Die letzte Fahrt: zum Friedhof mit dem Lastenrad
In der Schweiz ist es ein Novum: das Bestattervelo. Ein Berner Unternehmen will damit das Thema Tod und Sterben enttabuisieren. Doch nicht alle Hauptstädter finden das gut – trotz des umweltfreundlichen Transportmittels.
Die letzte Fahrt: zum Friedhof mit dem Lastenrad Lasten(fahr)rad, -(fahr)räder (n.) ein Fahrrad, das besonders ausgestattet ist und den Transport größerer Mengen von Lasten oder Personen ermöglicht
In der Schweiz ist es ein Novum Novum, -a (n., meist nur Singular) etwas Neues, noch nie Dagewesenes : das Bestattervelo. Ein Berner Unternehmen will damit das Thema Tod und Sterben enttabuisieren. Doch nicht alle Hauptstädter finden das gut – trotz des umweltfreundlichen Transportmittels.
Diejenigen, die umgangssprachlich ihre ‚letzte Fahrt antreten‘, erleben das selbst nicht mehr. Denn diese Fahrt findet meist in einem Leichenwagen statt. Das schwarze Fahrzeug bringt den Sarg mit der oder dem Verstorbenen zur letzten Ruhestätte, dem Ort der Beisetzung Beisetzung, -en (f.) die Feier, bei der eine Tote/ein Toter unter die Erde gebracht wird; auch: Beerdigung . In der Regel übernimmt das ein Bestattungsunternehmen, das von den Angehörigen mit der Abwicklung Abwicklung, -en (f.) die Erledigung, die Ausführung der Beisetzung beauftragt wurde. In der Schweizer Hauptstadt Bern und Umgebung lässt sich diese ‚letzte Fahrt‘ nun auch umweltschonend absolvieren. Ein Berner Bestatter hat ein speziell für den Leichentransport umgebautes Lastenrad angeschafft.
Das ungewöhnliche Gefährt Gefährt, -e (n.) das Fahrzeug hat drei Räder, einen übergroßen weißen Kastenvorbau Kastenvorbau, -vorbauten (m.) hier: ein hinter dem Fahrradlenker auf einem Fahrgestell angebrachtes kistenähnliches Teil und natürlich eine Klingel. Und es sorgt für Aufmerksamkeit. Denn wenn der Bestatter Gyan Härri mit diesem ganz besonderen Velo – so werden Fahrräder in der Schweiz genannt – auf den Straßen von Bern unterwegs ist, dann fällt das auf. Es erinnert an Lastenräder, die zum Waren- oder Kindertransport verwendet werden. Nur ist es mit gut 3,50 Meter deutlich länger – eben ausreichend lang, um einen Sarg damit transportieren zu können. Doch von einem normalen Lastenrad unterscheidet es sich auch noch durch etwas anderes, erläutert Gyan Härri:
„An den Ecken haben wir kleine Laternen mit Kerzen drin, die wir – wenn wir jemand abholen – anzünden können, auch wenn wir auf dem Friedhof sind oder so weiter.“
Das Bestattervelo ist eine Sonderanfertigung. Es bringt etwas auf die Waage bringen wiegen 400 Kilo auf die Waage etwas auf die Waage bringen wiegen – im vollbeladenen Zustand. Deshalb gibt es einen Elektromotor zur Unterstützung des in die Pedale tretenden Bestatters. Von hinten sieht es wie ein E-Bike E-Bike, -Bikes (n., aus dem Englischen) das Elektrofahrrad aus. Vor dem Lenker sitzt der auf zwei Autorädern montierte montiert so, dass etwas irgendwo angebracht/befestigt ist , mit Planen Plane, -n (f.) eine Abdeckung (aus Stoff oder Kunststoff) mit kleinen Metallringen am verstärkten Rand geschützte Aufbau und den beiden kleinen, mit Kerzen bestückten Laternen. Gyan Härri will das Rad nach dem Tod eines Menschen genauso einsetzen wie die Leichenwagen, die es in seinem Bestattungsunternehmen Aurora auch weiterhin gibt:
