Interview: Gekonnt durch die Medienwelt navigieren | Nahost/Nordafrika | DW | 23.10.2015
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Nahost/Nordafrika

Interview: Gekonnt durch die Medienwelt navigieren

Weltweit arbeitet die DW Akademie in zahlreichen Medienkompetenz-Projekten. Ländermanagerin Verena Wendisch erklärt, warum es wichtig ist, junge Menschen im Nahen Osten für kritische Mediennutzung zu sensibilisieren.

Schülerinnen in den palästinensischen Gebieten und Teilnehmerinnen des Medienkompetenzprojekt von DW Akademie und Pyalara (Foto: Pyalara)

Selbstbewusst durch Medien - Schülerinnen in den Palästinensischen Gebieten

Media and information literacy (MIL), zu Deutsch Medienkompetenz, bezeichnet die Fähigkeit, Medien zu analysieren, sie zu nutzen und zu gestalten. Wichtige Fähigkeiten wenn es darum geht, das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch zu nehmen und sich selbstbestimmt in der Medien- und Informationsgesellschaft zu bewegen. Über diese Zusammenhänge und die Bedeutung von Medienkompetenz in der Medienentwicklung veröffentlichte die DW Akademie jüngst ein neues Discussion Paper. Darin werden unter anderem Wege aufgezeigt, wie das Thema effektiver im Bildungssystem vermittelt werden kann.

Eines der Projekte, das für diese Publikation unter die Lupe genommen wurde, ist "Speak Up!" - ein Langzeitprojekt, das die Medienkompetenz von Jugendlichen in den Palästinensischen Gebieten stärkt. Verena Wendisch, Ländermanagerin der DW Akademie, hat das Projekt von Anfang an begleitet.

Frau Wendisch, warum ist ihrer Ansicht nach Medienkompetenz so wichtig?

Tilman Rascher, Leiter Nahost und Nordafrika der DW Akademie, im Gespräch mit Schülern in Al Ram (Foto: DW/Sayaf Zara).

Tilman Rascher, Leiter Nahost und Nordafrika der DW Akademie, im Gespräch mit Schülern in Al Ram

Derzeit erlebt die gesamte Welt eine große Transformation in puncto Medien. Der Zugang zu Medien und Informationen ist für viele Menschen einfacher geworden. Das bringt viele Möglichkeiten mit sich. Dank der Medien können jetzt neue Informationsquellen erschlossen werden und jeder kann heutzutage Medien mitgestalten. Gleichzeitig bedeutet das aber nicht, dass Menschen auch all jene Kompetenzen besitzen, die es braucht, um selbstbestimmt und kritisch mit Medien umzugehen. Das heißt: Die Möglichkeiten allein reichen nicht. Ob Menschen diese nutzen, hängt maßgeblich davon ab, ob sie den kompetenten Umgang damit erlernt haben. Dazu gehört es, eine kritische Distanz zu den Inhalten zu wahren, ohne den Spaß und die Freude an den Medien und deren Vielfalt zu verlieren.

Gibt es im Nahen Osten Ihrer Meinung nach einen Mangel an Medienkompetenz? Und wenn ja, was sind die Konsequenzen?
Medien und gerade neue Medien spielen im Nahen Osten eine große Rolle - aber das Bewusstsein für Medienkompetenz fehlt. Die Leute sagen beispielsweise: "Alle Jugendlichen nutzen Facebook" oder "Über Facebook werden Lügen verbreitet". Dass Kinder und Jugendliche den Umgang mit diesen Medien erlernen können, dafür fehlt noch Verständnis.

Gleichzeitig sind sich die Menschen sowohl über die Vorteile als auch Gefahren der Medien bewusst. Wir haben das während des Arabischen Frühlings gesehen, als die Medien eine entscheidende Rolle spielten - nicht nur für Journalisten im klassischen Sinne, sondern auch für Bürger, die ihre Meinung öffentlich äußern wollten. Passiert das jedoch unreflektiert und unkritisch, dann bringen sich Jugendliche und junge Erwachsene selbst in Gefahr oder werden zu Botschaftern und Empfängern falscher Nachrichten, die sie irgendwo aufgegriffen haben. Daher ist es in den Ländern, in denen wir arbeiten, so wichtig, dass Informationen eingeordnet und bewertet werden können, dass Inhalte ausgewertet und nicht einfach so weitergegeben werden, wie man sie erhalten hat.

