Der nigerianische Filmemacher Ike Nnaebue spricht über seinen Film „No U-Turn“, der auf der Berlinale Premiere hat. Es ist ein „Generation Africa“ Film - ein Projekt der DW Akademie und STEPS, gefördert vom BMZ.
Interview von Wilfred Okiche
Wilfred Okiche: Vor 27 Jahren haben Sie versucht, von Lagos aus auf dem Landweg nach Europa zu gelangen. Warum haben Sie sich entschlossen, diese Reise noch einmal anzutreten - dieses Mal mit einem Filmteam?
Ike Nnaebue: Ich habe schon immer gewusst, dass ich diese Geschichte eines Tages erzählen würde, schon in dem Moment, als ich diese Erfahrung gemacht habe. Ich habe nur auf die richtige Gelegenheit gewartet. Das ist die Art von Geschichte, die man mit anderen teilen möchte; es ist nichts, was man für sich behalten will. Und da ich ein Geschichtenerzähler bin und es liebe, Geschichten zu erzählen, ist es nur natürlich, dass ich das erzähle, was einen großen Einfluss auf mein Leben gehabt hat. Und vielleicht war ich auch irgendwie auf der Suche nach einer Art Abschluss.
„No U-Turn“ ist ein Film, bei dem es darum geht, den Geschichten der Menschen zuzuhören, die Sie auf dem Weg treffen. Was hofften Sie zu lernen?
Vor dem Film habe ich mich mit der Kunst des Zuhörens befasst; Zuhören ohne zu urteilen oder zu unterbrechen. Das war wichtig, denn ich wollte die Gründe hören, warum sich jemand im Jahr 2021 trotz aller Informationen über die Gefahren auf der Straße auf diese Art von Reise begeben will. Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa tauchte immer wieder als Antwort auf, aber ich wollte besser verstehen, welche Art von Hoffnung die Angst vor der Gefahr überwindet. Es wurde mir immer klarer, dass die Reise mehr eine mentale als eine physische ist. Ich konnte meine eigenen Schritte zurückverfolgen und mir wurde klar, dass es nicht wirklich um Europa als Ort oder physischen Ort geht. Es ging vielmehr darum, einen Ort unter der Sonne zu finden, den man sein Zuhause nennen kann.
Wir hören im Film eine Reihe von Menschen, die noch Monate oder Jahre später in der Schwebe sind und die Überfahrt nach Europa noch nicht geschafft haben. Warum ist es für Migrantinnen und Migranten schwierig, in ihr Heimatland zurückzukehren, selbst wenn ihre Reise nicht erfolgreich war?
Vor allem in Westafrika ist die Migration mit vielen Stigmatisierungen verbunden. Wenn man geht, geht man nicht nur für sich selbst. Es wird erwartet, dass man mit einem gewissen Maß an Erfolg zurückkommt, den die Gesellschaft auch als solchen anerkennen kann. Wenn das nicht der Fall ist, hat man versagt und die Zeit anderer verschwendet. Ein weiterer trauriger Aspekt ist, dass die Menschen, die man zurückgelassen hat, ihr Leben weiterführen, so dass es schwierig ist, dort wieder anzuknüpfen. Laura, die in dem Film mitspielt und über einige Kenntnisse im Friseurhandwerk verfügt, sagte mir, sie würde lieber in Marokko betteln gehen, als in Nigeria als Friseurin zu arbeiten.
Der Nollywood-Regisseur Ike Nnaebue über Migration: "Ich wollte besser verstehen, welche Art von Hoffnung die Angst vor der Gefahr überwindet."
Wie sind Sie zum Projekt Generation Africa gekommen?
Als ich die Ausschreibung für Generation Africa sah, fielen mir sofort zwei Dinge auf. Es ging um Dokumentarfilme, und es ging um Migration. In diesem Moment wusste ich, dass dies die Chance war, meine Geschichte zu erzählen. Ich wollte schon immer Dokumentarfilme machen. Ich habe Spielfilme für nigerianische Kinos gedreht, aber ich hatte noch nie die Gelegenheit, einen Dokumentarfilm zu machen, vor allem keinen, der in die Kinos kommt und eine globale Reichweite hat. Ich wollte nicht die übliche Art von Dokumentarfilmen machen, die manche Leute als sogenannte NGO-Filme oder Nachrichtenreportagen bezeichnen. Ich dachte, das sei eine wunderbare Gelegenheit. Ich schickte das Exposé in einer E-Mail und vergaß es. Ich glaube, es war zwei oder drei Wochen später, als ich eine Antwort erhielt. Ich wurde nach Ghana zu einer Schulung eingeladen. So fing die Reise an.
