die Lausitz hinaus bekannt und begehrt. Die Stückpreise können von drei Euro bis zu dreißig Euro reichen.
Während sich in der Kunst des Eiermalens vor allem Frauen üben, putzen putzen hier: reinigen, säubern im Städtedreieck Bautzen-Kamenz-Hoyerswerda die Männer in der Karwoche Karwoche (f., nur Singular) die letzte Woche vor Ostern die Messing Messing (n., nur Singular) ein gelblich schimmerndes geschmolzenes Gemisch unterschiedlicher Metalle (z. B. Zink, Blei, Zinn, Nickel) - und Silberteile ihrer Pferdesättel Sattel, Sättel (m.) ein Sitz, der auf dem Rücken eines Reittiers befestigt wird . Das Zaumzeug Zaumzeug (n., nur Singular) ein Gestell mit längeren, schmalen Bändern (meist aus Leder), das um den Kopf eines Reittiers gelegt wird wird gesäubert, die Pferde werden gestriegelt striegeln hier: mit einer Bürste das Fell eines Tieres (meist Pferd) intensiv reinigen , die Mähnen Mähne, -n (f.) lange, dichte Haare am Kopf oder Hals eines Tieres (z. B. Pferd, Löwe) mit Locken versehen. Am Ostermorgen ist es dann soweit: Mehr als 1600 Osterreiter ziehen sich schwarze Gehröcke Gehrock, -röcke (m.) eine sehr lange (oft bis zum Knie reichende) Jacke mit zwei Knopfreihen, die v. a. früher zu festlichen Anlässen getragen wurde an, setzen ihre Zylinder Zylinder, - (m.) hier: ein steifer, meist schwarzer hoher Hut, der einem Rohr ähnelt auf, besteigen die geschmückten Pferde und reiten in mehreren Prozessionen Prozession, -en (f.) ein feierlicher Umzug anlässlich eines kirchlichen Festes in die Nachbargemeinde. Dabei darf traditionell kein Prozessionszug, der aus bis zu 450 Reitern und Pferden bestehen kann, einen anderen kreuzen. Joachim ist seit vielen Jahren dabei und erklärt den Hintergrund und die Voraussetzungen:
„Und zwar müssen die Osterreiter mindestens 14 Jahre alt und der sorbischen Sprache mächtig sein. Da es sich hier um einen katholischen Brauch handelt, wird verlangt, dass alle katholisch sind. Das kann man sehen als eine Andacht. Es wird an diesem Sonntag die Osterbotschaft, dass Christus auferstanden ist, von der einen Kirchgemeinde in die anderen gebracht.“
Die Osterreiter führen Kirchenfahnen, das Kreuz und die Statue des Auferstandenen mit sich, sprechen traditionelle Gebete und singen sorbische Lieder. Es ähnelt einem kurzen Gottesdienst mit Gebeten, einer Andacht. Der Gesang stand im Mittelpunkt eines weiteren Osterbrauchs, des Ostersingens. Brauchtumsexperte und Buchautor Marko Greulich erzählt, wie das ablief:
„Die ledigen Mädchen des Dorfes, die eine relativ festgefügte Gemeinschaft bildeten, trafen sich in der Zeit vor Ostern – und dann ganz besonders in der Osternacht – unter Leitung ihrer ‚Kantorkas', also der Vorsängerinnen. Man begann um Mitternacht und sang bis zum Sonnenaufgang.“
In der Nacht von Ostersamstag auf Ostersonntag zogen die nicht verheirateten Frauen in ihrer traditionellen schwarzen Tracht, die sie trugen, wenn sie in die Kirche gingen, bis zum Sonnenaufgang singend durchs Dorf und verkündeten die Auferstehung Christi. So wie die schwarze Tracht weitgehend verschwunden ist, verhält es sich auch mit dem traditionellen Ostersingen. Die moderne Form besteht aus einem Gesang an Karfreitag und Ostersonntag in den Kirchen.