Was macht die DW Akademie, um die Medienkompetenz bei jungen Leuten zu stärken?

Verena Wendisch, Ländermanagerin Palästinensische Gebiete der DW Akademie (Foto: DW/Sayaf Zara).

Verena Wendisch, Ländermanagerin Palästinensische Gebiete

In den Palästinensischen Gebieten arbeiten wir mit der Jugendorganisation Pyalara zusammen. Unser Fokus liegt auf Schülern im Alter zwischen 13 und 16 Jahren an insgesamt acht Staats- und UNRWA-Schulen. Fast alle jungen Menschen haben inzwischen Internetzugang, entweder über ihre Smartphones oder über die Computer zuhause, im Internetcafe oder in Jugendzentren. Die Jugendlichen in den Palästinensischen Gebieten benutzen Medien meist in unkritischer Art und Weise, ohne groß darüber nachzudenken.

Deshalb arbeiten wir mit Schülern ebenso wie mit ihren Lehrern und unterrichten Medienkompetenz in Medien-AGs, die unter anderem das Schulradio gestalteten. Sie lernen, was es bedeutet, wenn Schüler ihre Meinung zu speziellen Themen äußern können und was es für eine Schule in der palästinensischen Gesellschaft bedeutet, wenn Jugendliche Informationen sammeln, auswerten, sich über Medien ausdrücken und aktiv Medien gestalten.

Wie lässt sich Medienkompetenz unterrichten?
Ich denke, das Allerwichtigste ist es, sich eigenständig mit Medien zu beschäftigen und sie aktiv zu nutzen. Man lernt dann beim Selbermachen. Lehrer oder Erzieher können die aktive Mediennutzung mit Fragen und Hilfestellungen unterstützen: "Schau mal, warum befragst du für deinen Schulradio-Bericht nicht drei Leute nach ihrer Meinung statt nur eine einzige Person?" In einigen Schulen haben die Schüler eine Zeitung gemacht, die an den Schulwänden veröffentlicht wurde - sozusagen eine Wandzeitung. Auf sehr einfache Art nutzen sie als Medium die Ressourcen, die vor Ort zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel Paketpapier. Nichtsdestotrotz geht es auch dabei um die gleichen Themen wie bei aufwendigeren Medienproduktionen. Wie schreibe ich eine Geschichte? Und wie schreibe ich sie so, dass meine Leser oder Nutzer sich davon angesprochen fühlen? Außerdem sprechen wir natürlich auch über Recherche und darüber, wie man Informationen einholt. Zudem müssen die Schüler wissen, wann man das Recht hat, bestimmte Fragen zu stellen. All das sind Punkte, die gemeinsam besprochen werden können, ganz egal wie das Medienprodukt letzten Endes aussieht.

Und was konnten Sie durch ihre Arbeit bislang erreichen?
Bei meinem vergangenen Besuch in den Palästinensischen Gebieten fuhr ich mit DW Akademie-Kollegen an einem Morgen zu einer Mädchenschule, in der wir eine Medien-AG unterstützen. Die allmorgendliche Versammlung auf dem Schulhof nutzen die Schülerinnen als eine Art Live-Radio. Als Teil des Programms interviewten einige Schülerinnen einen Kollegen und mich. Sie stellten richtig gute Fragen, interessierten sich dafür, warum wir unsere Arbeit machen, welchen Eindruck wir von ihrem Land hätten und warum wir denken würden, dass Medienkompetenz so wichtig sei. Wir konnten spüren, wie die Mädchen ein beachtliches Selbstbewusstsein gewonnen hatten. Sie stellten kluge, kritische Fragen vor zahlreichen Zuhörern, was ich vorher so nicht wahrgenommen hatte. Das sogenannte Morning Radio gab es schon immer. Früher wurde es aber hauptsächlich für Durchsagen verwendet. Jetzt ist es wirklich eine Plattform für Dialog geworden, wo das umgesetzt wird, was die Schüler zuvor in der Medien-AG gelernt hatten.

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  • Datum 23.10.2015
  • Autorin/Autor Kyle James / rf
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  • Datum 23.10.2015
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