„Wenn der im Spital Spital, Spitäler (n., österreichisch/schweizerisch) ein Krankenhaus oder im Altersheim gestorben ist und zum Beispiel noch zu Hause aufgebahrt auf|bahren eine Tote/einen Toten im Sarg zur Schau stellen werden soll, dann holen wir ihn dort ab, wo er gestorben ist und bringen ihn dorthin, wo die Aufbahrung stattfinden soll. Es kann aber auch sein, dass der Sarg bei der Trauerfeier dabei sein soll, was in der Schweiz weniger üblich ist als in Deutschland, oder dass man mit dem Fahrrad auch direkt ans Grab fahren soll.“
Vor einer Beerdigung kann von der oder dem Toten noch Abschied genommen werden. Dafür wird der Sarg mit dem Leichnam an den gewünschten Ort gebracht und steht für einen begrenzten Zeitraum mit geöffnetem Deckel dort. Aus hygienischen und ästhetischen Gründen wird der Leichnam allerdings vorher einer speziellen Behandlung unterzogen: Er wird einbalsamiert ein|balsamieren einen toten Körper durch bestimmte Mittel vor dem Verfall schützen , um den Verwesung Verwesung (f., nur Singular) der Verfall, die Fäulnis eines toten Körpers (z. B. von Menschen und Tieren) sprozess zu verzögern, und durch eine kosmetische Behandlung so wiederhergestellt, als ob er noch leben würde. Ferner trägt er die Kleidung, die die Hinterbliebenen dem Bestatter, der Bestatterin zur Verfügung gestellt haben. Anders als in der Schweiz ist es in Deutschland üblich, dass der Sarg bei der Trauerfeier, die vor der Beisetzung stattfindet, mit im Raum steht.
Für das Berner Bestattungsunternehmen ist der ungewöhnliche Leichentransport mehr als ein Werbegag Werbegag, -s (m.) (in der Werbung) eine einzelne, witzig gemeinte Maßnahme, um die Aufmerksamkeit zu erregen . Es hofft auf einen offeneren Umgang mit dem Thema Tod. Das Rad ist so konstruiert, dass der Sarg entweder ganz diskret von den Planen verdeckt werden kann oder für alle sichtbar durch die Straßen rollt. Die Hinterbliebenen könnten sogar dabei sein, sagt Gyan Härri:
„Natürlich können die Leute mitfahren mit dem Fahrrad, auf dem Friedhof auch zu Fuß mitgehen, und das führt dann zu einem lebensbejahenden Ritual, welches den Angehörigen sicherlich lange [in Erinnerung] bleiben wird.“
Das Bestattungsfahrrad ist in der Schweiz ein Novum. In anderen Ländern – etwa in Dänemark – werden bereits seit einigen Jahren Lastenräder für die letzte Fahrt von Verstorbenen eingesetzt. 2020 sorgte in Oldenburg der Künstler Michael Olsen mit der gleichen Idee für Aufmerksamkeit. Er konstruierte ein Bestattungsfahrrad, das regionale Bestatter jederzeit anfordern können. Auf diesem stehen die Särge ganz offen, sichtbar für alle, auf der vor dem Lenker angebrachten Ladefläche. Damit wolle er, sagt Olsen, das Sterben und den Tod aus seiner düsteren düster hier: ziemlich dunkel und beängstigend Nische Nische, -n (f.) hier: eine versteckte Ecke ans Licht holen. Genauso sieht es auch Gyan Härri:
