Obwohl es für jemenitische Frauen nur wenige Möglichkeiten gibt, hat Abeer Abdullah eine journalistische Karriere eingeschlagen, in deren Mittelpunkt sowohl die Kriegszerstörung als auch das tägliche Überleben stehen
In ihrer Kindheit im Jemen, so erinnert sich Abeer Abdullah, gab ihre Mutter ihr einmal einen Knoblauchstößel zum Spielen. Vielleicht eine ungewöhnliche Geste, aber Abeer kam auf die Idee, so zu tun, als wäre es ein Mikrofon. Also nahm sie es auch mit in die Schule, um Interviews mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern zu führen.
Geboren wurde Abeer Abdullah in den Vereinigten Arabischen Emiraten und zog mit ihrer Familie in den Jemen, als sie 12 Jahre alt war. Der Schulbesuch war teuer, und ihre Familie war der Meinung, dass Mädchen im Haushalt oder in der Landwirtschaft arbeiten sollten. Nach der Trennung ihrer Eltern war ihre Mutter gezwungen, wieder bei ihren Eltern einzuziehen, während Abeer bei ihrem Vater blieb. Die mangelnde Bildung ihrer Mutter - ganz zu schweigen von den strengen Regeln des Jemen gegen die Unabhängigkeit der Frauen - kam der jungen Abeer irgendwie falsch vor.
Doch das Spiel mit dem Knoblauchstößel ist ihr im Gedächtnis geblieben, denn von da an waren die Würfel gefallen: Die Lebensumstände ihrer Mutter, die komplexen und anhaltenden sozialen Beschränkungen im Jemen und das Leben in einem Land, das sich ständig im Krieg befindet und verarmt ist, haben Abeer inspiriert, darüber nachzudenken, wie sie es besser machen und etwas bewirken könnte. Sie fragte sich insbesondere, wie sie denjenigen eine Stimme geben kann, die unter dem Krieg oder sozialer Ungerechtigkeit leiden. Ein einfaches Spiel mit einem behelfsmäßigen Mikrofon brachte sie dazu, sich ein Leben als Journalistin vorzustellen und andere zu fragen, warum die Welt so ist, wie sie ist.
„Ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter bestraft wurde, dass sie nicht mehr aus ihrem Leben machen konnte“, sagt die 33-jährige Abeer. „Das hat mein Verständnis von Ungerechtigkeit und Frauenrechten geprägt.“
Da sie selbst nicht gebildet war, drängte Abeers Mutter darauf, dass ihre Tochter eine Ausbildung absolviert. Abeers Vater lenkte schließlich ein.
„Er erlaubte mir, zur Schule und später zur Universität zu gehen, aber er wollte, dass ich entweder Lehrerin oder Ärztin werde. Beides gefiel mir nicht, also entschied ich mich für Betriebswirtschaft“, erklärt Abeer.
Doch der Gedanke, als Journalistin zu arbeiten, blieb in ihr wach. Nach dem Tod ihres Vaters wechselte sie ihr Studium auf Radio- und Rundfunkjournalismus. 2015 musste sie wegen des Krieges im Jemen das Studium abbrechen. Sie zog sich für ein paar Wochen in ihr Dorf zurück und kehrte dann in das Haus der Familie in Taizz zurück.
Anstatt sich bedrückt oder entmutigt zu fühlen, stellte Abeer fest, dass sie immer noch über das berichten konnte, was sie um sich herum sah: die alltäglichen Probleme von Jemenitinnen und Jemeniten, die mit Kriegsbedrohungen und Engpässen zurechtkommen müssen, Frauen, die ihren Nachbarinnen und Nachbarn helfen und sich um ihre Kinder kümmern. Sie sah, wie schwangere Frauen inmitten von Kämpfen und Pandemien zurechtkommen, das Überleben in einem Flüchtlingslager sowie die besonderen Herausforderungen, denen afrikanische Flüchtlinge im Jemen gegenüberstehen. Ihr Augenmerk galt den Ausgestoßenen, den so genannten „Akhdam“, einer ethnischen Gruppe, die aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe ausgegrenzt wird.
Außerdem fragte sie sich, warum weibliche Gefangene nach Beendigung ihrer Strafe hinter Gittern bleiben mussten, wenn sie bei ihrer Entlassung nicht von einem Familienmitglied abgeholt wurden. Als sie sich an einen Gefängnisdirektor wandte, sagte er ihr, das Gesetz sei nun einmal das Gesetz. Unzufrieden mit seiner Antwort wandte sie sich an Beamte des Justizministeriums, die ihr antworteten, dass es ein solches Gesetz in der Tat nicht gebe. Als sie damit zum Gefängnisdirektor zurückkehrte, drohte dieser, sie zu verklagen.
Doch Abeer ließ sich nicht entmutigen. Schließlich erhielt sie eine Stelle bei Sanaa TV, um aus ihrer Heimatstadt Taizz zu berichten. Sie arbeitete auch bei einem Radiosender in Ibb, das auf halbem Weg zwischen Sanaa und Taizz liegt, und suchte nach Geschichten, die sich nicht mit der Politik des Landes befassten und stattdessen den Leserinnen und Lesern und Zuschauern ein Gefühl dafür vermittelten, wie die Durchschnittsbürger und Durchschnittsbürgerinnen die Notlage überlebten und in gewisser Weise sogar erfolgreich meisterten.