Ein inzwischen wiederbelebter Osterbrauch ist das Eierschieben. Im Jahr 1550 wurde es erstmals urkundlich erwähnt, in den beiden Weltkriegen fiel es aus, während der DDR-Zeit wurde es als „bürgerliches Gehabe Gehabe (n., nur Singular) abwertend für: ein Verhalten, mit dem jemand zeigen will, wie wichtig er ist oder das, was er tut “ untersagt. Vor allem in der Stadt Bautzen gehört es mittlerweile zu den österlichen Haupttouristenattraktionen. Das Spektakel Spektakel, - (n.) ein beeindruckendes, interessantes Ereignis, das schön anzusehen ist findet am Protschenberg statt. Es begann mal, so Brauchtumsexpertin Maria Löcken-Hierl, mit einer österlichen „Lebensmittelspende“:
„Ganz früher war es so, dass die Marktfrauen, nachdem sie ihre Marktstände in der Innenstadt abgebaut haben, sind sie zum Protschenberg gegangen zu Ostern. Und was übriggeblieben ist – an Apfelsinen, Bananen und Eiern –, ist den Kindern runtergeworfen worden. Danach kamen Holzspielzeug und Puppen und kleinere Spielzeuge. Um die Jahrhundertwende wurde es ’n bisschen pompöser: die Eltern haben meistens den Kindern was den Hang runtergeworfen. Wir haben es wieder aufleben lassen mit kleinen Plastikbällen. Erwachsene kaufen die Bälle und werfen sie den Kindern den Hang runter. Die Kinder suchen die Bälle und gehen dann eine kleine Treppe hoch. [Dort] sind Umtauschbuden aufgebaut worden, die voller Geschenke sind.“
Eier, Früchte – und etwas glanzvoller und großartiger, pompöser – Spielsachen wurden von Erwachsenen den Hang hinuntergerollt. Heutzutage sind es stellvertretend dafür Plastikbälle, die an Ständen, Buden, gegen ein Geschenk eingetauscht werden können. Jede Menge Lärm wird auch in einigen Orten der Lausitz beim sogenannten Osterschießen veranstaltet. Um böse Geister zu vertreiben, werden in der Nacht zum Ostersonntag selbstgebastelte „Karbidkanonen“ gezündet. In Milchkannen werden jeweils ein Stück Calciumcarbid Calciumcarbid (n., nur Singular) ein fester chemischer Stoff, der in Verbindung mit Feuchtigkeit zu einem entzündlichen Gas wird sowie eine geringe Menge Wasser getan. Die chemische Reaktion erzeugt einen lauten Knall.
Kaum mehr praktiziert wird hingegen das Holen von Osterwasser. Dabei schöpfen junge Frauen am Morgen des Ostersonntags „Zauberwasser“ aus Quellen oder aus einem fließenden Gewässer. Gerade dieses Wasser soll sehr gesund sein und die Fruchtbarkeit erhöhen. Damit die magische Wirkung allerdings nicht verlorengeht, ist es sehr wichtig, dass das Ganze schweigend abläuft – eine Ausnahme bei den Sorben. Denn ansonsten singen sie eigentlich sehr gern, ganz besonders an Ostern.
Osterbräuche in der Lausitz
Slawe, -n/Slawin, -nen — Angehöriger/Angehörige einer Volksgruppe, die in Ost-, Südost- und Mitteleuropa beheimatet ist
Diaspora (f., nur Singular) — ein Gebiet in einem Land, in dem Menschen z. B. einer bestimmten Religion, Volksgruppe oder Kultur aus einem anderen Land leben
Kiebitz, -e (m.) — ein Vogel, der bis zu 30 Zentimeter groß sein kann und auf dem Kopf einen hoch aufragenden, schwarzen Federbüschel hat
Strauß, -e (m.) — ein großer Vogel mit langen Beinen und langem Hals, der sehr schnell läuft
aus|blasen — hier: bei einem Ei mit einer sehr dünnen Nadel an beiden Enden vorsichtig ein Loch bohren und an einer Seite hineinblasen, um das Ei zu entleeren; auch: aus|pusten
(etwas auf etwas) tupfen — (meist eine Flüssigkeit) vorsichtig auf eine Stelle auftragen
Lösung, -en (f.) — hier: ein flüssiges Gemisch aus mindestens zwei gleich beschaffenen chemischen Stoffen
putzen — hier: reinigen, säubern
Karwoche (f., nur Singular) — die letzte Woche vor Ostern
Messing (n., nur Singular) — ein gelblich schimmerndes geschmolzenes Gemisch unterschiedlicher Metalle (z. B. Zink, Blei, Zinn, Nickel)
Sattel, Sättel (m.) — ein Sitz, der auf dem Rücken eines Reittiers befestigt wird
Zaumzeug (n., nur Singular) — ein Gestell mit längeren, schmalen Bändern (meist aus Leder), das um den Kopf eines Reittiers gelegt wird
striegeln — hier: mit einer Bürste das Fell eines Tieres (meist Pferd) intensiv reinigen
Mähne, -n (f.) — lange, dichte Haare am Kopf oder Hals eines Tieres (z. B. Pferd, Löwe)
Gehrock, -röcke (m.) — eine sehr lange (oft bis zum Knie reichende) Jacke mit zwei Knopfreihen, die v. a. früher zu festlichen Anlässen getragen wurde
Zylinder, - (m.) — hier: ein steifer, meist schwarzer hoher Hut, der einem Rohr ähnelt
Prozession, -en (f.) — ein feierlicher Umzug anlässlich eines kirchlichen Festes
Gehabe (n., nur Singular) — abwertend für: ein Verhalten, mit dem jemand zeigen will, wie wichtig er ist oder das, was er tut
Spektakel, - (n.) — ein beeindruckendes, interessantes Ereignis, das schön anzusehen ist
Calciumcarbid (n., nur Singular) — ein fester chemischer Stoff, der in Verbindung mit Feuchtigkeit zu einem entzündlichen Gas wird