Der Preisträger des ¡Investiga!-Journalistenpreis nahm auf Einladung der DW Akademie an einem Seminar zur Aufarbeitung der Geschichte teil - in Berlin. Ein Gespräch über Krieg und Frieden und die Rolle des Journalismus.
David González wurde 1981 in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in der kleinen Stadt Tunja in den kolumbianischen Anden. Sein Jurastudium brach er nach wenigen Semestern ab, da er sich "schrecklich langweilte". "Alles, was ich tun wollte", sagt er, "war schreiben". So studierte er Journalismus an der Universidad Javeriana in Bogotá und arbeitete später für die kolumbianische "Stiftung für die Pressefreiheit" (FLIP). Dort entdeckte er die Themen, die den Kern seiner heutigen Arbeit als Journalist ausmachen: der Bürgerkrieg, der in Kolumbien seit Jahrzehnten wütet, die Folgen der Gewalt auf dem Land, aber auch hoffnungsvoll stimmende Geschichten, die aus dem Konflikt hervorgehen. 2014 wurde David Gonzaléz mit dem ¡Investiga!-Journalistenpreis ausgezeichnet, den die DW Akademie mit der Universidad del Norte seit 2012 an kolumbianische Journalistinnen und Journalisten vergibt.
Der Bürgerkrieg ist ein komplexes und sehr riskantes Thema für Journalisten. Woher kommt Ihr großes Interesse dafür?
David González: Wer sein ganzes Leben nur in Bogotá verbracht hat, ist in gewisser Hinsicht vom alltäglichen Schrecken des Krieges geschützt. Der Krieg in Kolumbien findet vor allem in den ländlichen Gebieten statt. Wenn man, wie ich, außerhalb der großen Städte Kolumbiens aufgewachsen ist, hat man einen ganz anderen Blick auf die Dinge. Es drängen sich viele Fragen auf, die Suche nach Antworten treibt mich an.
Wie kamen Sie als Journalist zum ersten Mal mit dem Konflikt in Berührung?
In der "Stiftung für Pressefreiheit" (FLIP), für die ich zwischen 2010 und 2011 als Menschenrechtsbeobachter arbeitete, war ich mitverantwortlich dafür, Angriffe auf Journalisten und auf die Meinungsfreiheit in Kolumbien zu dokumentieren. Dadurch konnte ich in abgelegene Regionen wie beispielsweise Cauca, Arauca oder Urabá reisen, wo der kolumbianische Konflikt am intensivsten und die Gewalt gegen Journalisten besonders ausgeprägt ist. In dieser Zeit begann ich, darüber als Reporter für verschiedene Medien zu berichten.
Haben Sie in dieser Zeit auch von dem ermordeten Journalisten Luis Eduardo Gómez erfahren, über den Sie später den Text schrieben ("En el nombre del padre y del hijo"), der 2014 den ersten Platz des Journalistenpreises ¡Investiga! gewonnen hat?
Ja, in meiner Zeit bei der "Stiftung für Pressefreiheit" habe ich Carmenza Ruiz, die Frau des ermordeten Journalisten Luis Eduardo Gómez, kennengelernt und von dessen dramatischen Schicksal erfahren. Luis Eduardo Gómez kann man als den "Vater des Journalismus" in der Region Urabá bezeichnen. Er hat mehrere Medien gegründet und sich sein ganzes Leben lang für Pressefreiheit und Transparenz eingesetzt. Nachdem der Sohn des Ehepaares 2009 vermutlich von Paramilitärs umgebracht wurde, begann Luis Eduardo selbst das Phänomen des Paramilitarismus in Urabá zu dokumentieren. Er wollte herausfinden, wer die Mörder seines Sohnes waren.
Diese Recherche wurde für Luis Eduardo Gómez sehr gefährlich …
Er setzte sich zum Beispiel auf den Marktplatz seines Dorfes und notierte die Nummernschilder bekannter Paramilitärs. Gómez ging dorthin, wo Paramilitärs mit Drogen handelten. Als sie schließlich herausfanden, was er tat, töteten sie auch ihn. Das war im Jahr 2011.
Für diese Geschichte mussten Sie mehrere Reisen nach Urabá unternehmen. Wie sieht die Arbeit investigativer Journalisten in Kolumbien aus?
Historische Aufarbeitung: Während eines DW Akademie-Seminars besuchte González deutsche Erinnerungsorte
Sie ist sehr schwierig. Nur ein Beispiel: Einmal habe ich für eine der größten Zeitungen Kolumbiens eine Geschichte über die Entführung des französischen Journalisten Romeo Langlois in Caquetá geschrieben. Das ist eine gefährliche Gegend. Ich habe die Kosten für Flugtickets, Unterbringung und Verpflegung selbst getragen. Am Ende bekam ich für die Reportage etwa 100.000 kolumbianische Pesos, das sind weniger als 40 Euro. Finanziell lohnt es sich bislang nicht, als freier Journalist über den Konflikt zu berichten.
