Die besten Geschichten liegen auf der Straße. Keine Floskel, sondern eine Beobachtung der Teilnehmer am Workshop "Short Documentaries" in Ho Chi Minh City. Trainer Patrick Benning mit persönlichen Eindrücken.
Die "Süße-Suppen-Verkäuferin" ist nicht zu übersehen. Wir begegnen ihr in jeder Pause unseres Trainings. An der Zufahrt zum Sendezentrum, gleich an der ersten Ecke, hat sie sich niedergelassen. In die breiten Schalen ihres Tragegestells, das typisch für Vietnams Straßenhändler ist, passt ein komplettes Restaurant. Ihres ist spezialisiert auf Nachtische und süße Snacks.
Die Belegschaft des Staatsfernsehens VTV liebt die gesüßte Sojasuppe, in Zucker gekochte grüne oder braune Bohnen, Mango-Mus auf Eis oder selbstgemachte Puddingcreme mit Limettensaft. Sobald es auf die Mittagszeit zugeht, bleibt keiner der bunten Plastikhocker neben den vielen Zutaten-Töpfen unbesetzt. Das Servicekonzept der tragbaren Dessert-Bar entspricht demjenigen westlicher Kaffee- und Fastfood-Ketten, die auch in Vietnam längst etabliert sind: Alle Leckereien gibt es zum Sofortessen - oder auch zum Mitnehmen, im praktischen Plastikbecher mit Löffel und einer Mini-Tragetüte.
Wir finden, dass diese ebenso tüchtige wie redselige Straßenhändlerin eine interessante Protagonistin für einen Übungsfilm sein könnte. Einige Teilnehmer unseres TV-Workshops "Short Documentaries" begleiten sie daher einen Nachmittag lang mit der Kamera. Es gibt keine Story und kein Drehbuch. Der Auftrag an diesem zweiten Trainingstag ist es, kurze Sequenzen von einfachen Handlungen zu drehen: Ein Mango-Mus auf Eis in drei Einstellungen.
Würde und Stolz einer Straßenhändlerin
Als wir - Tage später - auf Themensuche für die tatsächlichen Workshop-Filme sind, denkt niemand mehr an die fleißige Straßenhändlerin. Niemand, bis auf einen: Pham Quoc Mau, ein junger, aufgeweckter Reporter und Kameramann, der aus der ländlichen und abgelegenen Provinz Phu Yen stammt. Das Staatsfernsehen VTV hat dort ein Regionalstudio.
"Während ich bei ihr Suppe aß, kam die Verkäuferin ins Reden", berichtet uns Mau. "Und sie erzählte mir ihre Geschichte, nachdem ich ihren Dialekt erkannt hatte. Meine Familie kommt aus derselben Gegend wie sie."