Mit Kinder- und Jugendbüchern Brücken bauen
Zur Völkerverständigung und Integration beitragen, das Kulturerbe erforschen und bewahren: Dafür steht die Internationale Jugendbibliothek in München. Ins Leben gerufen wurde sie von einer Frau mit einer Vision.
Mit Kinder- und Jugendbüchern Brücken bauen
Zur Völkerverständigung und Integration beitragen, das Kulturerbe erforschen und bewahren: Dafür steht die Internationale Jugendbibliothek in München. Ins Leben gerufen wurde sie von einer Frau mit einer Vision.
Es fing mal ganz klein an: mit 8000 Kinder- und Jugendbüchern aus 14 Ländern in einer Villa in München-Schwabing. Das war im Jahr 1949. Seitdem ist der Bestand Bestand, Bestände (m.) hier: die Anzahl/Menge, die von etwas vorhanden ist der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) um mehr als das 80-Fache gewachsen, die Bibliothek untergebracht im idyllisch gelegenen Schloss Blutenburg an der Peripherie Peripherie, -n (f.) hier: ein Randgebiet (einer Großstadt) der bayerischen Landeshauptstadt. Und das alles, weil eine außergewöhnliche Frau eine Vision Vision, -en (f.) hier: eine zukunftsweisende Idee hatte. Sie wollte die durch den Zweiten Weltkrieg – Zitat – „gänzlich verwirrte Welt langsam wieder ins Lot bringen“. Ihr Name: Jella Lepman. Die jüdische Journalistin war 1936 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach England geflohen. Nach Kriegsende kehrte sie in ihr Geburtsland als Beraterin der US-Armee für Frauen- und Jugendfragen zurück. Ihr Auftrag: Sie sollte ‚Reeducation‘, also demokratische Bildungsarbeit, leisten und damit zur Entnazifizierung Entnazifizierung (f., nur Singular ein Projekt der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, alles nationalsozialistische Gedankengut zu beseitigen und ehemalige Täterinnen/Täter aus öffentlichen Positionen zu entfernen und zu bestrafen Deutschlands beitragen. Für Jella Lepman stand bald fest, dass sie dabei den Fokus auf den Fokus auf etwas legen etwas besonders betonen; den Schwerpunkt auf etwas legen Kinder und Jugendliche legen den Fokus auf etwas legen etwas besonders betonen; den Schwerpunkt auf etwas legen wollte. Denn mit ihnen verband sie eine Hoffnung, sagt die heutige Bibliotheksdirektorin Christiane Raabe:
„Die Hoffnung, dass die Kinder und Jugendlichen, die ja diese moralische Schuld nicht auf sich geladen hatten in Deutschland, dass es diejenigen sind, die auch vielleicht noch geformt werden könnten im Sinne von Weltoffenheit, von Versöhnung und insgesamt von eher internationalem als nationalem Denken. Das ist die Hauptidee, aus der heraus auch diese Bibliothek entstanden ist.“
Kinder und Jugendliche hatten für Lepman keine moralische Schuld auf sich geladen, waren keine Täter, die für die Gräuel Gräuel, - (m., meist Plural) hier: schreckliche, unmenschliche Taten der Nationalsozialisten verantwortlich waren. Und Bildung war das Tor, um sie im Sinne einer demokratischen, von Toleranz und Weltoffenheit geprägten, friedlichen Gesellschaft zu formen. Lepman wollte dies mit Hilfe internationaler Kinderbücher erreichen. Doch zunächst gab es ein Problem. Unter Hitler war die internationale Kinder- und Jugendliteratur verbannt worden. Die Kriegsverwüstungen hatten ihr Übriges getan ein/sein Übriges tun noch hinzukommen, etwas zusätzlich bewirken : Die meisten Bildungsinstitutionen waren zerstört. Jella Lepman ließ nicht locker nicht locker|lassen umgangssprachlich für: etwas solange versuchen, bis ein Ziel erreicht ist, nicht nachgeben , schrieb Briefe an ausländische Verleger, so Christiane Raabe:
„Da hat sie also Verlage gebeten, zum Beispiel in Frankreich, in den USA, in Japan und so weiter: ,Schickt uns doch eure Bücher hier nach Deutschland, dass die Kinder lesend etwas über euer Land erfahren sollen.‘ Und diese Bücher sollten Friedensboten sein.“
14 Länder machten mit. Die zur Verfügung gestellten Werke wurden zunächst 1946 ausgestellt und bildeten später den Grundstock der Jugendbibliothek. Diese wurde 1949 in Schwabing eröffnet – in Anwesenheit von Politprominenz Politprominenz (f., nur Singular) bekannte Personen aus der Politik , Intellektuellen, Vertretern von Universitäten sowie namhaften Autoren wie Erich Kästner. Dessen berühmtes Kinderbuch „Die Konferenz der Tiere“ war von Jella Lepmans Vision inspiriert und erschien ebenfalls 1949. Es handelt davon, wie Kinder gemeinsam mit ihren Freunden, den Tieren, die Welt regieren, weil die Erwachsenen dazu nicht in der Lage sind. Die eigentliche Zielgruppe Zielgruppe, -n (f.) eine bestimmte Gruppe von Menschen, die man mit etwas erreichen will , die Kinder, kam nach der Bibliothekseröffnung in Scharen in (hellen) Scharen umgangssprachlich für: in großer Anzahl, zahlreich , erzählt Christiane Raabe:
