In Buenos Aires trafen sich hochkarätige Journalisten aus Deutschland und Lateinamerika zu einem Mediendialog. Das Thema: Datenjournalismus - spätestens seit Wikileaks ein internationales Buzzword.
Sie nennen sich Nerds, Hackers oder Daten-Ninjas. Und sie beschäftigen sich für ihr Leben gern mit riesigen Datensätzen und komplexen Visualisierungen. Mit den Edelfedern des klassischen Journalismus haben sie mehr gemein, als man auf den ersten Blick denken könnte: Die Liebe zum Geschichtenerzählen eint Journalisten alten und neuen Schlags.
Datenjournalisten sammeln und analysieren nicht nur große Datenmengen. Ihre eigentliche Kunst besteht im Herauslesen und Erzählen von Geschichten, die für ihre Leser, Hörer, Zuschauer oder Nutzer interessant und relevant sind. Zuweilen arbeiten Datenjournalisten dabei mit Daten, die über Whistleblower wie Edward Snowden in ihre Redaktionen gespült werden.
Weit öfter aber bedienen sie sich aus frei zugänglichen Datenbanken. Viele demokratische Staaten haben mittlerweile Informationsfreiheitsgesetze erlassen, die Bundesbehörden zur Herausgabe amtlicher Informationen verpflichten. Doch nur eine Minderheit der Journalisten ist derzeit in der Lage, mit diesen Datenmengen sinnvoll umzugehen. Ein Zuviel und nicht ein Zuwenig an Information ist oft das Problem.
Gustavo Faleiros aus Brasilien arbeitet als Geojournalist. Der Stipendiat des International Center for Journalists (ICFJ) der renommierten Knight Foundation stellte auf Einladung von DW Akademie und Auswärtigem Amt in Buenos Aires sein Projekt "Info Amazonia" vor. Mit Hilfe von Satellitenbildern und interaktiven Karten dokumentieren er und sein Team aus Entwicklern und Journalisten fortlaufend die Abholzung des Regenwalds in den neun Staaten des Amazonasgebiets. Nutzer erfahren etwa, dass heute nicht mehr riesige Flächen, sondern viele kleine Gebiete gerodet werden, um das Ausmaß der Abholzungen zu verschleiern. Alle nötigen Informationen bezieht Faleiros aus frei zugänglichen Datenbanken. Er sagt: "Es geht nicht nur darum, die Geschichten aus den Datensätzen herauszufiltern. Wir wollen auch neue Wege finden, wie jeder Nutzer selbst mit komplexen Daten umgehen kann."
Neue Recherche-Wege
Jedem Nutzer eine eigene, täglich aktuelle Nachrichtenquelle verschaffen - darum geht es auch Julius Tröger, Redakteur bei der "Berliner Morgenpost". Er stellte den Teilnehmern des Mediendialogs sein Online-Projekt "Flugrouten-Radar"
vor. Es ermöglicht den Nutzern, tagesaktuell alle Flüge über Berlin anzuklicken und sich so über die Ursachen von Fluglärm und Umweltverschmutzung in der eigenen Umgebung zu informieren.
Wie Datenjournalismus die traditionelle journalistische Recherche ergänzen kann, zeigte Stephan Plöchinger, Chefredakteur der Onlineausgabe der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Das aufsehenerregende Rechercheprojekt "Geheimer Krieg" von SZ und NDR etwa kombiniert vielfältige journalistische Darstellungsformen und überlässt es dem Nutzer, sich für die Print-, TV-, Online- oder Buchvariante des Projekts zu entscheiden. "Datenjournalismus ist eine wichtige Bereicherung, kein Ersatz für grundlegende journalistische Recherchemethoden", so auch die Auffassung von Christina Elmer, Wissenschafts- und Datenjournalistin bei "Spiegel Online".
Gemeinsamer Newsroom
Jedoch stecke die Zusammenarbeit zwischen IT-Experten und Journalisten in vielen Redaktionen noch in den Kinderschuhen. Beeindruckend war daher insbesondere für die deutschen Teilnehmer des Mediendialogs der Besuch im Newsroom der argentinischen Tageszeitung "La Nación" in Buenos Aires. Hier sitzen Datenexperten und Redakteure gemeinsam in einem Großraumbüro. Auch Grafiker für Datenvisualisierungen sind in Rufweite. Durch diese Vernetzung hat sich "La Nación" international einen hervorragenden Ruf für Datenjournalismus-Projekte, etwa im Bereich Korruption, erarbeitet. "Mehr Nerds in den Newsroom!" - diese Forderung von Florencia Coelho, Mitarbeiterin der argentinischen Tageszeitung "La Nación“, teilten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Mediendialogs.
Der Mediendialog Argentinien zum Thema Datenjournalismus wird vom Auswärtigen Amt finanziert und soll voraussichtlich 2014 fortgesetzt werden.