DW Akademie und Réseau de Journalistes Sensibles aux Conflits haben innovative Radioformate entwickelt, um den Dialog zwischen Binnengeflüchteten und Aufnahmegemeinschaften in Niger, Burkina Faso und Mali zu fördern.
Eine Teilnehmerin eines Zuhörendenclubs interviewt andere Binnenvertriebene in einem Geflüchtetenlager in Téra, Niger.
Die Stadt Terá liegt im Südwesten Nigers in der Region Liptako, die sich über Teile der drei Nachbarländer Niger, Mali und Burkina Faso erstreckt. Seit fast einem Jahrzehnt ist dieses Gebiet Mitten in der Sahelzone ständigen Angriffen durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen ausgesetzt. Diese Gruppen greifen häufig sowohl Sicherheitskräfte als auch Zivilistinnen und Zivilisten an. Ihre anhaltenden Attacken haben in der Sahelzone zu einer beispiellosen Sicherheitskrise und massiver Vertreibung der lokalen Bevölkerung geführt.
Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe UNHCR sind rund drei Millionen Menschen durch die Gewalt in der Region vertrieben worden, davon 326.000 in Niger. Die lokalen Behörden schätzen, dass sich 26.000 Binnenvertriebene in und um die Stadt Téra angesiedelt haben. Dieser plötzliche Zustrom von Menschen hat zu Spannungen geführt.
„Das Zusammenleben zwischen der Aufnahmebevölkerung und den Vertriebenen ist alles andere als einfach, da letztere oft stigmatisiert werden“, so Habiboulaye Hama Boukari, Vorsitzender der lokalen Vereinigung der Vertriebenen und Geflüchteten in Téra, einer Gruppe, die im Rahmen des Projekts „Frieden und sozialen Zusammenhalt fördern durch Dialog zwischen den Gemeinschaften“ gegründet wurde.
Dieses Projekt wurde vom Réseau de Journalistes Sensibles aux Conflits (Ré-JsC) ins Leben gerufen, um konstruktiven Dialog und Versöhnung in diesen vom Konflikt betroffenen Gemeinschaften zu fördern, Ré-JsC sieht die Ursachen für die Verschärfung von Konflikten in einem Mangel an Informationen, schlechter Kommunikation und fehlendem Dialog. In Zusammenarbeit mit der DW Akademie, unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wurde der Dialog zwischen der Aufnahmebevölkerung und den Vertriebenen ermöglicht.
Radio Liptako: Eine Radiosendung lädt zur offenen Diskussion ein und bringt so Binnenvertriebene und Mitglieder der lokalen Gemeinschaft in Téra, Niger zusammen, um gemeinsam dringende Probleme zu lösen.
Das Projekt brachte kommunale Radiosender, Zuhörendenclubs, Organisationen der Zivilgesellschaft, lokale Abgeordnete, Binnenvertriebene und Geflüchtete zusammen. In Téra trafen sich die Menschen regelmäßig zu Diskussionen und zu einer Live-Radiosendung im Studio von Radio Liptako.
Die Idee für das offene Dialog-Radioformat des Projekts stammt von Ré-JsC und wurde mit Unterstützung der DW Akademie weiterentwickelt. Es handelt sich um eine Kombination aus Radiosendung und Bürgerforum, in dem die Teilnehmenden zu Wort kommen, ihre Herausforderungen diskutieren und sich die Gemeinschaft an der Suche nach Lösungen beteiligen kann.
„Dank dieser interaktiven Sendungen, die gut angenommen werden, hat sich die Wahrnehmung von Vertriebenen und Geflüchteten in der Bevölkerung deutlich verbessert“, so Ali Amadou, Leiter von Radio Liptako in Téra. Viele der Sendungen haben zu Lösungen für Probleme rund um sanitäre Einrichtungen, Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung geführt. In einem Dorf wurde ein Radiodialog über den Personalmangel in einer Schulküche geführt. Eine Gruppe von Frauen hörte die Sendung und meldete sich freiwillig, um für die Schulkinder zu kochen. Tatsächlich kochen die Frauen immer noch für die Kinder.
Insgesamt unterstützte das Projekt die Einführung des Radioformats bei zehn kommunalen Radiosendern in Niger, Mali und Burkina Faso.
