Vor den Parlamentswahlen in Georgien untersucht die Nichtregierungsorganisation Caucasus Open Space die Machtstrukturen im Land – auch vor dem Hintergrund des umstrittenen Gesetzes gegen "ausländische Einflussnahme".
In diesen Tagen sind Teona Macharashvili und Irma Pavliashvili viel in den Straßen von Tiflis unterwegs. Sie trotzen Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfern und mischen sich unter die Hunderten von Demonstranten, die gegen das neue Gesetz gegen "ausländischen Einfluss" protestieren.
Das Gesetz verschärft die Rechenschaftspflicht von Nichtregierungsorganisationen und Medien, wenn sie 20 Prozent oder mehr ihrer Mittel aus dem Ausland beziehen. Sie gelten damit als "Vertreter ausländischer Interessen" und müssen den Behörden regelmäßig detaillierte Auskünfte über ihre Aktivitäten und ihre Finanzierung geben.
Die Massenproteste sind für die beiden Frauen eine Art Freiluftlabor, denn sie untersuchen, wie das neue Gesetz und andere Machtdynamiken die georgischen Parlamentswahlen im Oktober beeinflussen könnten: Welche Hürden gibt es für freie und faire Wahlen in dem Land mit seinen 3,6 Millionen Einwohnern? Welche Rolle spielen Desinformation und hybride Kriegsführung? Und was bedeutet das alles für den erklärten Wunsch Georgiens, der Europäischen Union beizutreten?
"Am meisten Sorgen bereitet uns, dass wir keine zuverlässige, detaillierte Datenbasis zu politischen und sozialen Fragen in Georgien haben", sagt Macharashvili. "Desinformation ist in Georgien weit verbreitet".
Teona Macharashvili nahm im vergangenen Monat an Protesten gegen das umstrittene Gesetz zu "ausländischer Einflussnahme" teil, das Beschränkungen für NRO und Medien vorsieht, die Gelder aus dem Ausland erhalten.
Beide Frauen weisen darauf hin, dass es bereits zuvor eine finanzielle Rechenschaftspflicht gegeben habe, das neue Gesetz nun aber die Stigmatisierung "ausländischer Agenten" aus Sowjetzeiten zurückbringe. "Dieser Ausdruck ist in Georgien sehr stark konnotiert und bedeutet im Wesentlichen ‚Verräter‘, also jemand, der sein Heimatland verraten hat", erklärt Macharashvili.
Dieses Thema beschäftigt Pavliashvili, Vorsitzende der gemeinnützigen zivilgesellschaftlichen Forschungsorganisation Caucasus Open Space, in deren Vorstand auch Macharashvili ist. Ihre Organisation erhält einen Teil ihrer Mittel von der Europäischen Union, hat sich aber verpflichtet, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Mit den Geldern werden Analysen im Vorfeld der Wahlen, die Arbeit mit Fokusgruppen und der Austausch mit der internationalen Diaspora Georgiens zum Thema Wahlrecht und rechtsstaatliche Verfahren unterstützt. Caucasus Open Space ist auch ein Partner der DW Akademie in Georgien.
"Mit dem Geld können wir unsere bisherige Arbeit ausweiten", so Pavliashvili, "das heißt, fakten- und evidenzbasierte Studien zu freien und fairen Wahlen durchführen, und diese politisch neutralen, praktischen Informationen sowohl Medienschaffenden als auch Wählern zur Verfügung stellen."
Irma Pavliashvili, die die Nichtregierungsorganisation Caucasus Open Space leitet, forscht seit 2000 zu fairen Wahlen und hat an vielen Wahlbeobachtungen in Georgien und im Ausland teilgenommen.
Pavliashvili macht diese Arbeit bereits seit dem Jahr 2003 und hat an vielen Wahlbeobachtungen in Georgien und im Ausland teilgenommen. Sie wirkte außerdem an einem Gesetz aus dem Jahr 2017 mit, das die georgische Regierung dazu verpflichtete, nicht aufgrund des Geschlechts zu diskriminieren. Dieses Gesetz wurde Anfang des Jahres wieder aufgehoben.
Wie in vielen anderen Ländern der Welt ist auch die politische Landschaft Georgiens stark polarisiert. Einige Abgeordnete befürworten den Beitritt Georgiens zur Europäischen Union, während andere eine stärkere Bindung an Russland anstreben. Umfragen zufolge sprechen sich aber fast 90 Prozent der Bevölkerung für eine Mitgliedschaft in der EU aus.
Eine wesentliche Herausforderung Georgiens, so Macharashvili, liege in den noch im Aufbau befindlichen demokratischen Strukturen. Vor diesem Hintergrund kam es im Mai zu Protesten, die nach Einschätzung des Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen, Volker Türk, eine "unnötige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Ordnungskräfte" nach sich zog.
Die Demonstranten – in Tiflis sollen es teilweise bis zu 300.000 gewesen sein – sind überzeugt, dass durch das neue „Gesetz über ausländische Agenten“ unabhängige Medien und andere Organisationen mundtot gemacht werden sollen, damit sie die Regierung nicht zur Rechenschaft ziehen können, was sich auch an den Wahlurnen niederschlagen würde. Da das Parlament kürzlich erneut für das Gesetz votiert und damit das Veto der Präsidentin überstimmt hat, könnte Georgiens Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft schwinden.
"Das Gesetz wird die Wahlbeobachter in ihrer Arbeit erheblich einschränken", sagt Macharashvili.
Das neue Gesetz, so Pavliashvili, könnte sich vor allem in ländlichen Gebieten nachteilig auswirken, deren Arbeitsmarkt und wirtschaftliches Überleben weitgehend von staatlichen Subventionen abhängen. "Solche Subventionen könnten zurückgehalten werden", sagt sie. "Es steht hier also viel auf dem Spiel."
Auch für die beide Frauen steht viel auf dem Spiel, aber das ist nichts Neues. Macharashvili absolvierte ihr erstes Praktikum beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Georgien, wo sie sich unter anderem mit den Menschenrechten in ländlichen Gebieten befasste, die direkt von der russischen Invasion im Jahr 2008 betroffen waren. Dies hinterließ bei ihr einen bleibenden Eindruck davon, wie machtlos sich Menschen fühlen können.
"Und das sehen wir heute auch bei den Demonstrationen", fügt sie hinzu. "Unsere Arbeit zielt auf Freiheit, Sicherheit, Gleichheit und Fairness ab. Und das ist auch, was die Demonstranten fordern."
Caucasus Open Space ist Partner der DW Akademie in einem Projekt, das von der Europäischen Union und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt wird.