Aber warum tut man sich das als Journalist an?
Als Journalisten haben wir die Verpflichtung, über das zu informieren, was in Kolumbien geschieht. Die journalistische Arbeit kann helfen zu verstehen, warum sich die Kolumbianer seit Jahrzehnten gegenseitig umbringen. Das ist ein Beitrag zum Friedensprozess.
Wie wirkt sich die Berichterstattung über Krieg und Gewalt auf einen Reporter aus?
Als ich begann, über Kolumbiens Krieg auf dem Land zu recherchieren, konnte ich mir nicht vorstellen, was für schreckliche Schicksale hinter dem Konflikt stecken. Menschen, die nichts mit dem Konflikt zu tun haben, werden von einem auf den anderen Tag zu Opfern von Massakern oder Vertreibung. Doch unter diesen Geschichten sind auch Geschichten des Überlebens und des Muts. Es klingt paradox: Aber es ist wunderbar, die Chance zu haben, Menschen kennenzulernen, die unsäglich viel erlitten haben und doch eine große Hoffnung in sich tragen und nicht müde werden, für den Frieden zu kämpfen. Das rüttelt auf und motiviert. Ich glaube, der Journalismus sollte auch diese Geschichten ernst nehmen.
Ihr neuestes journalistisches Projekt widmet sich genau diesen Geschichten: Die Onlineplattform "¡Pacifista!" ("Pazifist!"), die in Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Vice-Magazin entstanden ist, ging Ende Dezember 2014 online. Was ist “¡Pacifista!”?
"¡Pacifista!" ist ein Projekt des Vice-Magazins und einer Gruppe von kolumbianischen Journalisten, denen ich angehöre. Wir haben vor einiger Zeit beschlossen, in Kolumbien für eine Kultur des Friedens zu werben. Wie wir das tun wollen? Durch Geschichten über den Frieden innerhalb des Kriegs. Es sind Geschichten über Überlebende des kolumbianischen Konflikts, über mutige Menschen, die sich miteinander versöhnt haben. Kolumbien ist dabei, langsam in die Phase des sogenannten Postkonflikts überzugehen. Das ist die Phase, in der der Konflikt langsam abflaut, aber der Frieden im Land noch nicht hergestellt ist. Diese Art journalistischer Projekte, die sich nicht nur auf den Krieg, sondern vor allem auf den Frieden konzentrieren, ist jetzt sehr wichtig.
Ihre journalistische Arbeit beruht auf der Überzeugung, dass die Verbrechen und die Geschichten des bewaffneten Konflikts in Kolumbien nicht vergessen werden dürfen. Wäre es aber nicht besser für ein Land wie Kolumbien, das seit Jahrzehnten unter Krieg, Blutvergießen und Hass leidet, diese schrecklichen Ereignisse einfach zu vergessen, um endlich weiterzukommen?
Das glaube ich nicht. In den letzten Tagen in Deutschland ist mir klar geworden, wie wichtig die Vergangenheitsaufarbeitung ist. Natürlich: Wenn der kolumbianische Konflikt eines Tages vorbei ist, wird es notwendig sein, zunächst wieder zur Ruhe zu kommen und die Wunden des Krieges heilen zu lassen. Aber danach werden wir stetig daran erinnern müssen, was im Lande geschehen ist. Deutschland leistet eine ausgezeichnete Erinnerungsarbeit. Man hat versucht zu verstehen, warum es hier im 20. Jahrhundert zwei Diktaturen geben konnte, wie der Holocaust möglich war und warum die DDR die Freiheit der Bürger systematisch eingeschränkt hat. Das ist erforderlich, denn man braucht Antworten auf die Fragen der neuen Generation. Dies gilt auch für den kolumbianischen Konflikt.
Für Sie ist Journalismus also auch eine Art von Erinnerungsarbeit?
Wir Journalisten sind die Historiker unserer Zeit. Bereits in der Gegenwart müssen wir Erinnerung für unsere Zukunft bilden. Unsere Verantwortung ist groß: Es geht nicht nur um Meinungsbildung und die Förderung der analytischen Fähigkeiten, sondern auch um die Stärkung der Demokratie. Ausgewogene Information kann helfen, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen. Ich glaube, dass wenn wir unseren Job als Journalisten richtig machen, wir verhindern können, dass sich die Geschichte wiederholt.
Im Jahr 2014 war der Journalistenpreis ¡Investiga! dem Thema "Frieden, Konflikt und Region“ gewidmet. Die DW Akademie und die Universidad del Norte in Barranquilla vergaben den Preis 2014 erstmalig mit Unterstützung des Journalistennetzwerks Consejo de Redacción aus Bogotá.