„Das Projekt hat wesentlich dazu beigetragen, dass Binnengeflüchtete weniger stigmatisiert werden“, sagt Boukar Gambomi, Projektkoordinator der DW Akademie in Niger. „Unsere Partnerradios sind zu Foren des Austauschs und des Dialogs geworden, aber vor allem auch zu Ressourcen für die Suche nach Antworten auf alle Fragen des Friedens, der Sicherheit und der lokalen Entwicklung.“
Die größte Herausforderung für das Projekt war dabei die sich ständig verschlechternde Sicherheitslage in der Region während der Projektlaufzeit von September 2022 bis März 2023. In diesem Zeitraum fand in Burkina Faso ein Militärputsch statt und bewaffnete Gruppen in Niger setzten ihre Angriffe auf nigrische Sicherheitskräfte fort.
Aufgrund der zunehmenden Gewalt konnten zwei Radios die interaktive Sendung nicht mehr live produzieren. „Wir mussten umstellen. Die Sender haben mehr Interviews im Vorfeld geführt und dann als Reaktion auf die Sendungen [anonyme, Anm. d. Red.] O-Töne auf der Straße gesammelt“, sagt Christiane Schumacher, Project Manager der DW Akademie. „So konnten wir sicherstellen, dass auch in Regionen mit Unruhen die Bürgerinnen und Bürger weiter an Lösungen mitarbeiten konnten.“
Eine kürzlich durchgeführte Fallstudie von Ines Drefs, Project Manager der DW Akademie, und Lamine Souleymane, unabhängiger Berater, über das interaktive Radioformat-Projekt von Ré-JsC in Niger ergab, dass „interaktive Radioformate wichtige Räume für einen konstruktiven Dialog und die Entwicklung konkreter Lösungen bieten, die andernfalls nicht zwangsläufig zustande gekommen wären.“
Die Studie umfasste Fokusgruppendiskussionen, Interviews, einen Fragebogen, eine Dokumentenanalyse und eine quantitative Inhaltsanalyse. Mehrere Befragte betonten, dass sie durch ihre Teilnahme am Radio „zum ersten Mal mit Mitgliedern anderer sozialer Gruppen in Kontakt kamen und die Gelegenheit hatten, deren Standpunkte kennenzulernen“.
„Der Sinn [des Radioprogramms, Anm. d. Red.] besteht darin, [Binnenvertriebene, Anm. d. Red.] nicht als Fremde zu betrachten“, sagte ein Mitglied einer Aufnahmegemeinschaft den Forschenden. „Sie sind unsere Brüder und Schwestern, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Daher brauchen sie unsere moralische Unterstützung.“
Im Rahmen der Studie wurde auch untersucht, wie sich die Radioprogramme auf Frauen auswirken können, die von wichtigen Diskussionen in der Gemeinschaft oft ausgeschlossen sind. Viele von ihnen haben sich den Zuhörendenclubs im Projekt angeschlossen, die ihre Mitglieder ermutigen, sich zu Wort zu melden.
„Frauen sollten unterstützt werden, Clubs oder Netzwerke zu gründen oder beizutreten, die ihre Expertise zu Themen, die sie direkt betreffen, stärken“, schreiben Drefs und Souleymane in ihrer Studie.
Die Frauen in Téra, insbesondere die Binnenvertriebenen, haben sich den Zuhörendenclubs angeschlossen. Viele sehen einen direkten Zusammenhang zwischen den Radioprogrammen und ihrem veränderten Status innerhalb der Gemeinschaft.
„Dank dieser Diskussionen und der von den Frauen der Zuhörendenclubs produzierten Sendugen, die das Bewusstsein für Vertriebene schärfen, hat sich dieses Gefühl [der Entfremdung, Anm. d. Red.] verändert“, sagt Mariama Hassane, eine Binnenvertriebene in Téra. „Jetzt werden wir akzeptiert. Das Gefühl, gut in die Aufnahmegesellschaft integriert zu sein, gibt uns Binnenvertriebenen Trost.“
Das Projekt "Promoting peace and social cohesion through community dialogue" und das Diskussionspapier "How to foster constructive dialogue as part of media development" wurden vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt.