Wir stellen zwei Frauen vor, die mit kreativen Ideen gegen geschlechtsbezogene Gewalt in Ostafrika vorgehen.
Birhan Gebrekirstos Mezgbo unterrichtete Elektrotechnik an der Universität von Mekelle im nördlichen Äthiopien, als ein Bürgerkrieg in der Region Tigray zwischen der äthiopischen Regierung und der Tigray People’s Liberation Front ausbrach. Da ihre Universität geschlossen blieb, begann Mezgo als Freiwillige zu arbeiten und Menschen zu helfen, die auf der Suche nach Essen, Schutz und medizinischer Versorgung in die Stadt kamen.
Während ihrer Arbeit als freiwillige Helferin hörte sie erstmals Geschichten von furchtbarer sexueller Gewalt gegen Frauen, verübt von Soldaten. Aufgrund des Stigmas, das noch immer mit Vergewaltigung verknüpft ist, suchten nur die wenigsten der betroffenen Frauen medizinische oder psychologische Hilfe.
“Sie konnten nicht einmal mit ihren Angehörigen darüber sprechen, was ihnen angetan worden war”, sagte Mezgo. “Ich musste einen Weg finden, ihnen zu helfen.”
Die Filmemacherin Joan Rispa Kiragu kam erstmals im Rahmen eines Filmfestivals, das durch ländliche Ortschaften im westlichen Kenia tourte, mit dem Thema der geschlechtsbezogenen Gewalt in Berührung. Ein Film zeigte eine junge Frau, die von einem älteren Mann vergewaltigt wurde, um die Schulden ihres Vaters zu bezahlen.
“Als wir nach der Vorstellung über den Film sprachen, war ich schockiert darüber, dass es dort Menschen gab – auch Frauen – die an dem Verhalten und der Tat an dem Mädchen nichts falsch fanden”, sagte Kiragu, und fügte hinzu, dass Vergewaltigung in Kenia illegal sei.
“Gleichzeitig stellte ich auch fest, dass es viele Wissenslücken zu rechtlichen Themen gibt, gerade in Bezug auf Frauenrechte in diesen Dörfern”, ergänzte sie. “Das war etwas, wo wir ansetzen konnten.”
DW Akademie (Re-)Claiming Spaces Fellows 2024: L-R: Joan Rispa Kiragu, Hedwig Arinaitwe, Birhan Gebrekirstos Mezgbo, Faima Ibrahim
Das Projekt (Re-)Claiming Spaces der DW Akademie hat das Ziel, kreative Ideen zu fördern, die den Zugang zu Information von Frauen in ländlichen Gebieten verbessern und ihre gesellschaftliche Teilhabe stärken. In einem mehrstufigen Ansatz entwickeln und präsentieren soziale Innovatorinnen und Innovatoren ihre Ideen zur Stärkung von Frauen im ländlichen Ostafrika. Die DW Akademie erhielt für das Projekt über 170 Bewerbungen aus Kenia, Tansania, Uganda und Äthiopien.
Zu den ausgewählten Teilnehmerinnen zählten auch Mezgbo und Kiragu. Sie begannen mit einem fünftägigen IdeaLab in Kampala im November 2023. Dort hatten sie die Gelegenheit, den Human-Centered-Design-Ansatz zu lernen. In einer anschließenden dreimonatigen Testphase stellten die 20 Innovatorinnen und Innovatoren ihre Projekte fertig und arbeiteten an der Aktualität und Umsetzbarkeit, basierend auf dem Feedback aus ihren Zielgruppen.
Die DW Akademie unterstützte dies mit kleinen finanziellen Starthilfen und Coaching.
Während eines ActionLab im April 2024 stellten die Teilnehmenden ihre ausgearbeiteten Ideen vor. Mezgbo und Kiaragu wurden zu den Siegerinnen gekürt, ebenso wie Faima Ibrahim, eine Künstlerin aus Tansania und Hedwig Arinaitwe, eine Journalistin aus Uganda.
“Eine unsere wichtigsten Erkenntnisse aus dem (Re-)Claiming Spaces-Projekt ist der immense Mehrwert, die sozialen Innovatorinnen und Innovatoren zusammen zu bringen und ihre Führungsqualitäten aufzubauen“, sagte Christin Behne, Projektmanagerin für (Re-)Claiming Spaces bei der DW Akademie. „Sie sind Motoren der Veränderung für ihre Gemeinschaften und ein fokussierter Führungsansatz war wichtig, um ihre weitere Entwicklung und ihren Einfluss in den Gemeinschaften zu unterstützen.“
Die vier Innovatorinnen erhielten außerdem Trainings und finanzielle Unterstützung, um ihre Projektideen in einer sechsmonatigen Pilot-Phase umzusetzen, die im November 2024 endete.