Inwiefern unterscheidet sich dieser Film von den NoIlywood-Filmen, mit denen Sie schon viel Erfahrung haben?
Ich versuche seit langem, globale Best Practices in Nollywood zu fördern. Ich hatte die Nase voll von der Tatsache, dass wir erstaunliche Geschichten haben, originelle Geschichten, aber wir erzählen sie nicht richtig. Deshalb wollte ich zeigen, wie es auch für ein weltweites Publikum funktionieren kann. An einem Projekt wie diesem mitzuwirken, war für mich wie das Paradies, und ich habe es wirklich genossen.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit in Nigeria und wie hat die Beteiligung an einer afrikanischen Koproduktion dazu beigetragen, Lösungen zu finden?
Die offensichtliche Antwort auf diese Frage wäre: Geld! Aber die Finanzierung ist nicht einmal das Hauptproblem, denke ich. Das Problem ist, dass es kein funktionierendes Ökosystem gibt, das den kreativen Prozess von Filmschaffenden unterstützt. Deshalb versuchen wir, ein Netzwerk aufzubauen, um etwas für uns selbst zu schaffen. Ich bin seit fast 20 Jahren Nollywood-Filmemacher, und wir erwarten immer noch, dass die Regierung eine Struktur für uns aufbaut. Also habe ich beschlossen, stattdessen etwas mit meinem Team auszuprobieren. Unser Unternehmen ist auf soziale Wirkung ausgerichtet, das heißt, wir wollen Gewinne erzielen, aber die soziale Wirkung ist wichtiger. Wir versuchen, ein globales Unterstützungssystem für afrikanische Kreative aufzubauen, damit alle gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren können. Die Beteiligung an einer Koproduktion wie dieser ist hilfreich, weil man sich die Stärken aus anderen Ländern zunutze machen kann. Südafrika hat zum Beispiel eine viel strukturiertere Industrie, aber Nigeria ist mehr mit dem Publikum verbunden. Wenn man diese beiden Stärken in einem Projekt vereint, dann entsteht ein Film wie „No U-Turn“.
Welchen Einfluss kann Ihrer Meinung nach ein Film wie der Ihre auf soziale Fragen in Nigeria haben, insbesondere im Hinblick auf die Migration?
Ich gehöre zu den Leuten, die glauben, dass Nollywood eine kritische Bestandsaufnahme der Art von Inhalten machen muss, die wir im Laufe der Jahre produziert haben. Ich habe das Gefühl, dass vieles von dem, was gesellschaftlich schiefläuft, auf die Macht der Bilder in unseren Filmen zurückzuführen ist. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Migration und den Filmen, die wir in der Vergangenheit gefördert haben. Wir haben Filme gedreht, die den Eindruck erwecken, dass man Reichtum aus dem Ausland braucht, um glücklich zu sein oder um respektiert zu werden. In vielen unserer Filme leben die Figuren in Villen und fahren große Autos, selbst die, die angeblich aus der Arbeiterklasse stammen. Wir sehen nicht genug Geschichten von Menschen, die im Alltag zurechtkommen und sich ihr Leben aufbauen. Diese Erzählungen haben weitreichende Auswirkungen, und wir sollten gründlicher darüber nachdenken, was wir zeigen.
Karten für diese und die weiteren Vorführungen während des Festivals können jeweils drei Tage vor der Vorführung auf der Berlinale-Website erworben werden. Der Film ist nominiert für den Panorama-Publikumspreis für den beliebtesten Dokumentar- und Spielfilm und für den vom rbb gestifteten Berlinale Dokumentarfilmpreis.
„No U-Turn“ ist ein Film von Generation Africa. Gemeinsam mit der DW Akademie hat STEPS dieses Projekt mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufen.
Generation Africa umfasst 25 Dokumentarfilmen aus 16 afrikanischen Ländern, die sich mit der Zukunft der Jugend in Afrika und Migration beschäftigen. Die südafrikanische Organisation STEPS arbeitet mit Produktionsfirmen aus den einzelnen Ländern zusammen, um afrikanischen Filmschaffenden eine Stimme zu geben. Durch diese gemeinsame Initiative gelingt es, den Dokumentarfilm sowohl im anglophonen als auch im frankophonen Afrika zu stärken. Das Projekt bringt junge herausragende Dokumentarfilme auf die Weltbühne, um neue Perspektiven auf das Thema Migration zu eröffnen. Alle Filme des Projekts werden im Frühsommer 2022 vom deutsch-französischen Fernsehsender Arte ausgestrahlt.