Nepal: "Manche Migrantinnen und Migranten geraten in moderne Sklaverei – ihre Geschichten müssen erzählt werden" | Asien | DW | 23.03.2023
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Asien

Nepal: "Manche Migrantinnen und Migranten geraten in moderne Sklaverei – ihre Geschichten müssen erzählt werden"

Flucht und Migration führen zu Spannungen in Südasien. Ein neues Netzwerk setzt sich für eine bessere Berichterstattung und mehr Dialog ein. Dafür trafen sich Fachleute aus sechs Ländern erstmals in Nepal.

Som Prasad Lamichhane, Executive Director der nepalesischen Organisation PNCC, war selbst als Arbeitsmigrant im Ausland, unter anderem in Saudi Arabien. Was er dort sah, hat sein Berufsleben verändert. Viele Arbeiter schuften dort laut seinen Beobachtungen 365 Tage im Jahr bei sengender Hitze auf Baustellen. „Sie werden ausgebeutet, Löhne werden nicht ausgezahlt, Pässe werden einbehalten, oft gibt es Unfälle. Manche kehren erst im Sarg zurück in ihre Heimat. Und selbst das ist nicht garantiert“, sagt der Nepalese. 

Nepal | Konferenz “Displacement and Vulnerabilities - A Conference on Forced Migration and Media in South Asia” in Lalitpur

Som Prasad Lamichhane war selbst lange als Arbeitsmigrant in arabischen Ländern eingesetzt und leitet heute das Pravasi Nepali Coordination Committee, das sich um Ausgebeutete und ihre Rechte kümmert

Seine eigenen Erfahrungen haben ihn dazu inspiriert, das Thema in den Vordergrund zu rücken, als Leiter der Organisation Pravasi Nepali Coordination Committee (PNCC) in Kathmandu, die sich um die Rechte von nepalesischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten im Ausland und nach ihrer Rückkehr kümmert. Die NGO bietet Unterstützung in Krisensituationen, Rechtsbeistand sowie Wiedereingliederungshilfen und setzt sich dafür ein, dass das Thema Arbeitsmigration mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommt. 

Die Region Südasien ist sehr stark von Arbeitsmigration geprägt. Allein aus Nepal gehen jedes Jahr hunderttausende Menschen ins Ausland – meistens mit dem Ziel, der Armut zu entkommen. Sie migrieren häufig in die Golfstaaten, aber auch nach Malaysia oder nach Singapur. In Bangladesch ist die Situation ähnlich. Indien ist sowohl Entsende- als auch Aufnahmeland für hunderttausende Migrierende und beherbergt zudem sehr viele einheimische Wanderarbeitende, wie in der COVID-19-krise deutlich sichtbar wurde.  

Keine Aufmerksamkeit in den Medien 

Zu selten berichten die Medien in der Region jedoch über die Schicksale der Betroffenen, findet Som Prasad Lamichhane. Oft würden nur Verlautbarungen der Regierung veröffentlicht. Dabei sei gerade eine Berichterstattung, die die Menschenrechte in den Vordergrund rückt, unabdingbar.  

Um weiter ein Licht auf die Situation von Migrantinnen und Migranten in Südasien zu werfen, sprach Lamichhane  über die aktuellen Zustände im Rahmen der dreitägigen Regionalveranstaltung „Displacement and Vulnerabilities – A Conference on Forced Migration and Media in South Asia“ mit begleitendem Workshop.

Nepal | Konferenz “Displacement and Vulnerabilities - A Conference on Forced Migration and Media in South Asia” in Lalitpur

Konferenzteilnehmende aus sechs Ländern bei der Gruppenarbeit nach der World Café-Methode mit Fakhira Najeeb

Ausgerichtet von der Calcutta Research Group (CRG), Indien, in Zusammenarbeit mit der DW Akademie und dem Nepal Institute for Peace, fand das Event kürzlich in Lalitpur, Nepal statt. In dem Vorort der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu trafen sich 51 ausgewählte Journalistinnen und Journalisten, Medienexpertinnen und -experten sowie Fachleute aus der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft aus Indien, Bangladesch, Pakistan, Afghanistan, Sri Lanka und eben Nepal, um sich über die Herausforderungen bei der Berichterstattung auszutauschen – und vor allem, um sich noch enger zu vernetzen. Denn die Konferenz war die erste Gelegenheit, bei der sich Mitglieder des neu gegründeten South Asia Network for Communication, Displacement and Migration (SAN-CDM) sowie Interessierte persönlich kennenlernen konnten.  

Kommunikation und Austausch verbessern – über Grenzen hinweg 

Das regionale Bündnis SAN-CDM hat sich zum Ziel gesetzt, die Kommunikation und die Berichterstattung im Bereich Flucht und Migration in Südasien durch einen grenzüberschreitenden, interdisziplinären Austausch zu verbessern. „Bei allen Unterschieden einzelner Länder sind die Herausforderungen doch sehr ähnlich“, sagt Samata Biswas von der Calcutta Research Group, die das Netzwerk koordiniert. „Wir schauen auf die Ähnlichkeiten, nicht die Differenzen.“ Die Calcutta Research Group ist ein indischer Thinktank, ansässig in Kalkutta, der sich als Forum für Diskussionen über Demokratie, Menschenrechte und Frieden in der Region versteht.  

Nepal | Konferenz “Displacement and Vulnerabilities - A Conference on Forced Migration and Media in South Asia” in Lalitpur

Nasreen Chowdhory und Dr. Thomas Prinz, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Nepal, präsentieren die gemeinsame Erklärung zum neuen regionalen Netzwerk SAN-CDM South Asia Network of Communication, Displacement and Migration

Ähnliche regionale Herausforderungen stellen sich auch bei der Berichterstattung über Menschen, die ihre Heimat wegen des Klimawandels verlassen müssen, etwa aufgrund von Dürren, Überschwemmungen oder Versalzung der Böden. Dieses Phänomen, das sich bereits stark in Bangladesch, Indien, Pakistan und Nepal zeigt, wird sich nach Meinung von Expertinnen und Experten in Zukunft deutlich verschärfen. Die Weltbank rechnet bis zum Jahr 2050 sogar mit 50 Millionen so genannter „Klimaflüchtlinge“ in Südasien – und das jährlich. Für die Berichterstattung fehlen vor allem Daten, um das Ausmaß des Problems zu veranschaulichen, wie auf der Konferenz deutlich wurde. 

Perspektiven von Geflüchteten einbringen 

Verbesserungsbedarf besteht weiterhin bei der Berichterstattung über die beiden größten Fluchtbewegungen Südasiens – die der Volksgruppe der Rohingya von Myanmar nach Bangladesch und der Afghaninnen und Afghanen in angrenzende Nachbarländer. „Die Rechte afghanischer Geflüchteter werden in pakistanischen Medien nicht thematisiert“, sagt Fakhira Najib, die den Radiosender Power99 in Islamabad leitet. Ihre Organisation ermöglicht deshalb Afghaninnen und Afghanen, ihre eigene Perspektive als Bürgerjournalistinnen und -journalisten einzubringen. 

Nepal | Konferenz “Displacement and Vulnerabilities - A Conference on Forced Migration and Media in South Asia” in Lalitpur

Fakhira Najeeb diskutiert und notiert, wie Medien die Verwundbarkeit von Bevölkerungsgruppen besser abbilden können und welche Rolle Aspekte der Identität dabei spielen

 Ähnliche Projekte setzen das Tribal News Network (TNN) in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa um sowie die bangladeschische Organisation YPSA, die mit geflüchteten Rohingya und Einheimischen Radio- und Videobeiträge produziert. "Wir unterstützen diese Projekte, damit die Betroffenen für sich selbst sprechen können und nicht nur über sie gesprochen wird", erklärt Andrea Marshall, Program Director bei der DW Akademie. "Einheimische Medien neigen dazu, Geflüchtete entweder als Opfer oder aber als Täter – Kriminelle oder Nutznießer, ‚Schmarotzer‘ – darzustellen. Das ist oft auch in Europa so. Wenn die Geflüchteten selbst zu Wort kommen und ihre eigenen Themen setzen können, werden diese Stereotype überwunden."

Doch welche dieser Betroffenengruppen rücken Medien mehr Vordergrund der medialen Berichterstattung – gibt es "Hierarchien der Verwundbarkeit"? Welche Stimmen kommen in den Medien vor, welche nicht, welche Forschungsergebnisse werden beachtet, welche nicht, und warum ist das so? Warum wird so wenig darüber gesprochen, dass die Integration von Migrierenden und Geflüchteten die wirtschaftliche Situation eines Landes verbessern kann?  

Nepal | Konferenz “Displacement and Vulnerabilities - A Conference on Forced Migration and Media in South Asia” in Lalitpur

Podiumsdiskussion zum Thema Migration Issues in Independent Media

Die Antworten auf diese Fragen liegen nicht auf der Hand, vieles muss weiter diskutiert werden. In einem sind sich die Teilnehmenden in Lalitpur jedoch einig: Fachleute im Bereich Flucht und Migration in der Region müssen sich gegenseitig unterstützen und grenzüberschreitend zusammenarbeiten; für die Betroffenen muss es geeignete Plattformen geben, und sie müssen von den bestehenden Medien gehört werden.

"Manche Migrierende geraten in den Menschenhandel. Das ist eine moderne Form der Sklaverei", sagt Som Prasad Lamichhane. "Ihre Geschichten müssen erzählt werden." "Wir brauchen mehr migrantische Geschichten innerhalb anderer Geschichten", ergänzt Roksana Mohammed von der Organisation BRAC in Bangladesch. Annie Philip, unabhängige Journalistin aus Bangalore, Indien, ist sich sicher: Das neue regionale Netzwerk SAN-CDM kann dabei wichtige Unterstützung leisten.

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