Sabera floh aus Myanmar und lebt nun in einem Rohingya-Camp in Bangladesch. Wie viele Frauen ist sie mit geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert. Hoffnung auf Wandel gibt ihr das Radio.
"Für mich war die größte Veränderung, dass ich den Leuten Fragen stellen und meine Stimme erheben konnte", sagt Sabera (Name von der Red. geändert). Die junge Frau lebt im Flüchtlingslager Kutupalong im Distrikt Cox's Bazar im Südosten von Bangladesch. Sie ist eine von rund einer Millionen Rohingya, die aus Myanmar geflohen sind. Sabera lebt in einer muslimischen Gesellschaft, die Frauen daran hindert, selbstbestimmt zu leben - ohne männliche Unterdrückung. Schon allein Fragen zu stellen, bedeutet für Sabera gesellschaftliche Tabus zu brechen.
Im Dezember 2018 begann die heute 21-jährige Sabera bei Palonger Hota ("Stimme von Palong") zu arbeiten, einer wöchentlichen Radiosendung von Flüchtlingen und Einheimischen für ein lokales Publikum. Mit Unterstützung der DW Akademie produziert die Nichtregierungsorganisation Young Power in Social Action (YPSA) gemeinsam mit dem Bürgerradio Naf das Magazinprogramm. Sabera, die bis dahin keine Erfahrung mit Radio oder Medien hatte, erhielt ein Training als Community-Reporterin. Von da an war ihre Stimme zu hören und sie versorgte ihre Gemeinschaft mit Nachrichten und Informationen. "Ich musste meine Mutter überzeugen, weil sie sich Sorgen machte, wie meine Nachbarn und Verwandten reagieren würden. Aber als sie und andere in meiner Nachbarschaft anfingen, meine Berichte zu hören, änderten sie nach und nach ihre Meinung", erinnert sich Sabera.
In der Radiosendung thematisierte Sabera, wie Frauen im Camp mit Mutterschaft und der Versorgung der Familie jonglieren und sich gleichzeitig nach großen Veränderungen in der Gesellschaft sehnen. Gerade für junge Rohingya-Frauen sei es wichtig, einen anderen Blick auf das Leben zu erhalten, sagt sie. "Wir müssen die Menschen für das Thema Kinderheirat sensibilisieren, jungen Frauen erklären, wie wichtig es ist, eine Ausbildung zu machen, über Frauenrechte sprechen und ihnen ermöglichen, das Leben anders zu sehen", sagt Sabera.
Nadira Islam ist Mitarbeiterin beim Gender-Programm von UN Women und arbeitet in den Flüchtlingscamps der Rohingya. Sie sagt, dass es in den letzten vier Jahren Hochs und Tiefs für die Frauen gegeben habe. Positiv fällt auf: Hatten Frauen bisher zumeist Angst, erlebte Gewalt anzuzeigen, werden die Rufe nach Gerechtigkeit inzwischen lauter. "Sie können jetzt ihre Probleme, ihre Rechte und Forderungen vorbringen", sagt sie. Es gibt mehr Frauen bei der Polizei und eine spezielle Anlaufstelle für Notfälle wurde eingerichtet. Diese positive Entwicklung ist jedoch getrübt durch die Auswirkungen der Pandemie: Die beschränkte Bewegungsfreiheit bis hin zu ausfallenden Aktivitäten der verschiedenen Hilfsorganisationen im Corona-Lockdown haben die aktuelle Situation für Frauen erschwert. Zwar tragen viele Frauen inzwischen zum Lebensunterhalt ihrer Familien bei, so nähen sie beispielsweise Mund-Nasen-Masken. Doch mit dem neuen Einkommen kam auch eine neue Bedrohung: Schutzgelderpressung. "Einige Frauen und ihre Familien werden von Gruppen bedroht, damit sie Geld von ihren Gehältern abgeben", sagt Nadira Islam.
Eine Studie des International Rescue Committee (IRC) zeigt, dass 94 Prozent der Rohingya-Frauen in den Lagern häusliche Gewalt erlebt haben. Die zugrundeliegenden Ursachen für geschlechtsspezifische Diskriminierung beruhen oft auf lange etablierten Überzeugungen, Normen, Einstellungen und Strukturen, die Gewalt gegen Frauen fördern oder tolerieren. So ist Saberas Geschichte eine von vielen anderen Rohingya-Frauen. Zwar kämpfte sie im Radio für mehr Gleichberechtigung und gewann durch ihre Arbeit viel neues Selbstvertrauen. Aber mit der Ehe war auch für sie damit Schluss. "Mein neuer Ehemann erlaubt mir nicht mehr, für Palonger Hota zu arbeiten und hat mir viele Einschränkungen auferlegt", sagt Sabera. "Er hat mich geschlagen, wenn ich mit anderen Männern gesprochen oder unser Haus allein verlassen habe. Aber ich muss ihm gehorchen, weil die Gesellschaft mich ablehnen würde, wenn ich mich von ihm scheiden lasse."
Gesellschaftliche Veränderungen in diesen patriarchalischen Systemen geschehen nur langsam und sind besonders schwierig, wenn der Zugang zu Information begrenzt ist. Sabera sagt, dass die Arbeit im Radio ihr Hoffnung gegeben hat. "Das Radio hat einen großen Einfluss auf die Rohingya, denn nur so bekommen wir Informationen. Viele von uns können immer noch nicht lesen oder schreiben und Fernsehen gibt es im Lager nicht. Das Radio ist der einzige Kommunikationskanal, um das Bewusstsein für gesellschaftliche Themen zu schärfen", erklärt Sabera. "Das macht das Programm von Palonger Hota so wichtig."
Das Projekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.