„Ganz, ganz selten werden wir wirklich mit jemanden mit etwas konfrontieren jemanden dazu bringen, dass er sich mit etwas beschäftigen muss unserem eigenen Tod konfrontiert jemanden mit etwas konfrontieren jemanden dazu bringen, dass er sich mit etwas beschäftigen muss . Und ich denke so Mord und Todschlag in Krimis oder auch in den Nachrichten, das berührt einen nicht auf dieselbe Art, wie wenn es so nahe kommt wie mit diesem Bestattervelo, wo man zum Nachdenken angeregt wird, wo vielleicht auch erst mal jemand etwas perplex perplex sehr überrascht, bestürzt, erstaunt ist.“
Es gab den Vorwurf, das Lastenrad als Sargtransporter sei pietätlos pietätlos ohne Achtung vor religiösen und/oder moralischen Gefühlen anderer Personen und makaber makaber so, dass man über den Tod Witze macht , erzählt der Bestatter, aber die überwiegende Zahl der Reaktionen sei positiv ausgefallen. Und schließlich passt das Velo auch zum Netzwerk „Bärn treit („Bern trägt“) – gemeinsam bis zuletzt“. Ihm gehören unter anderem Firmen, kulturelle Organisationen, Schulen und religiöse Institutionen an. Diese finden, dass Betreuung und Pflege am Lebensende in der Verantwortung aller und nicht nur in der des Staates und von Gesundheitsorganisationen liegen sollte. Schirmherr Schirmherr, -en/Schirmherrin, -nen eine wichtige Persönlichkeit, die z. B. eine Aktion, eine Institution oder eine Veranstaltung offiziell unterstützt und Stadtpräsident Alec von Graffenried bekräftigt, dass man in Bern einen „unverkrampfteren unverkrampft ungezwungen, natürlich und frei und offeneren Umgang mit dem Sterben und dem Tod“ praktizieren wolle.
Die letzte Fahrt: zum Friedhof mit dem Lastenrad
Lasten(fahr)rad, -(fahr)räder (n.) — ein Fahrrad, das besonders ausgestattet ist und den Transport größerer Mengen von Lasten oder Personen ermöglicht
Beisetzung, -en (f.) — die Feier, bei der eine Tote/ein Toter unter die Erde gebracht wird; auch: Beerdigung
Abwicklung, -en (f.) — die Erledigung, die Ausführung
Gefährt, -e (n.) — das Fahrzeug
Kastenvorbau, -vorbauten (m.) — hier: ein hinter dem Fahrradlenker auf einem Fahrgestell angebrachtes kistenähnliches Teil
etwas auf die Waage bringen — wiegen
E-Bike, -Bikes (n., aus dem Englischen) — das Elektrofahrrad
montiert — so, dass etwas irgendwo angebracht/befestigt ist
Plane, -n (f.) — eine Abdeckung (aus Stoff oder Kunststoff) mit kleinen Metallringen am verstärkten Rand
Spital, Spitäler (n., österreichisch/schweizerisch) — ein Krankenhaus
auf|bahren — eine Tote/einen Toten im Sarg zur Schau stellen
ein|balsamieren — einen toten Körper durch bestimmte Mittel vor dem Verfall schützen
Verwesung (f., nur Singular) — der Verfall, die Fäulnis eines toten Körpers (z. B. von Menschen und Tieren)
Werbegag, -s (m.) — (in der Werbung) eine einzelne, witzig gemeinte Maßnahme, um die Aufmerksamkeit zu erregen
Novum, -a (n., meist nur Singular) — etwas Neues, noch nie Dagewesenes
düster — hier: ziemlich dunkel und beängstigend
Nische, -n (f.) — hier: eine versteckte Ecke
jemanden mit etwas konfrontieren — jemanden dazu bringen, dass er sich mit etwas beschäftigen muss
perplex — sehr überrascht, bestürzt, erstaunt
pietätlos — ohne Achtung vor religiösen und/oder moralischen Gefühlen anderer Personen
makaber — so, dass man über den Tod Witze macht
Schirmherr, -en/Schirmherrin, -nen — eine wichtige Persönlichkeit, die z. B. eine Aktion, eine Institution oder eine Veranstaltung offiziell unterstützt
unverkrampft — ungezwungen, natürlich und frei