David Olmos über Flaggen auf Halbmast
"Chávez ist tot!" Sofort fangen die Teilnehmer unseres Trainings an der Universität von Managua an, auf ihren Telefonen herumzutippen. Das Gerücht bewahrheitet sich: Zuerst meldet es eine Quelle, dann noch eine und noch eine. Bald greifen alle Medien das Thema auf. Wir versuchen, den journalistischen Impuls der Teilnehmer zu bremsen und reden weiter über Einstellungsgrößen und Bildkomposition. Doch es ist offensichtlich, dass die Studenten mit ihren Gedanken in diesem Moment ganz woanders sind.
Der Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez bewegt die Gemüter in Nicaragua. Die sozialen Programme des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega leben im Prinzip von der finanziellen Unterstützung aus Venezuela. Man schätzt, dass Nicaragua, das der politischen Linie von Chávez sehr nahe steht, mindestens 500 Millionen US Dollar pro Jahr aus Venezuela erhält. Die genaue Zahl ist unbekannt, denn die Regierung unter Ortega gibt an, dass es sich um private Mittel handele und steuert die Hilfszahlungen außerhalb des nationalen Budgets und ohne die Kontrolle des Parlaments.
Als wir den Workshop beenden, kommen einige Teilnehmer zu mir, und erzählen, dass in ihren Augen einer der wichtigsten Menschen Lateinamerikas gestorben sei. Einige Studenten wollen zum Platz der Revolution gehen, wo Ortega zum Gedenken an den verstorbenen Präsidenten aufgerufen hat. Wie in Caracas nimmt auch in Managua die Verehrung von Chávez beeindruckende Ausmaße an. Trotzdem sind hier die Meinungen und die Sicht der Medien sehr gespalten. Wenige Minuten eines Radio- oder Fernsehberichts oder ein kurzer Blick in die Zeitung reichen aus, um zu merken, welche politische Tendenz das jeweilige Medium einnimmt. Für die Tageszeitung "La prensa" beispielsweise sei mit Chávez ein autoritärer Führer gestorben, jemand, der den Venezolanern riesigen Schaden zugefügt hätte. In anderen Medien, wie dem Fernsehsender "Canal 13" scheint es hingegen, als sei er ein Held gewesen, ein neuer Bolivar, der dem Imperium die Stirn bietet und für das Wohl der Armen kämpft.
Jetzt bricht eine Phase der Ungewissheit an, in der die Aufmerksamkeit der Nicaraguaner und weiteren Lateinamerikanern darauf gerichtet ist, was in der Öl-Großmacht Venezuela passiert. In Managua wehen derweil die Fahnen auf Halbmast. Sieben Tage lang. Gut sichtbar, vor meinem Zimmerfenster.
David Olmos ist seit 2008 als Trainer in verschiedenen Ländern Lateinamerikas für die DW Akademie tätig. Zu seinen Schwerpunkten gehören TV Journalismus und Multimediales Storytelling. Als Projektmanager für Nicaragua hat Olmos zusammen mit der Universität Managua (UdM) den Studiengang Umweltjournalismus entwickelt und aufgebaut - der erste Jahrgang hat bereits mit Diplom abgeschlossen. Zuletzt unterrichtete er einen Workshop in Kamera Bildsprache und für Journalistik-Studenten an der UdM.