Auf den ersten Blick impliziert ihre Berufswahl - vor allem im Jemen - extreme Gefahr. In der Tat birgt ihre Arbeit ein tödliches Risiko. Aber Abeer stellt klar, dass sie weniger daran interessiert ist, die Politik zu verändern. Vielmehr zieht es sie zu denjenigen, die unter Krieg und Ungerechtigkeit leiden, zu den täglichen Demütigungen und Entbehrungen, denen die Jemeniten ausgesetzt sind. Sie macht sich auf die Suche nach Frauen und Kindern, die in Wirklichkeit die Schwächsten im Land sind. Ihr Ziel ist es, unparteiisch, offen und dennoch kritisch zu bleiben - eine Herausforderung an sich, da sie Zeuge von Elend und Unterdrückung ist.
„Wenn ich jedoch jemanden in einer Krise sehe, muss ich das melden“, sagte sie. „Ich bin vorsichtig. Ich habe aber auch gelernt, mutiger zu sein. Ich spreche immer ab, was möglich ist, und warte darauf, von den Quellen zu hören, was ihnen wichtig ist und worüber berichtet werden sollte. Aber vor allem empfinde ich es als bitter, wenn schreckliche Dinge passieren und niemand da ist, der darüber berichtet.“
Obwohl sie normalerweise keinen Niqab trägt, tut Abeer dies, wenn sie beruflich im Einsatz ist und gibt vor, eine der einheimischen Frauen zu sein. Außerdem trägt sie Schutzkleidung. Sie hat bei ihrer Arbeit viel gelernt, zum Beispiel, dass sie ihr Mobiltelefon zum Filmen benutzen sollte, weil der Auftritt mit einer großen Kamera und einem Team zu Gewalt führen könnte.
Reisen sind für Frauen gefährlich, deshalb hat sie immer jemanden dabei, wenn sie unterwegs ist. „Jedes Mal, wenn ich beruflich unterwegs bin, schreibe ich meiner Mutter oder rufe sie an und sage ihr, dass sie mir bitte verzeihen soll, wenn ich nicht nach Hause kommen sollte“, sagte sie.
Bei der Beschreibung ihrer Berufung zum Journalismus und der täglichen Arbeit macht Abdullah eine beeindruckende Figur, obwohl sie sich mit einer sachlichen und sympathischen Art Bescheidenheit bewahrt. Sie spricht auch über die Unterstützung und Anleitung, die sie beim Erlernen und Verbessern ihres Handwerks erhalten hat, einschließlich der Ausbildung der DW Akademie seit 2021 und insbesondere des Projekts „Frauenblicke“.
Abeer Abdullah, rechts im Hintergrund, hat im Rahmen des Projekts "Frauenblicke" andere jemenitische Frauen im Bereich des Journalismus ausgebildet.
Das vom Auswärtigen Amt geförderte Projekt „Frauenblicke“ bietet jungen Journalistinnen im Jemen und im Irak sowohl eine allgemeine als auch eine fachliche Fortbildung, damit sie über soziale, wirtschaftliche und politische Themen, die für Frauen in ihren Ländern relevant sind, recherchieren und berichten können und die Stimme der Frauen in den Vordergrund rücken. (Das Programm wird später in diesem Jahr auch auf den Sudan ausgedehnt.) Normalerweise arbeiten Journalistinnen in diesen Ländern im Schatten ihrer männlichen Kollegen, falls sie überhaupt arbeiten dürfen.
Drei Gruppen von Frauen im Jemen - in Aden, Taizz und online - haben an dem Training teilgenommen. Abdullah arbeitete als Trainerin sowohl in Aden als auch in Taizz. Außerdem hat sie auch für die Deutsche Welle berichtet.
„Ich bin nicht nur dankbar, dass ich für lokale Medien berichten kann, sondern auch, dass ich meine Arbeit und meine Fähigkeiten erweitern konnte“, sagt sie. „Ich musste mich selbst weiterentwickeln, und in nur sechs Monaten Training habe ich mein Schreiben verbessert und meinen Wortschatz erweitert. Das hat auch meinen Wunsch verstärkt, mein Studium abzuschließen, das durch den Krieg unterbrochen worden war.“ Jetzt schließt sie ihr Masterstudium ab und konzentriert sich auf Datenjournalismus.
"Frauenblicke", ein vom Auswärtigen Amt unterstütztes Programm der DW Akademie, hilft jungen Journalistinnen im Jemen bei der Aus- und Weiterbildung, damit sie über Gesellschaft, Wirtschaft und Politik recherchieren und berichten können.
Schließlich fügte sie hinzu: „Ich war einfach froh, dass ich diese Arbeit hatte, von der ich schon so lange geträumt habe.“
Sie schätzt sich auch glücklich, großzügige und fähige Mentorinnen und Mentoren gefunden zu haben, darunter einen Fernsehredakteur, der sie ermutigte, „unabhängig zu bleiben, sich auf keine politische Partei festzulegen und sich auf humanitäre Themen zu konzentrieren“, sagt sie. „Ich möchte die Menschen, über die ich berichte, nicht im Stich lassen und der Welt ihre Geschichten erzählen.“