„Es gibt Bilder, da sieht man auch, wie sie barfuß teilweise reinkommen und da auf dem Fußboden hocken und Bücher lesen. Die Kinder – und auch Jugendliche –, die hatten einen richtig großen Hunger auf Bücher, und zwar nicht Bücher, die sie schon kannten, sondern auch Bücher aus dem Ausland.“
Die Bibliothek war, so Raabe, eine Ruheinsel inmitten einer Trümmerlandschaft ohne richtigen Platz für Kinder. Hier durften sie nicht nur lesen, sie durften ihre Bibliothek auch „mitgestalten“. Es wurde dort gemalt und Theater gespielt – auch unter der Anleitung Erich Kästners. Die Sowjetunion hatte zunächst keine Literatur beigesteuert – wegen der Unterstützung Lepmans durch die Amerikaner. Die Haltung änderte sich erst Ende der 1950er-Jahre mit dem neuen Direktor Walter Scherf, selbst Autor und Märchenforscher, der erstmals Literatur osteuropäischer Länder in die Bibliothek integrieren konnte.
Über die Jahrzehnte kamen immer mehr Kinder- und Jugendbücher aus aller Welt zusammen. Institutionen wie die UNESCO UNESCO (f., nur Singular) englische Abkürzung für die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur oder Privatleute verschenkten ihre Bestände. Ein wichtiger Bestandteil sind auch Nachlässe Nachlass, Nachlasse (m.) hier: das, was eine Verstorbene/ein Verstorbener hinterlassen hat oder Teilnachlässe berühmter Kinder- und Jugendbuchautorinnen und -autoren wie beispielsweise James Krüss, Michael Ende oder Mirjam Pressler. Etwa 650.000 Bücher in Originalsprache aus 28 Ländern befanden sich 2020 im Archiv. Und der Bestand wächst ständig weiter, auch weil Verlage regelmäßig ihre Neuerscheinungen von Kinder- und Jugendbüchern zur Verfügung stellen. Einem Missverständnis beugt Christiane Raabe allerdings vor:
„Wir sind keine Stadtbibliothek, sondern wir sind zunächst mal wirklich eine Spezialbibliothek. Diese Bücher werden bei uns als Teil des Kulturerbes gesammelt. Das heißt, wir versprechen eigentlich, wenn wir die Bücher nach wie vor geschenkt bekommen von Verlagen weltweit, dass wir sie erschließen, dass wir sie vermitteln, dass man mit diesen Beständen forschen kann. Als Gebrauchsliteratur für Kinder sind sie nicht gedacht.“
Anders als in den Anfängen, können buchbegeisterte Kinder und Jugendliche nicht einfach wie bei einer öffentlichen Bibliothek, einer Stadtbibliothek, in in etwas hinein|spazieren hier: problemlos in etwas (z. B. ein Gebäude) hineingehen die IJB hineinspazieren in etwas hinein|spazieren hier: problemlos in etwas (z. B. ein Gebäude) hineingehen und sich ein Buch – auch in ihrer Muttersprache – ausleihen. Stattdessen dienen die Bücher der Forschung. Sie sind Archivbestand. Sie werden bibliothekarisch erschlossen, also mit bestimmten Metadaten Metadatum, -daten (n., meist Plural) strukturierte Daten mit verschiedensten wichtigen Informationen zu Merkmalen von etwas (z. B. Bücher, Bilder, Videos, Webseiten) wie etwa dem Namen von Autorin/Autor, Inhalt sowie Schlagworten Schlagwort, -e (n.) hier: ein Stichwort, ein einzelner Begriff, unter dem eine Information zu finden ist versehen, sodass sie in einem Onlinekatalog oder einer Datenbank gefunden werden können. Die Bücher in etwa 250 Sprachen aus sechs Jahrhunderten – darunter auch sehr viele Sprachen, die vom Aussterben bedroht sind – sind somit ein Teil des Weltkulturerbes. Allerdings: So ganz außen vor bleiben außen vor bleiben hier: nicht berücksichtigt werden die Kinder und Jugendlichen dann doch nicht, sagt Raabe:
„Wir haben allerdings eine Kinderbibliothek, eine internationale. Und die ist mit aktuellen Büchern bestückt. Da richten wir uns nach den Bedürfnissen, nach den Interessen der Nutzer. Das heißt, wenn wir jetzt plötzlich bulgarische Familien haben, die gerne hier Bücher ausleihen wollen, und wir haben bulgarische Literatur bis jetzt nicht im Bestand, dann versuchen wir, den aufzubauen auch in dieser öffentlichen Bibliothek.“
