In Lateinamerika vermittelt eine Plattform für Wissenschaftskommunikation zwischen moderner Medizin und traditionellem Wissen. Der gegenseitige Austausch ist ein Gewinn für die Gesundheit im Kampf gegen die Pandemie.
Schaum, überall Schaum: Und mittendrin spielende Kinder. Vom Fenster seiner Praxis in dem kolumbianischen Dorf Pubenza aus sieht Camilo Prieto den Kindern zu, die durch die Schaumblasen stapfen. Der Schaum stammt aber nicht aus einer übergelaufenen Badewanne, sondern aus dem durch Industrie- und Siedlungsabfälle verschmutzten Fluss Bogotá. Es ist weißer Schaum, aber er stinkt nach Fäulnis. Er ist das Nebenprodukt von Chemikalien aus dem fast toten Fluss.
Dieses Erlebnis hat den beruflichen Weg von Prieto geprägt: „Ich wusste plötzlich, was ich tun muss: Damit die Kinder nicht mehr mit dem giftigen Schaum spielen und gesund bleiben, musste ich raus aus meiner Praxis. Ich musste ärztliche Hilfe anbieten, die mehr ist als praktizierte Schulmedizin.”
Der Arzt Camilo Prieto vermittelt wissenschaftliches Know-how in den ländlichen Gemeinden Kolumbiens.
Aufklären, Wissensbarrieren abbauen, Menschen helfen: 20 Jahre später ist der Arzt Experte der Online-Bildungsplattform Vientos Alisios – Spanisch für Passatwinde. Und gewissermaßen will das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderte Projekt der DW Akademie frischen Wind in die Wissenschaftskommunikation am Amazonas bringen. Es sensibilisiert Journalistinnen und Journalisten für interkulturelle Kommunikation und trainiert Reporterinnen und Reporter lokaler Medien in der Berichterstattung über Gesundheitsthemen und im Faktencheck. In Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen in Kolumbien, Peru und Ecuador fördert Vientos Alisios aber auch den Dialog zwischen moderner Wissenschaft und traditionellem indigenen Wissen. „Die fehlende Kommunikation zwischen Wissenschaft und Bevölkerung macht die Menschen anfälliger für Desinformation”, sagt Prieto. Eine gute Kommunikation von Gesundheitsthemen ist in der Covid-19-Pandemie eine lebenswichtige Notwendigkeit für die Menschen im Amazonasbecken.
Gute Kommunikation fördert Gesundheit
Yaneth Cerón ist Krankenschwester und gehört der indigenen Yanacuna-Gemeinschaft im Südwesten Kolumbiens an. Die Koordinatorin des Gesundheitsprogramms des Regionalen Indigenenrats von Cauca (CRIC) kennt das Leben in den Gemeinden und ist ebenfalls eine der Expertinnen von Vientos Alisios. Ein großer Teil ihrer Arbeit besteht darin, zuzuhören: Welche Sorgen, Bedürfnisse und Fragen haben die Menschen in der Pandemie?
„Kommunikation ist ein Schlüsselelement in diesem ganzen Prozess. Ohne sie ist es unmöglich, voranzukommen”, sagt Cerón. Auch der Wissensaustausch zwischen den indigenen Gemeinschaften stärke deren Gesundheit, ist sie überzeugt.
Angesichts kultureller Unterschiede, einer Vielzahl indigener Sprachen und Lücken im Kommunikationsnetz ist die Verbreitung von verlässlichen und verständlichen Informationen im Amazonasbecken keine leichte Aufgabe. Vientos Alisios hat einen Leitfaden mit Tipps für die interkulturelle Kommunikation von Gesundheitsthemen entwickelt. „Wir bevorzugen beispielsweise eine einfache Sprache, die von den Menschen selbst gesprochen wird, und zwar mit Respekt vor den Menschen jeder Gemeinschaft”, sagt Cerón.
Respekt ist auch für den Arzt Camilo Prieto wichtig. „Es geht darum, sich auf eine konstruktive Kommunikation zu konzentrieren, die andere nicht für ihre Überzeugungen lächerlich macht, sondern ihnen zuhört und ermöglicht, sich selbst eine fundierte Meinung bilden zu können”, sagt Prieto.
Verschiedene Welten, eine Gesundheit
Für Yaneth Cerón kommt es auf eine gute Vermittlung zwischen moderner Wissenschaft und traditioneller Medizin an.
In der Entwicklung vieler Medikamente, die heute in der modernen Medizin verwendet werden – wie beispielsweise für die Malaria-Behandlung – stützt sich die Wissenschaft auf traditionelles Wissen. Dennoch werden sie oft als getrennte Welten wahrgenommen.
„Bei Vientos Alisios geht es darum, die Konstruktion von Wissen zu verändern und anzuerkennen, dass auch das Wissen der Vorfahren sehr wertvoll ist und dass die Gemeinschaften es geschafft haben, es nicht mit wissenschaftlichen Methoden zu erwerben”, sagt Camilo Prieto. „Wir werden erfolgreich sein, wenn wir all das vorhandene Wissen zusammenführen”, ist sich Yaneth Cerón sicher.
Die Pandemie hat die Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation mehr denn je deutlich werden lassen. Journalismus und Wissenschaft an einen Tisch bringen, interkulturelle Kontexte berücksichtigen, den Dialog von traditionellem Wissen und moderner Medizin fördern: Dafür steht Vientos Alisios – mit der ganzen Kraft der Passatwinde.
Dieses Projekt ist Teil der Initiative "Transparenz und Medienfreiheit - Krisenresistenz in der globalen Pandemie" der DW Akademie und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).