Viele syrische Kinder sind vom Bürgerkrieg traumatisiert. DW Akademie-Projektmanagerin Birgitta Schülke berichtet, wie eine neue Kindersendung ihnen ein Stück Normalität schenken möchte.
"Wir wollen jetzt die Sendung sehen, wir wollen die Sendung sehen!", rufen vierzig Schülerinnen und Schüler in einem kleinen stickigen Klassenzimmer an der türkisch-syrischen Grenze. Wir sind hier, um Flüchtlingskindern den Piloten von "Yalla Nehna" ("Lasst uns loslegen") zu zeigen und zu sehen, wie die neue Kindersendung ankommt. Doch kurzfristig ist der Strom ausgefallen. Ohne Strom kein Projektor, keine Evaluierung.
Dieser Moment ist ein Sinnbild für unsere Arbeit der vergangenen drei Monate. Immer wieder musste das DW Akademie-Team unvorhersehbare Hindernisse überwinden. Am Anfang stand eine Idee: Ein Fernsehprogramm für die Schwächsten des gewaltsamen Bürgerkrieges zu entwickeln, für syrische Kinder. Über eine Million von ihnen ist derzeit auf der Flucht, konfrontiert mit immer neuer Gewalt. Viele gehen seit Monaten nicht mehr zur Schule.
Grenzübergreifende Team-Arbeit
Partner in dem Projekt, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird, ist Orient TV. Der gemäßigte syrische Oppositionskanal sendet aus Dubai. "Die Kinder haben keine Bildung, keine Sicherheit oder Fürsorge", sagt Fadi Jabbour, stellvertretender Leiter von Orient TV. "Mit einem Kinderprogramm möchten wir ihre Verletzungen ein wenig kompensieren."
Da hierfür jedoch keine zusätzlichen Reporter und Redakteure zur Verfügung stehen, müssen wir erst einmal in kürzester Zeit ein Team aufbauen. Zum Glück können wir bei unserer Suche nach Korrespondenten auf syrische Bürgerjournalisten aus früheren DW Akademie-Trainings bauen - sie leben derzeit in Syrien, Jordanien, dem Libanon und der Türkei. In Dubai findet Projektmanager Alican Emre (Name von der Redaktion geändert) Redakteure und Moderatoren: engagierte, talentierte Kollegen, jedoch meist ohne Fernseh-Erfahrung.
Programm für - nicht über Kinder
Im November 2013 treffen wir uns zum ersten gemeinsamen Workshop in Istanbul. Gemeinsam mit Kinder-TV-Experten diskutieren Redakteure und Korrespondenten leidenschaftlich das Konzept: Sie wollen ein Programm, das syrische Kinder stärkt, in dem diese sich wiederfinden und etwas lernen können. Ein Programm, das Kinder nicht als Opfer zeigt, sondern sich auf ihre Stärken konzentriert - ohne schwierige Situationen zu verschweigen. Am Ende haben alle eine Kernaussage verinnerlicht: "Wir wollen ein Programm für - und nicht über Kinder machen."
In den nächsten Wochen werden acht Korrespondenten mit Kameras und Schnittrechnern ausgestattet und in der Türkei trainiert. In Dubai bereiten währenddessen die Moderatoren, Redakteure, Grafiker und Studiotechniker mit Hilfe zahlreicher Trainings die Sendung vor. 116 Workshop-Tage voll Enthusiasmus, Improvisation und immer neuen Fragen: Wie lässt sich der Kontakt zu den Korrespondenten auch dann halten, wenn das Internet ständig ausfällt und die Telefonverbindung wieder einmal abbricht? Was können wir für die Sicherheit der Kollegen in Syrien tun? Wie lassen sich die immer neuen Todesnachrichten aus Syrien verkraften, die mitten in den Arbeitsalltag einschlagen?
Es ist eine Arbeit, die allen viel mehr abverlangt, als nur Fachkompetenz. "Das Projekt ist ein Gewinn für die Teilnehmer und Trainer gleichermaßen", so Niels Eixler, Trainer der DW Akademie. "Manchmal habe ich mich gefragt, wer hier eigentlich von wem gelernt hat."
Modern, unkonventionell und unterhaltsam
Das Team wächst immer stärker zusammen: nächtliche Skype-Konferenzen zur Themen-Abstimmung, eine eigene Facebook-Gruppe für gemeinsame Diskussionen. Not macht erfinderisch. Auch als am Tag der ersten Aufzeichnung noch an der Studiodekoration gebaut und gleichzeitig ausgeleuchtet wird. Schließlich ist es geschafft, die Pilotsendung steht - modern, unkonventionell und unterhaltsam. Mit Portraits und aktuellen Reportagen aus dem Leben syrischer Kinder, Studioaktionen, kleinen unterhaltsamen Rubriken und einem der Erklärstücke, die der Westdeutsche Rundfunk (WDR) dem Projekt kostenfrei zur Verfügung stellt.
Das Konzept überzeugt. Maya Götz, Leiterin des internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen, die bei der Evaluierung in der Türkei dabei ist: "Die Sendung ist besser als alles, was es momentan im arabischen Kinderfernsehen zu sehen gibt." Wir im DW Akademie-Team sind erschöpft aber glücklich: Es erscheint uns wie ein Wunder, dass es nach nur drei Monaten Planungs- und Trainingszeit am Ende wirklich geklappt hat.
Und was sagen die Kinder?
Endlich ist an der syrisch-türkischen Grenze der Strom wieder da. Die Sendung startet. Gespannt schauen wir auf die kleinen Zuschauer. Viele sitzen mit offenem Mund da, lachen ausgelassen, um sich dann wieder zu konzentrieren. Am Ende gibt es großen Applaus. Ein Mädchen umarmt mich verstohlen und sagt: "Das war toll, danke!" Und dann rufen sie wieder: "Wir wollen noch eine Sendung sehen, wir wollen noch eine Sendung sehen!"
Ein schöneres Kompliment hätte das Team für seine Arbeit nicht bekommen können. Und schon bald werden die Kinder weitere Folgen zu sehen bekommen: Ab Mitte März strahlt Orient TV einmal wöchentlich "Yalla Nehna" in Eigenregie aus.