China Staats- und Parteichefchef Xi Jinping hat der Hongkonger Regierungschefin den Rücken gestärkt - zumindest verbal. Ihre Abberufung ist jedoch laut China-Kenner Willy Lam beschlossene Sache.
Deutsche Welle: Am Dienstag sind Xi Jinping und Carrie Lam in Shanghai zusammengetroffen. Xi versicherte Lam der "vollständigen Anerkennung" und "des hohen Vertrauens" durch die Regierung in Peking. Hat die umstrittene Regierungschefin damit ihre Position gefestigt?
Willy Lam: Ich denke, dass Carrie Lams Abgang fest programmiert ist. Denkbar wäre, dass der Volkskongress, der im März 2020 tagt, sie des Amts entheben oder ihr noch eine letzte Schonfrist von zwölf Monaten einräumen wird.
Bevor dies geschieht, bleibt Xi Jinping nichts anderes übrig, als sie verbal zu stützen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Staats- und Parteiführung ihre Arbeit anerkennt. Ansonsten gäbe es nicht so viele Spekulation um ihre politische Zukunft und ihren möglichen Nachfolger, der von der Parteiführung bereits gesucht werden soll.
Das ist das erste Vier-Augen-Gespräch zwischen Xi und Lam seit Beginn der jüngsten Protestwelle vor fünf Monaten. Welche politischen Signale lesen Sie daraus?
Das Abschlusskommuniqué des 4. KPCh-Plenums vom 31. Oktober 2019 ist mehr als deutlich: Peking will den Mechanismus der Berufung und Abberufung des Regierungschefs und anderer hoher politischer Beamter in Hongkong verbessern. Im Klartext: Der Nachfolger von Carrie Lam muss der Zentralregierung noch treuer ergeben sein und über mehr politische Erfahrung verfügen. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass die Zentralregierung ihr de facto bereits das Vertrauen entzogen hat.
Sehen Sie Zeichen für eine Änderung des Kurses der Zentralregierung gegenüber Hongkong?
Künftig wird die Hongkong-Politik der Zentralregierung noch strikter werden. Das Parteiplenum fordert im jüngsten Abschlusskommuniqué, dass auch Hongkong dazu verpflichtet werden muss, "die Staatssicherheit zu verteidigen". Das Verfahren zur Umsetzung von Paragraph 23 des Hongkonger Grundgesetzes (Basic Law) wurde vom Hongkonger Parlament bereits wieder auf die Tagesordnung gesetzt. (Gemeint ist ein Sicherheitsgesetz, das harte Strafen für alle Arten staatsgefährdender Aktivitäten vorsieht. Die Verabschiedung dieses Gesetzes scheiterte 2003 am Widerstand der Bevölkerung. Anm. d. Red.)
Möglicherweise wird Hongkong in den kommenden zwölf Monaten das Staatssicherheitsgesetz verabschieden. Fest steht, Peking will umfassendere und striktere Kontrolle über Hongkong.
Ein Ende der Protestaktionen ist nicht in Sicht. Welche Lösung sehen Sie fürHongkong?
Im Kern fordern die Menschen politische Reformen, insbesondere direkte und allgemeine Wahlen. Sie wollen den Verwaltungschef und sämtliche Parlamentsabgeordnete direkt wählen dürfen. Peking lehnt diese Forderung aber ab. Ganz im Gegenteil: Peking will sich Hongkong einverleiben, es strenger kontrollieren, weil es eine vom Volk getragene revolutionäre Bewegung fürchtet. Die Pekinger Position steht im Gegensatz zu dem, was die Menschen in Hongkong fordern. Ich gehe davon aus, dass die Proteste weitergehen.
Willy Lam ist China-Experte und Professor an der Chinese University of Hong Kong.
Das Interview wurde von Da Yang auf Chinesisch geführt.