Diese Bücher können ausgeliehen werden, werden aber irgendwann, wenn sie zerlesen zerlesen so, dass etwas (ein Buch, eine Zeitschrift) durch häufigen Gebrauch abgenutzt ist sind, aussortiert und nicht archiviert. Darüber hinaus gibt es Literaturveranstaltungen, Lesungen Lesung, -en (f.) eine Veranstaltung, bei der eine Autorin/ein Autor aus ihrem/seinem Buch vorliest , Festivals, Ausstellungen. Auch kooperiert die IJB mit Kindergärten, Schulen, Universitäten, Flüchtlingsunterkünften. So gibt es etwa Erzählnachmittage und Malstudio-Veranstaltungen. Frieden schaffen mit Büchern und Völkerverständigung war die Aufgabe bei der Gründung. Für Christiane Raabe hat sich der Fokus mittlerweile etwas verschoben:
„Dass wir heute sehr viel stärker auch mit unserer Arbeit, mit Kinderliteratur, zur Integration, zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen können, indem wir auf ganz bestimmte Kinderliteratur aufmerksam machen, die keinen Stellenwert hat, die man einfach nicht kennt. Gucken wir zum Beispiel mal die arabischsprachige an, die es ja gibt. Und wir haben festgestellt, dass es überhaupt keine Übersetzungen gibt aus diesen Ländern.“
In einer multikulturellen Gesellschaft können Bücher auch dafür sorgen, dass man mal über den Tellerrand schaut über den Tellerrand schauen offen sein für Neues, weltoffen sein und sich mit Literatur anderer Länder befasst. Damit das einfacher möglich ist, regen die IJB-Verantwortlichen Übersetzungen an. Darüber hinaus findet seit 2014* jährlich im Sommer das White Ravens Festival für internationale Kinder- und Jugendliteratur statt, bei dem unter anderem Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland aus ihren Büchern vorlesen sowie Workshops und Schreibwerkstätten Schreibwerkstatt, -werkstätten (f.) eine Veranstaltung, bei der Teilnehmende an das Schreiben herangeführt werden leiten. Somit wird laut der Webseite der Bibliothek ein „Brückenschlag Brückenschlag (m., nur Singular) hier übertragen für: eine Annäherung an bzw. Verbindung zu einer anderen Kultur zwischen den Kulturen“ geschaffen. Und das entspricht dann doch der Vision ihrer Gründerin, Jella Lepman.
Mit Kinder- und Jugendbüchern Brücken bauen
Bestand, Bestände (m.) — hier: die Anzahl/Menge, die von etwas vorhanden ist
Peripherie, -n (f.) — hier: ein Randgebiet (einer Großstadt)
Vision, -en (f.) — hier: eine zukunftsweisende Idee
Entnazifizierung (f., nur Singular — ein Projekt der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, alles nationalsozialistische Gedankengut zu beseitigen und ehemalige Täterinnen/Täter aus öffentlichen Positionen zu entfernen und zu bestrafen
den Fokus auf etwas legen — etwas besonders betonen; den Schwerpunkt auf etwas legen
Gräuel, - (m., meist Plural) — hier: schreckliche, unmenschliche Taten
ein/sein Übriges tun — noch hinzukommen, etwas zusätzlich bewirken
nicht locker|lassen — umgangssprachlich für: etwas solange versuchen, bis ein Ziel erreicht ist, nicht nachgeben
Politprominenz (f., nur Singular) — bekannte Personen aus der Politik
Zielgruppe, -n (f.) — eine bestimmte Gruppe von Menschen, die man mit etwas erreichen will
in (hellen) Scharen — umgangssprachlich für: in großer Anzahl, zahlreich
UNESCO (f., nur Singular) — englische Abkürzung für die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur
Nachlass, Nachlasse (m.) — hier: das, was eine Verstorbene/ein Verstorbener hinterlassen hat
in etwas hinein|spazieren — hier: problemlos in etwas (z. B. ein Gebäude) hineingehen
Metadatum, -daten (n., meist Plural) — strukturierte Daten mit verschiedensten wichtigen Informationen zu Merkmalen von etwas (z. B. Bücher, Bilder, Videos, Webseiten)
Schlagwort, -e (n.) — hier: ein Stichwort, ein einzelner Begriff, unter dem eine Information zu finden ist
außen vor bleiben — hier: nicht berücksichtigt werden
zerlesen — so, dass etwas (ein Buch, eine Zeitschrift) durch häufigen Gebrauch abgenutzt ist
Lesung, -en (f.) — eine Veranstaltung, bei der eine Autorin/ein Autor aus ihrem/seinem Buch vorliest
über den Tellerrand schauen — offen sein für Neues, weltoffen sein
Schreibwerkstatt, -werkstätten (f.) — eine Veranstaltung, bei der Teilnehmende an das Schreiben herangeführt werden
Brückenschlag (m., nur Singular) — hier übertragen für: eine Annäherung an bzw. Verbindung zu einer anderen Kultur