Benson Githaiga, einer der Co-Trainer des (Re-)Claiming Spaces IdeaLab und des ActionLab, beschrieb das Projekt als einen experimentellen „Sandkasten“ mit dem Potential, gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen.
“Es setzt genau an der Schnittstelle zwischen Gesellschaftsthemen und der Verbreitung von Information an“, sagte er, „und zeigt wie Information Veränderung und Kultur unterstützen und Würde zurückfordern kann.“
Nach Ende der Filmvorführungen entwickelte Kiragu das Projekt „Saat der Gnade“, das Mythen und falsche Vorstellungen über intime Partnerbeziehungen und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Mädchen im Alter von 13 bis 17 Jahren im kenianischen Bezirk Uasin Gishu ausräumt.
Grundidee des Projekts war es, mit Schulen im ländlichen Raum zusammenzuarbeiten und dort Filme zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt zu zeigen. Im Anschluss wurden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, eigene Fragen einzureichen und gemeinsam zu diskutieren.
“Ich habe entschieden, mit weiterführenden Schulen zusammen zu arbeiten, weil gerade dort zu viele Mädchen gezwungen werden, die Schule zu verlassen, weil sie jung schwanger werden, oft, nachdem sie Sex mit älteren Männern hatten“, sagte Kiragu.
Viele Schulen lehnten die Anfrage aufgrund des intimen Themas ab, aber drei Schulen nahmen teil und zeigten die Filme vor rund 1.000 Schülerinnen und Schülern.
Einer der Filme, die Kiragu vorstellt, ist „Hayazoleki“ von Japheth Ayieko über die Beziehung zwischen einer Schülerin, die schwanger wird, und ihrem Lehrer, der deswegen in Haft kommt.
In der anschließenden Diskussion verteidigten anfangs viele der Schülerinnen die Beziehung. Aber Kiragu beobachte, wie sich die Diskussion oft veränderte, wenn es um die moralischen und rechtlichen Folgen der Beziehung ging.
“Junge Mädchen besprechen diese Themen normalerweise nicht mit ihren Eltern oder Lehrern, daher war es beeindruckend, die Veränderung dieser Mädchen direkt vor unseren Augen zu sehen“, sagte sie.
Birhan Gebrekirstos Mezgbo bei einem Workshop für Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Region Tigray in Äthiopien
Mezgbo verbrachte über ein Jahr damit, mit Vergewaltigungsopfern zu sprechen und ihre Geschichten zu dokumentieren. Eine Frau aus einer ländlichen Region in der Nähre des Orts, an dem Mezgbo selbst aufgewachsen war, berichtete, dass sie fünf Tage lang von einem eritreischen Soldaten festgehalten und mehrfach vergewaltigt worden war.
“Das hätte auch ich selbst oder meine Mutter sein können“, sagte Mezgbo.
Mit Unterstützung der (Re-)Claiming Spaces Initiative startete Mezgbo das Projekt „She Heals, We Heal“ (Sie heilt, wir heilen), das in den vergangenen drei Monaten 12 Podcasts in lokalen Radiostationen gesendet hat. Die Sendungen, in denen Expertenstimmen und religiöse Führer zu Wort kommen, bieten nicht nur wichtige Informationen, sondern ermutigen die Frauen auch, ihre Geschichten zu erzählen und so ein Gefühl der Gemeinschaft und gegenseitigen Unterstützung zu schaffen.
“Diese Podcasts haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, Frauen in ländlichen Regionen zu erreichen, die sonst nur schwer Zugang zu derartigen Informationen haben“, sagte Mezgbo.
Das Projekt “She Heals, We Heal” zeigt die Kraft der Medien beim Überwinden von Informationslücken und bei der Förderung von sozialem Wandel, besonders in vernachlässigten Regionen. Im Rahmen des Projekts werden außerdem Einzeltreffen mit Opfern, Fokusgruppen und Workshops zur Sensibilisierung der Bevölkerung organisiert.
“Indem wir das Schweigen rund um sexuelle Gewalt brechen und die Frauen ermutigen, sich Hilfe zu suchen, bestärken wir sie dabei, sich in der Gesellschaft einzubringen und von gesellschaftlichen Ressourcen und Zusammenhalt zu profitieren“, sagte sie.